# taz.de -- Wenn man 60 wird: Ein Geburtstag, der einem was Besonderes abverlan… | |
> Der 60. Geburtstag lässt sich nicht ignorieren. Er treibt einen um. Und | |
> es ist ein schönes Geschenk, meint unsere Kolumnistin, das ihr Geburtstag | |
> ihr da macht. | |
Bild: Manchmal ist eine Zahl doch mehr als nur eine Zahl | |
Ich werde demnächst einfach so mitten in der Woche 60 und bin eigentlich | |
jemand, der Geburtstage feiert oder auch nicht und sie immer als ganz | |
normale Lebenstage mitten in einer Woche, in einem Leben betrachtet hat. | |
Doch dieser Geburtstag verlangt mir anderes ab – von Mitte kann derzeit | |
keinerlei Rede mehr sein. Und das gilt vollumfänglich. | |
Dieser Geburtstag lässt sich nicht ignorieren. Er fordert mich aktiv | |
heraus, und ich meine damit, dass er scheinbar eigenmächtig handelt: Zum | |
Beispiel, indem er mir Träume schickt, die mir durchaus unangenehme | |
Selbsterkenntnis geradezu mit der Holzhammermethode aufzwingen – ich wache | |
auf und muss gar keine Zeit mehr an Traumanalyse verschwenden, sondern | |
denke einfach: Fuck, Alke, es stimmt, so bist du. | |
Er scheint, mit mir zu spielen, dieser Geburtstag, indem er mich mit der | |
Nase in meinen eigenen Dreck stupst wie einen Hundewelpen, und mich dabei | |
gleichzeitig auf blinde Flecken meines Lebens stoßen lässt, als wäre ich | |
eine alte Frau, die in ein Bällebad der Erinnerungen gefallen ist. | |
Das ist gar nicht nur und immer schmerzhaft, weil es Klarheit fördert – was | |
aber keineswegs so verstanden werden soll, dass ich diese Einsichten und | |
Lehren wie eine weise alte Frau milde verzeihend willkommen heiße. Im | |
Gegenteil: Ich fühle mich eher wie ein Teenager, dessen Blick auf sein | |
Leben dem in ein Kaleidoskop ähnelt, in dem sich unzählige bunte Teilchen | |
auf verwirrende Weise zu immer wieder neuen Bildern formieren – nur, dass | |
ein Teenager dabei in die Zukunft blickt und ich in die Vergangenheit. Wie | |
gesagt, von Mitte kann gerade keine Rede sein. | |
Ist aber auch egal. Denn immerhin haben mich sechs Jahrzehnte Leben | |
glücklicherweise offenbar so weit stabilisiert, dass ich solche Verwirrung | |
heute aushalten kann. Und irgendwie ist ja auch dieses Teenagergefühl ganz | |
lustig, weil es so vollständig unerwartet ist! Ich hätte jedenfalls nie | |
damit gerechnet, dass ich mit 60 wieder – immer noch? – vor den Fragen | |
stehen würde: Was fange ich mit dem Rest meines Lebens an? Wie möchte ich | |
es leben können? | |
## Ich wuppe das | |
Und wissen Sie was? Ich habe heute, mit fast 60, genauso wenig Antworten | |
auf diese Fragen, wie ich sie mit 16 hatte. Und auch das ist egal. Denn was | |
ich habe, worauf mich dieser 60. Geburtstag mit seinem merkwürdigen | |
Eigenleben stupst, das ist Vertrauen, auch Selbstvertrauen. | |
Ja, ich finde das Bild vom Leben als Kaleidoskop selbst peinlich kitschig, | |
aber lassen Sie es mich noch einmal bemühen: Wenn das Leben ein Kaleidoskop | |
ist, dann kann man es nicht selbst bewegen und schon gar nicht fixieren und | |
dann einfach nur noch darauf hinarbeiten, das Muster, das einem am besten | |
gefallen hat, einfach nachzubauen. Denn es bewegt sich von allein – das ist | |
das Leben. | |
So bist du, zeigt mir mein 60. in meinen Träumen, das hast du getan: Diese | |
Chance genutzt, diese unerkannt verstreichen lassen, da warst du gut, da | |
ein Arschloch, diese Fehler hast du begangen und kluge Entscheidungen | |
manchmal mehr aus Zufall getroffen als aus einem lange überlegten Plan. Und | |
ich erkenne dabei, dass das Leben wie mein 60. Geburtstag auch ein | |
Eigenleben hat. Es nimmt mich mit, es schubst mich herum, es stresst mich | |
manchmal, manchmal macht es mir Spaß – und ich wuppe das. Ich lebe es, und | |
die Fehler, die ich dabei mache, verzeiht es mir meist irgendwann. | |
Es ist ein gutes Gefühl, ein schönes Geschenk, das mein bevorstehender | |
Geburtstag mir auf seine verwirrend eigenmächtige Art und Weise da macht. | |
Beruhigend. Erwachsen irgendwie. Oder jedenfalls so, wie ich mir als | |
Teenager immer das Erwachsenenleben vorgestellt habe – nur viel | |
aufregender. | |
1 Jul 2025 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Kolumne Die Fußgängerin | |
Geburtstag | |
Altern | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Kolumne Zu verschenken | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ein niedergeschlagener Kolumnist: Früher war es besser, früher war ich nie kr… | |
Er hätte von seiner Fahrt jüngst nach Bacharach am Rhein erzählen können. | |
Aber nun plagt anderes das Sein unseres Kolumnisten. Er liegt siech | |
darnieder. | |
Endlich auch mal reich sein: Das hier fühlt sich doch gut an | |
Es macht was aus, wenn man plötzlich viel Geld in der Tasche hat. Was für | |
ein erhabenes, erhebendes, erhobenes Lebensgefühl, weiß unsere Kolumnistin. | |
Leben in Widersprüchen: Ich bin nicht unglücklich | |
In der Regionalbahn spricht ein Junge am Handy laut über intime Dinge, und | |
alle hören mit. Auch unsere Kolumnistin. |