# taz.de -- Trumps Steuer- und Ausgabengesetz: Die Gesundheit, die sie gegeben … | |
> Donald Trumps Kürzungsgesetz trifft nicht nur die Ärmsten in den USA, | |
> sondern auch Ersthelfer von 9/11, die an Spätfolgen leiden. Einer von | |
> ihnen ist Harold Delancey. | |
Bild: Rettungskräfte suchten ohne ausreichend Schutzausrüstung nach Überlebe… | |
Harold Delancey öffnet einen hölzernen Hängeschrank und gibt den Blick frei | |
auf seine Hausapotheke. Ordentlich sortiert stapeln sich darin Dutzende | |
Medikamente. Er greift drei Packungen heraus und legt sie auf den Tisch in | |
seinem Wohnzimmer: Mirtazapin gegen Depressionen, Buspiron gegen | |
Angststörungen und Clonazepam gegen Atembeschwerden bei seinen | |
Panikattacken. Diese drei retten ihn. | |
Delancey plant, der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika einen | |
Brief zu schreiben. Er will erklären, warum das am 4. Juli von Donald Trump | |
unterzeichnete Gesetzespaket [1][„One Big Beautiful Bill“] schlecht ist für | |
seine Leidensgenossen. Er glaubt, der Präsident stehe diesen Menschen | |
wohlwollend gegenüber, aber die Info sei schlichtweg noch nicht zu ihm | |
durchgedrungen. | |
Der Tag, der Delanceys Leben in ein Vorher und ein Nachher teilt, ist der | |
11. September 2001. Er spricht fast nie über diesen Tag, ungern kramt er | |
die Erinnerungen daran hervor: an die weinenden Menschen auf den New Yorker | |
Brücken, die durch den wirbelnden Staub wegrannten, während er auf das | |
Inferno zulief. Er erinnert sich an das Monate dauernde Identifizieren von | |
Toten in den Leichenhallen und die Albträume, die ihn Jahre später | |
einholten und die immer schlimmer wurden, je mehr er gegen sie ankämpfte. | |
Er denkt an die US-Umweltschutzbehörde, die Polizisten wie ihm damals | |
öffentlich vorgaukelte, es sei kein Gesundheitsrisiko, die Luft im Süden | |
Manhattans einzuatmen. Nicht einmal Masken verteilte der Staat damals. | |
Delancey, 70 Jahre alt, ist ein großer schwarzer Mann, der trotz | |
posttraumatischer Belastungsstörung und Prostatakrebs 20 Jahre jünger | |
aussieht, als er tatsächlich ist. Der Frührentner führt ein Leben, das man | |
als gutbürgerlich bezeichnen könnte: eine glückliche Ehe, elf Enkelkinder, | |
ein Einfamilienhaus mit großem Fernsehbildschirm, über den Fox News | |
flimmert. | |
Er lebt seit 2013 in Clayton, einem Vorort der Stadt Raleigh in North | |
Carolina, einem Bundesstaat im Südosten der USA. Seine Heimatstadt New | |
York zu besuchen, verkrafte er seelisch nicht, sagt er. Bei der | |
Präsidentschaftswahl im vergangenen Herbst hat Delancey für Donald Trump | |
gestimmt. Bei Themen wie Migration und Bildungspolitik unterstützt er die | |
Politik des Präsidenten – auch jetzt noch. | |
## Umverteilung von unten nach oben | |
Die sogenannte One Big Beautiful Bill beinhaltet das größte | |
Umverteilungsprogramm von unten nach oben, das die USA in den letzten | |
Jahrzehnten gesehen hat. | |
Das Gesetzespaket enthält keine direkten Aussagen zu Überlebenden der | |
Terrorattacke. Aber de facto kürzt es das Budget des World Trade Center | |
Health Program (WTCHP) um 1,2 Milliarden Dollar. Noch bis 2027 ist die | |
Finanzierung des Programms gesichert, darüber hinaus ist sein Bestehen | |
ungewiss. Doch auch heute, fast 25 Jahre nach dem Terroranschlag, würden | |
jeden Tag Menschen an seinen Folgen erkranken, sagt Delancey. Als | |
Entschädigungszahlung für seine körperlichen Beschwerden erhielt er 250.000 | |
Dollar. Er sagt: „Gebt mir lieber meine Prostata zurück!“ | |
Nachdem Atemwegserkrankungen, Magen-Darm-Erkrankungen und 60 | |
unterschiedliche Krebsarten unter den überlebenden Ersthelfern des 11. | |
Septembers sehr stark zugenommen hatten, rief die Obama-Regierung 2010 ein | |
Entschädigungsprogramm für die Betreffenden ins Leben. | |
Heute kümmert sich das WTCHP um 131.000 Menschen. Verwaltet wird das | |
Programm von zwei Behörden innerhalb des US-Gesundheitsministeriums: den | |
Centers for Disease Control and Prevention und dem National Institute | |
for Occupational Safety and Health. Nun will man diese zu einer großen | |
Organisation zusammenlegen, der Administration for a Healthy America – und | |
das Budget stark kürzen. | |
Delancey kämpft nicht erst seit Trump mit den Behörden um eine angemessene | |
Gesundheitsvorsorge. „Das Schlimmste an meinem Prostatakrebs waren die | |
Rechnungen“, sagt er. Manchmal steigt der Stress ihm so über den Kopf, dass | |
er Clonazepam gegen die Panik nehmen muss – obwohl er weiß, wie abhängig | |
das Medikament macht. | |
Er sagt, die Regierung trage die Verantwortung für Menschen wie ihn: | |
Polizisten und Feuerwehrmänner, die monatelang ihr Leben gefährdeten, um | |
andere zu retten. Er glaubt auch, eine Regierung habe sich sonst aus allen | |
Lebensbereichen des Einzelnen herauszuhalten. | |
Die in der One Big Beautiful Bill beinhalteten Kürzungen des Sozialstaats | |
treffen vor allem Donald Trumps Wählerbasis: die ärmsten 10 Prozent | |
Amerikas, Angehörige der Arbeiterklasse, abgehängt vom Rest der | |
Gesellschaft. In der Realität wird das Haushaltspaket dazu führen, dass | |
viele Menschen sterben, die sich keine Behandlung leisten können. Besonders | |
betroffen ist die Bevölkerung auf dem Land. | |
Bis 2034 könnten dem Congressional Budget Office zufolge 11,8 Millionen | |
Menschen die Krankenversicherung [2][Medicaid] verlieren und acht Millionen | |
ihren Anspruch auf Lebensmittelhilfen. Die Profiteure der | |
Steuererleichterungen sind Großkonzerne und Haushalte mit mehr als | |
200.000 Dollar Jahreseinkommen. Dabei besitzt das reichste Prozent der | |
amerikanischen Bevölkerung schon 30 Prozent des Gesamtvermögens. | |
Mehr investiert wird ab jetzt auch in das Militär und die | |
Abschiebeindustrie: Das Budget der Grenzbehörde ICE will die Regierung | |
bis 2029 von zehn auf 100 Milliarden Dollar aufstocken. Die One Big | |
Beautiful Bill: eine Perversion des amerikanischen Traums auf 900 Seiten, | |
die kaum jemand gelesen hat. | |
„Ich bin dafür, Menschen zu helfen, die sich selbst helfen“, sagt Delancey | |
und meint damit sich selbst. Aber viele, die Sozialleistungen beziehen, | |
seien eben faul und wollten nicht arbeiten. Dass Trumps Haushaltspaket den | |
Schwächsten den Boden unter den Füßen wegziehen solle, glaubt er nicht. Er | |
selbst wuchs in Armut auf, arbeitete immer hart und gehorchte dem Gesetz. | |
„Ich hatte nie ein Problem.“ Delancey sieht keinen Widerspruch zwischen | |
seinen politischen Ansichten und seiner Erwartung, von der Regierung | |
entschädigt zu werden. | |
## Nur drei Republikaner stimmten dagegen | |
Der republikanische Senator Thom Tillis aus North Carolina, dem Staat, in | |
dem Delancey lebt, war einer von nur drei republikanischen Senatoren, die | |
gegen Trumps Gesetzespaket gestimmt haben. Er nannte es „verheerend und | |
nicht tragfähig“ und warnte vor den politischen Konsequenzen in North | |
Carolina. | |
Nach Texas hat North Carolina den größten Anteil an ländlicher Bevölkerung | |
in den USA. Spätestens wenn Krankenhäuser in den ländlichen Gegenden | |
schließen und Gesundheitswüsten für diejenigen entstehen, die auf Medicaid | |
angewiesen sind, könnte Trumps Selbstinszenierung als Retter der einfachen | |
Leute bröckeln. Senator Tillis weiß das. Nach seiner Entscheidung, gegen | |
das Gesetz zu stimmen, griff Trump ihn sofort an und beschuldigte ihn, | |
einen „Riesenfehler gegen die wundervollen Menschen in North Carolina“ zu | |
begehen. Tillis gab daraufhin bekannt, bei den Senatswahlen 2026 nicht mehr | |
zu kandidieren. | |
Erst 2023 hatte North Carolina Medicaid ausgeweitet, eine Entscheidung, die | |
Senator Tillis 2013 noch blockiert hatte. Seit dieser Ausweitung sind | |
Erwachsene im Alter von 19 bis 64 versichert, wenn sie als Einzelperson | |
unter 1.800 Dollar pro Monat verdienen oder als Familie unter 3.065 Dollar. | |
Mehr als 660.000 Menschen haben sich in North Carolina bei Medicaid | |
angemeldet. Eine Riesenerleichterung für viele. Und jetzt? | |
Eine Studie der University of North Carolina in Chapel Hill ergab, dass | |
landesweit 338 Landkliniken aufgrund der Kürzungen geschlossen werden | |
könnten. Auch fünf Krankenhäuser in North Carolina stehen auf der Liste. | |
Das einzige Krankenhaus im Landkreis Martin County im Osten des | |
Bundesstaats musste wegen finanzieller Schwierigkeiten schon 2023 | |
schließen. Am Eingang hängt ein Schild: „GESCHLOSSEN. In Notfällen wählen | |
Sie 911“. Das nächste Krankenhaus liegt eine halbe Stunde Autofahrt | |
entfernt. | |
Immer noch gibt es hier Strom, die Klimaanlage kühlt die leeren | |
Patientenzimmer, der Landkreis zahlt seit zwei Jahren die Rechnungen, | |
berichtet die [3][New York Times]. Die Einwohner von Martin County sind | |
fest entschlossen, das Backsteingebäude vor dem Verfall zu bewahren und das | |
Krankenhaus wieder zu eröffnen. | |
Wenn Trumps Gesetzespaket den Stopp der Medicaid-Ausweitung erzwingt, | |
könnte das die endgültige und dauerhafte Schließung des Martin General | |
Hospital bedeuten. In letzter Minute stellte der Kongress zwar ein Budget | |
von 50 Milliarden Dollar für ländliche Krankenhäuser bereit. Aber | |
Gesundheitsexperten sagen, das reiche bei Weitem nicht aus, um die | |
Kürzungen auszugleichen. | |
In Clayton macht sich Harold Delancey keine großen Sorgen um seine | |
persönliche Gesundheitsversorgung. Er glaubt nicht, dass Trumps Kürzungen | |
ihm noch etwas anhaben können, so genau habe er das Gesetz allerdings auch | |
nicht gelesen. Der Rentner sorgt sich um diejenigen, die erst vor Kurzem | |
ins Programm für die Geschädigten vom 11. September aufgenommen wurden: Wie | |
sollen sie ihre Arztrechnungen bezahlen, wie überleben, wenn die | |
Finanzierung fehlt? | |
„Herr Delancey, glauben Sie, dass dem Präsidenten die Überlebenden von 9/11 | |
am Herzen liegen?“ | |
Er verstummt kurz und schaut nachdenklich, dann nickt er. | |
„Ich glaube schon. Der Präsident ist ein New Yorker. Er war immer gut zu | |
uns Polizisten.“ | |
13 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Trumps-Gesetzespaket/!6095443 | |
[2] /Trumps-Steuerpaket-knapp-verabschiedet/!6097694 | |
[3] https://www.nytimes.com/2025/07/06/us/north-carolina-medicaid-cuts.html | |
## AUTOREN | |
Marina Klimchuk | |
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