| # taz.de -- Bachmannwettbewerb in Österreich: Endlich Pfeffer | |
| > Am zweiten Tag des Klagenfurter Wettlesens um den Bachmannpreis nimmt die | |
| > Qualität der Texte spürbar zu. Erste Favorit: innen treten auf den | |
| > Plan. | |
| Bild: Natascha Gangl liest aus „Da Sta“ | |
| Nun gibt es sie endlich, die Texte, für die man das alles macht, diesen | |
| ganzen 17-stündigen Literatur-Gewaltmarsch absolviert. Einen | |
| Vollständigkeitsehrgeiz entwickelt, den so mancher Sportfan teilt, der die | |
| Fußball-WM regelrecht ab-schaut, samt aller Underdog-Spiele. | |
| (Underdog-Spiele sind doch der Pfeffer jeder WM! Anm. yawa) Katar gegen | |
| Ecuador, diese Momente gab es durchaus, bei diesem Bachmannwettbewerb, aber | |
| den:die Turniersieger:in – sie hat man womöglich auch schon gesehen. | |
| Natascha Gangl nämlich, die sich in ihrem Text „Da Sta“ an einen Ort in | |
| Mitteleuropa begibt, wo sich die Grenzen dreier Länder treffen. Dahinter | |
| verbirgt sich freilich allerorts das gleiche: weiche, feuchte Erde. | |
| Bedeutung muss erst zugeschrieben werden: „Dazwischen sortiert vor und nach | |
| Gesinnungskataster: Die deutschen, deutschfreundlichen, die gemäßigten und | |
| die radikalen steirischslowenischen, ungarischslowenischen, jüdischen, | |
| deutschsteirischen, deutschslowenischen, die romani, die | |
| deutschwestungarischen, die ungarndeutschen“, heißt es bei Gangl. | |
| Ihre Erzählerin ist mit einem Aufnahmegerät auf der Suche nach den | |
| Verbrechen, die diese Landschaft verbirgt und weiter in sich trägt; die | |
| Gräber sind immer noch da. Die Menschen und ihre Worte haben sich | |
| eingeschrieben in den Boden, sie steigen förmlich auf, sobald jemand darauf | |
| tritt, stehen nun mit im Raum, sofern man sie eben sehen will. Gangl | |
| verbindet aufs Kunstfertigste Mundart und Massenmord, Wasser und Wehrmacht | |
| miteinander: „WE–IN–IA-IUDN, GO?“, fragt einer. „WEIN-INA-IUSDN-O?“… | |
| anderer. Wegen der Juden da? Wen interviewst' denn da? | |
| „Genial“, findet das Sprachspiel Juror Thomas Strässle. Auch die anderen | |
| Jurymitglieder loben Gangl. Es sind zwei Texte an diesem Freitag, die um | |
| den Nationalsozialismus und die in seinem Namen verübten Gesetze kreisen. | |
| Thomas Bissinger nimmt die historischen Niederlande in den Blick. | |
| „Nilpferd“ wird überwiegend positiv aufgenommen, typisch „bissingerisch�… | |
| komme die Sprache daher, urteilt Laura de Weck. Weniger überzeugt zeigte | |
| sich das Juror:innenteam hingegen von Sophie Sumburanes Text, die in | |
| „Sickergrubenblau“ sexuelle Gewalt verhandelt. | |
| ## Professionelle Autor: innenvideos | |
| Was auffällt, in dieser 49. Ausgabe der Tage der deutschsprachigen | |
| Literatur, ist die Professionalität der Autor:innenvideos. Man weiß sich zu | |
| inszenieren, Schnitte sind gekonnt gesetzt, Rückschlüsse auf die eigene | |
| Person werden entweder vermieden (wie im lichtmalerischen Film Gangls) oder | |
| mittels Requisitäten angedeutet. So lässt Josefine Rieks die Kamera ihr | |
| Auge, noch bevor die Autorin selbst ins Bild tritt, auf ein Buch [1][der | |
| sozialdarwinistischen Anti-Kommunistin Ayn Rand] werfen. | |
| Rieks, deren Bücher im rechts-antideutschen XS-Verlag erscheinen, liest aus | |
| ihrem kommenden Roman „Wenn euch das gefällt“ und beschwört in dem Auszug | |
| Erinnerungen an die dunklen Jahre der Popliteratur herauf, im Kontext eines | |
| Milieus, das sich zwanghaft überzeichnet irgendwo zwischen woke und | |
| stumpfsinnig einordnen lässt. „Zero Chardonnay, zero G&T, zero literature“, | |
| urteilt Kastberger („less than zero“ heißt das bei [2][Bret Easton Ellis], | |
| Anm. yawa). | |
| Dass man sein Video auch ganz in den Dienst des eigenen Texts stellen kann, | |
| beweist [3][Kay Matter,] der vermutlich am wenigsten Geld von allen bisher | |
| Lesenden für seine Vorstellung ausgeben hat. Dabei verfügte er als | |
| Theaterautor durchaus über das nötige Handwerkszeug zur rechten | |
| Selbstinszenierung. Matters Einführung beschränkt sich auf die eigene, | |
| unprätentiös vorgetragene Biografie, streift die Mehrsprachigkeit, | |
| Poetologie und die realitätskonstituierende Kraft der Sprache. Es geht hier | |
| um Literatur und Matters Medium ist Wort, nicht Bild. | |
| Auch Matters Lesung hätte Roland Barthes glücklich gemacht, denn hier, so | |
| scheint es, geht es einzig um Text und Story. In einer klaren, nie mit | |
| Idiosynkrasien daherkommenden Sprache (ist letzteres ein Qualitätsurteil?, | |
| Anm. juhu) schildert Matter einen Splitter aus dem Leben Paolos, einem | |
| trans Mann, der ein Probetraining bei der Jungsmannschaft eines | |
| Rudervereins absolviert. Zuerst wähnt man sich in einer konventionellen | |
| Coming-of-Age Story, doch bald wird klar: Paolo ist zehn Jahre älter als | |
| seine 18-jährigen Ruderkumpanen und aufgrund der eigenen Transsexualität | |
| weniger am Rudern interessiert, sondern daran, als halbstarker Mann | |
| wahrgenommen zu werden. | |
| ## Performte Männlichkeit | |
| „Doppelzweier Leichtgewicht“ ist ein Text über Trans-Passing, also das | |
| Bedürfnis als Angehörige:r des Geschlechts gelesen zu werden, dem man | |
| sich tatsächlich zugehörig fühlt. Mit feiner Beobachtungsgabe beschreibt | |
| Matter die kleinen, internalisierten Rituale performter Männlichkeit und | |
| aus Paolos Außenseiterperspektive werden ihre Beliebigkeit – kodifizierte | |
| Handschläge, kleine Gewaltausbrüche und die inflationäre Verwendung von | |
| Männlichkeitsmarkern wie „Bro“ – umso deutlicher. | |
| Die von der Jury kritisierte konventionelle Erzählweise ist in Wirklichkeit | |
| die große Stärke dieses Textes und macht ihn literarisch universell: Man | |
| fühlt sich erinnert an die eigene Jugend, an eigene Erfahrungen des | |
| Außenseitertums. Es geht um das Aufwachsen in einer Gesellschaft, die | |
| derart früh geschlechterspezifisch durchordnet und so auch Cis-Menschen | |
| Luft zum Atmen raubt. In Zeiten, in denen trans Menschen auch in | |
| vermeintlich „aufgeklärten“ Gesellschaften um ihr Leben fürchten müssen, | |
| ein wichtiger, wirkmächtiger Text und neben Gangl klarer Preisfavorit (mal | |
| sehen, Anm. juhu). | |
| 27 Jun 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julia Hubernagel | |
| Yannic Walter | |
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