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# taz.de -- Wettlesen in Klagenfurt: Mehr Trümmer erwünscht
> Der erste Vorlesetag beim Bachmannpreis brachte Tiger und Christentum,
> Wortakrobatik und Systemwechsel mit sich.
Bild: Zuschauer:innen im Bachmannpark während der Lesung von Nefeli Kavouras
Klagenfurt taz | In Österreich beginnt immer alles mit der Hölle. Das ist
mitnichten Fakt; aber eine Ansicht, die man eben haben kann, und die
jedenfalls Jurymitglied Klaus Kastberger vertritt. In Österreich könne man
nämlich gar nicht anders schreiben, sagt er, als Max Höfler in seinem Text
„Lambada tutto gas“, einer Tirade durchaus Bernhard'schen Einschlags, wären
da nicht die vielen poetologischen Albernheiten. Man bewegt sich
automatisch in einer bestimmten Tradition, liest man als Österreicher laut
und dialektschwanger vor. Den Deutschen bringt schon ein harmloser
Austriazismus wie „Schleich di!“ zum Schmunzeln.
Leicht verwechselt man in Folge Mundart mit Ingeniösität, denn neugeschöpft
hat Höfler im Gegensatz zu den Kolleg:innen Elfriede Jelinek, Gerd Jonke
oder [1][Ferdinand Schmalz] eher weniger. Es gibt Komposita en masse,
Wörter wie „Pillepalle“ und „Kinkerlitzchen“ werden mit Nachdruck
vorgetragen. Immerhin, man freut sich über das Experimentelle, den
Genrefaktor, den Höfler mit seinem Dada-Dokument in den ersten
Wettbewerbstag einbringt.
Fatima Khan, die als erste an diesem Donnerstagmorgen liest, bringt einen
autofiktionalen Text mit, liefert gleich ein Rundumpaket, bei dem
Vorstellungsvideo (in einer Kirche) und Lesung (mit Marienstatue und
gefalteten Händen) zueinander passen.
Es gibt gute Gedanken in „Madonna in den Trümmern“, über christliche
Rebellion gegen den Vater, über Architektur, doch so ganz überzeugen kann
der Text nicht. Brigitte Schwens-Harrant hätte sich „mehr Trümmer“
gewünscht und Philipp Tingler gefallen die Lyrik-Einsprengsel nicht; er sei
aber auch mehr „der prosaische Typ“. Die Stärke des Texts, laut Mara
Delius: „Er ist komplett“.
## Weniger polemisch als konstruktiv
Man geht recht lösungsorientiert heran, an die Juror:innenaufgabe in
Klagenfurt. Und klar, das liegt auch an der Geschichte des Wettbewerbs, der
nach dem Vorbild der Gruppe 47 entstand; Leserunden als Werkstattgespräche.
Den Juror:innen sind die Texte im Vorfeld bekannt, die Statements
vorbereitet, Gefühlsausbrüche wirkten leicht manieriert. Es geht weniger
polemisch als konstruktiv zu – was das Ganze mitunter allerdings auch ein
bisschen langweilig macht.
Man wundert sich dann jedoch umso mehr, welche kategorialen Einteilungen so
vorgenommen werden. Kastberger etwa spricht im Kontext von Nefeli Kavouras'
Geschichte „Zentaur“ vom Genre der „Sterbetexte“ – und dieser sei ein…
besten in den letzten Bachmannjahren gewesen. Man kann Ordnungen natürlich
anhand inhaltlicher Merkmale vornehmen. Mit Kritik im engeren Sinn hat das
jedoch nicht unbedingt etwas zu tun.
Dass es in Klagenfurt in puncto Konstruktivität weniger wie im
Literarischen Quartett als im Literaturinstitut zugeht, wird auch bei der
Lesung Laura Laabs deutlich. Sie erwehrt sich des Vorwurfs, ihr Text sei
auf einen Knalleffekt hin komponiert, meldet sich noch während der
Jurydiskussion zu Wort. Dabei beginnt ihr Text für Bachmann-Verhältnisse
alles andere als kontrovers. Kindheit, Wende und das ostdeutsche Verhältnis
zur Demokratie sind seit Jahren Staples im Kosmos deutschsprachiger
Literatur.
„Adlergestell“ ist die Geschichte einer Mädchenfreundschaft in den
Nachwendejahren. Die Protagonistinnen erleben den Systemwechsel als
kindliche Konsumerfahrung, untermalt von Center-Shocks und Rolf Zuckowsky.
Laabs, die sich vor allem als Regisseurin und Drehbuchautorin verdingt,
weiß, wie man auf filmische Weise erzählt. Wenn die Mädchen durch eine
verlassene NVA-Kaserne streifen und die Freiheiten des neuerlichen
ostdeutschen Vakuums auf ihre Weise nutzen, denkt man an [2][Clemens
Meyer,] an den Optimismus und das böse Erwachen in „Als wir träumten“.
## Der Schluss enttäuscht
Was dann jedoch die Gemüter erhitzt, ist nicht etwa die stellenweise
dahinplätschernde Prosa, sondern vielmehr der Schluss. Denn die
Protagonistin entwickelt sich im Verlauf der Nachwendezeit nicht etwa zu
einer durchdemokratisierten Vorzeigebürgerin, sondern zu einer
Pegida-Anhängerin, die jetzt „neue Parolen gelernt hat“. Doch diese
Entwicklung spart Laabs elliptisch aus und so erfahren wir erst ganz zum
Schluss und ohne Konsequenz für den Text davon.
Mit diesem Faschismus als Deus-Ex-Machina kann die Jury wenig anfangen.
Kritisiert wird die verkürzte Darstellung als Effekthascherei, die viel
Potenzial verschenkt und dem ehrbaren schriftstellerischen Ansatz zuwider
läuft: Ostdeutschland als unerzähltem Raum mit Geschichten zu füllen.
Sehr ambitioniert liest sich auch der letzte Text des ersten
Bachmann-Tages. Verena Stauffers „Jäger von Chitwan“ beschäftigt sich in
der Rahmenhandlung mit einer deutschen Touristin, die durchs nepalesische
Hinterland und seine blutrünstige Tierwelt reist. Stauffer ist Lyrikerin
und das merkt man ihrem Text auch an. Idiosynkratische Bilder bleiben
trotzdem klar und alles hat einen guten, fein gearbeiteten Sound. Der dünne
Plot dient eher als Rahmenhandlung für einen großen eingebetteten Essay,
der sich, nun ja, so ziemlich mit allem beschäftigt.
Um was geht es hier eigentlich?, fragt Jurymitglied Philipp Tingler an
einem Punkt und man fragt es sich auch. Stauffers Poesie ist Nature-Writing
und postmoderne Dekonstruktion zugleich. Am stärksten ist der Text dann,
wenn er sich traut, zu erzählen, von Nepal, von Tieren, von der
vermeintlich gewaltvollen Natur des Menschen. In Stauffers Text spiegelt
sich viel von der Hilflosigkeit, die auch Tenor von Nova Ebrahimis
Eröffnungsrede war. „Die Jäger von Chitwan“ liefert keine Lösungen, sond…
eher eine Kartografie, eine Taxonomie des Grauens gesellschaftlicher
Realitäten unserer Zeit.
26 Jun 2025
## LINKS
[1] /Bachmann-Preistraeger-Ferdinand-Schmalz/!5788076
[2] /Clemens-Meyer-auf-der-Buchmesse/!6041184
## AUTOREN
Julia Hubernagel
Yannic Walter
## TAGS
Ingeborg-Bachmann-Preis
Wettbewerb
Österreich
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Literatur
deutsche Literatur
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