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# taz.de -- Eröffnung Ingeborg-Bachmann-Preis: Keine neue Welt ohne neue Sprac…
> Die Eröffnung der Tage der deutschsprachigen Literatur stand unter dem
> Stern von Kosteneinsparungen. Nava Ebrahimi verzeichnete Sprachlosigkeit
> angesichts von Krisen.
Bild: Hielt die diesjährige Klagenfurter Rede zur Literatur: Nava Ebrahimi
Klagenfurt taz | „Das gibts doch gar nicht, dieses Klagenfurt, das gibt's
doch nur im Fernsehen!“, rief Rainald Goetz aus, der berühmteste
Nicht-Gewinner des Bachmannpreises 1983, bevor er sich mit einer
Rasierklinge die Stirn – Sie kennen die Geschichte.
Man kann Goetz’ schönen Satz als Koketterie eines jungen Autoren abtun,
doch im Lichte jüngster Klagenfurter Finanzierungsdebatten wirkt er beinahe
wieder prophetisch. Denn seit Jahren gehört es zur Tradition, zu Beginn der
Tage der deutschsprachigen Literatur ihr drohendes Ende auszurufen. Selten
geht es im Vorlauf um die ausgewählte Literatur oder ihre Autor:innen,
sondern vielmehr um die Zukunft des Wettlesens am Wörthersee selbst. In der
Vergangenheit ließ vor allem der ORF an seiner Überzeugung zweifeln, den
Bewerb auch weiterhin im bekannten Format zu ermöglichen.
Lauscht man den Eröffnungsreden der 49. Ausgabe im wohl-temperierten
Landesstudio des ORF Kärnten, erhält man allerdings nicht den Eindruck,
dass irgendjemand ein Interesse daran hätte, das Wettlesen abzuschreiben.
Würdenträger und Sponsoren betonen am Mittwochabend unisono die Wichtigkeit
des Bewerbs, mal für Image und Prestige von Stadt und Land, mal für die
pluralistische Gesellschaft und die Demokratie als Ganzes.
## FPÖ an vorderster Front postmoderner Kulturkämpfe
Christian Scheider, parteiloser Bürgermeister mit FPÖ-Vergangenheit, lässt
sich sogar dazu hinreißen, die kulturelle Vielfalt des Wettbewerbs und
seine Funktion als „Spiegel der Gesellschaft“ zu betonen – durchaus
bemerkenswert, zeigt man sich bei der FPÖ sonst durchweg an vorderster
Front postmoderner Kulturkämpfe.
Nein, zum 99. Geburtstag [1][Ingeborg Bachmanns] könnte man meinen, die
Gerüchte über den Tod des in ihrem Namen ausgetragenen Wettlesens am
Wörthersee seien stark übertrieben.
Bei tropischer, die Sinne vernebelnder Hitze draußen im Bachmannpark, wo
auch die Lesereihenfolge der Nominierten ausgelost wurde, ernten derweil
die meisten halbgaren Reden der Würdenträger und Geldgeber nur müden
Applaus. Denn dass hier etwas faul ist, wird spätestens klar, als
Jurypräsident Klaus Kastberger das Wort ans Publikum richtet.
Entgegen aller Beteuerungen, so Kastberger, steht auch diese Ausgabe unter
dem Druck des allgemeinen Spardiktats – auch, wenn im Kulturbereich viel
nicht mehr einzusparen sei, gerade im Verhältnis zu anderen Budgets.
## Sparregime zeigt Wirkung
Und das Sparregime zeigt Wirkung: Der Klagenfurter Literaturkurs mit seinem
Stellenwert für Nachwuchsautor:innen und die freie Szene: abgeschafft.
Das ehemals mit 7.000 Euro dotierte Stadtschreiberstipendium auf 3.000 Euro
eingekocht und dem ebenfalls in Klagenfurt stattfinden „Carinthischen
Sommer“ untergeordnet: einem Klassikfestival.
Es hat was Komisches, was von der Posse an der Regierung beteiligter,
demonstrierender Politiker:innen, wenn diese plötzlich 150 Prozent Einsatz
für den Erhalt des Bachmannbewerbs versprechen, nur um im nächsten
Augenblick dem Vorsitzenden der als Sponsor auftretenden BKS-Bank das Wort
zu erteilen. Man denkt an Brecht und die Banken und alles fügt sich im Kopf
zu einem schiefen, Sinn höchstens vorgebenden Bild. Bei so viel Eintracht
und kulturellem Problembewusstsein, so scheint es, wird höchstens die Frage
ums Geld und wo es herkommen soll den Wettbewerb noch überleben.
Doch wer ist eigentlich Adressat und Sender dieser Reden?
„17 Stunden live – das ist der Bachmannpreis“, sagt Peter Schöber. Der
Programmleiter des Senders ORF III hebt den Eventcharakter der auch als
„Wettlesen“ bezeichneten Literaturveranstaltung hervor, spricht vom
Bachmannpreis als „größtem Live-Event bei 3sat“, als läute er gerade das
Revival der Mega-TV-Events wie des „Domino Days“ oder der „Wok WM“ ein.
Einen „kleinen Skandal“ würde er sich auch wünschen, schiebt Schöber nac…
Die Selbstinszenierung der Lesenden und Juror:innen gehört zum
Wettbewerb wie die Kritik daran. Zum „Adabei“-Event, so sagt man wohl in
Österreich, sei der Bachmannpreis verkommen, war im Vorfeld bereits zu
lesen.
## Lange her ist die letzte Provokation
Lustig eigentlich, dass man 41 Jahre nach Goetz' Rasierklingenaktion den
Bachmannpreis immer noch mit Skandalen in Verbindung bringt. Am nächsten
kam der Kategorie der Provokation zuletzt 2009 (!) Philipp Weiss, als der
sein Manuskript aufaß. Mit Spannung fieberte man im letzten Jahr dem Ende
[2][der Lesung von Johanna Sebauer] entgegen, die ihren Text über das
„Gurkerl“ veranschaulichte, indem sie ein Gurkenglas vor sich auf den Tisch
stellte. Passiert ist damit allerdings nichts.
Kann Kritik Leben zerstören? Diese Frage muss sich stellen, wer zu einem
Wettbewerb wie den Tagen der deutschsprachigen Literatur anreist; als Autor
wie Jurorin. Man erinnere sich an den Ausbruch Marcel Reich-Ranickis, der
wusste: niemanden interessiert, „was die Frau denkt, was sie fühlt, während
sie menstruiert“.
Karin Struck lief weinend aus dem Saal, als der Logenmeister ihren Text
auch noch als „Verbrechen“ bezeichnete. Auch die Namensgeberin des
Wettbewerbs, Ingeborg Bachmann, kassierte die einzige Kritik, die sie je
wirklich schmerzte, von Reich-Ranicki. So erzählt es zumindest Heinz
Bachmann, der bei der Eröffnung der Bachmanntage Erinnerungen an seine
berühmte Schwester zum Besten gibt.
Leidvoll ging es auch in der diesjährigen Klagenfurter Rede zur Literatur
zu, die [3][die Bachmannpreis-Gewinnerin von 2021, Nava Ebrahimi,] hielt.
Nicht allzu überraschend angesichts all der schwelenden Weltbrände. Als
nicht unbedingt originell muss man auch die Kurzschließung des Haltens
einer Rede mit dem vorgetragenen Scheitern des Schreibens daran bewerten.
Doch wie anders als mit Sprachlosigkeit lässt sich „Drei Tagen im Mai“
begegnen, die Neues zum „Endzeit-Faschismus“ in den USA und zum Sterben in
Gaza hochspülen, wenn im Radio an das Weltkriegsende vor 80 Jahren erinnert
wird, während man selbst auf dem Weg zu einer Beerdigung ist?
## Dystopisierung der Welt
„Beinah täglich bauen wir menschlich ab“, sagt Ebrahimi und beklagt, wie
die Dystopisierung der Welt Einzug hält in die Sprache. Jüngere Beispiele
nennt sie nicht, aber es haben sicher die meisten im Bachmannpark die
Machthaber und ihre verbalen Neujustierungen dessen, was man 2025 wohl
jetzt sagen darf, vor Augen.
Wenn wir alle es schafften, über den Schmerz zu reden, nur eine Stunde
lang, reicht es dann, fragt sich Ebrahimi, fragt sie ihre Zuhörer:innen.
Doch lässt sich die blutende Welt symptomatisch therapieren? Immerhin
lautet die Diagnose nicht auf Phantomschmerz; irgendwo sitzt immer jemand,
der die Pfähle spitzt und in die Welt treibt.
26 Jun 2025
## LINKS
[1] /Briefwechsel-mit-Heinrich-Boell/!6095707
[2] /Bachmannwettbewerb-in-Klagenfurt/!6017832
[3] /Klagenfurter-Literaturtage/!5777550
## AUTOREN
Julia Hubernagel
Yannic Walter
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