# taz.de -- Projekt „Kunst als ökologische Praxis“: Gemeinsam durch die We… | |
> Der schleswig-holsteinische Kunstort M.1 in Hohenlockstedt ruft im Zuge | |
> des Projekts „Kunst als ökologische Praxis“ zu partizipativen Workshop | |
> auf. | |
Bild: Künstlerisch-ökologische Praxis in Hohenlockstedt: Im April wurden in e… | |
Was hat ein märchenfarbenes Einhorn mit einem Schraubenschlüssel zu tun? | |
Was eine Salatgurkenscheibe mit einem Baum, der sein Laub abwirft? Was eine | |
Schmuckperle mit einer naturwissenschaftlichen Forschungszeichnung? | |
Die Antwort: Sie alle symbolisieren, fotografisch auf einem Tablett | |
arrangiert, den Elementreichtum des prozesshaften Interaktivprojekts | |
„Kunst als ökologische Praxis“, das im M.1, dem Ausstellungsraum der | |
[1][Arthur Boskamp-Stiftung] im schleswig-holsteinischen Örtchen | |
Hohenlockstedt, für Mitte Juli zu einer dreitägigen „Sommer-Assembly“ | |
aufruft. | |
Sie ist, produktiv verrätselt mit „Wandern, Sprechen, Handeln – Queering | |
Landscape & Liquid Ecology“ untertitelt, das zweite der vier | |
jahreszeitlichen Festivals, mit denen uns Kurator Ronald Kolb in einem | |
Programm konfrontiert, das jede Statik meidet, sich stetig im Wandel hält, | |
im Wachstum. | |
18 Monate, bis Sommer 2026, ist Kolb im M.1 zu Gast, um internationale | |
Positionen mit lokaler Ländlichkeit zu vernetzen. „Die Freiheit, die ich | |
dabei habe, ist sehr groß“, sagt Kolb der taz. „Das ist schon speziell. Das | |
gibt es anderswo selten.“ | |
Sein Projekt, Dutzende AkteurInnen stark, aus dem In- wie dem Ausland, vom | |
Workshop bis zur Rauminstallation, von der Performance bis zum Vortrag, von | |
der Exkursion bis zur Diskussion, ist ambitioniert. Es kündigt an, | |
„[2][ökologisches Denken] durch künstlerische und gemeinschaftliche | |
Praktiken umzusetzen“, verspricht „evidenzbasiertes, transversales Wissen | |
zwischen Kunst, Wissenschaft und Alltag zu schaffen“ und prophezeit: „Dazu | |
müssen wir möglicherweise die symbolische Distanz der Kunst verlassen.“ | |
Verkopft klingt das. Und auch wer Kolbs „Kuratorisches Essay“ verstehen | |
will, hat besser einen multiplen akademischen Hintergrund. Wir lernen, dass | |
jeder Wissensprozess „situativ und partiell“ ist, „eingebettet in soziale, | |
historische und physische Kontexte“, werden mit feministischen Denkerinnen | |
konfrontiert, arbeiten uns durch Sätze wie: „Künstlerische Forschung als | |
Praxis weicht sowohl vom künstlerischen Schaffen als rein persönlichem oder | |
verinnerlichtem Ausdruck als auch von kontemplativer Kunst ab, die in | |
distanzierter Beobachtung verharrt.“ | |
Aber das muss nicht abschrecken, denn die Assembly ist zugleich | |
niedrigschwellig. Es gibt eine Kooperation mit einer örtlichen Fischzucht, | |
es gibt Gartenbesuche. Für eine Geschmacksbibliothek werden Pflanzen | |
gesammelt. Es werden Wasserproben analysiert. Es wird gemeinsam gekocht. | |
„Das ist ein sehr bewusster Spagat“, sagt Kolb. Welten treffen hier | |
aufeinander, zeigt das: Praxis und Denküberbau, Internationalität und | |
Lokales. | |
Wer außerhalb des Dreitages-Festivals kommen will, tut das besser später im | |
Jahr. Mehr und mehr füllt sich bis dahin der Ausstellungsraum. Lene | |
Markusens Indoor-Mural, das die Assemblys künstlerisch dokumentiert, | |
wächst fortlaufend. Das tut auch Camilla Berners „Undiscovered Garden“, f�… | |
den lokale AkteurInnen Unkräuter und Wildpflanzen inszenieren und | |
fotografieren. „Das Zentrale sind die Festivals“, sagt Kolb. „Das sind | |
intensive Tage.“ | |
Kolb sieht sein Projekt als „offenes, diverses Angebot“, als Chance, | |
Diskursverhärtungen aufzubrechen und das Thema [3][Ökologie,] „das leider | |
derzeit gesellschaftlich an den Rand gedrängt wird, obwohl es eigentlich | |
jeden von uns ganz unmittelbar betrifft“, von der Klimakrise bis zur | |
Umweltzerstörung, nicht „durch die Rechten vereinnahmen zu lassen“. | |
Seine kuratorische ist also auch eine politische Tat. Und das umso mehr, | |
als in Hohenlockstedt bei der Bundestagswahl 2025 der Zweitstimmenanteil | |
der [4][AfD] alarmierende 27,6 Prozent betrug. Inmitten dieses Denkens | |
landet Kolbs Kunst wie ein Raumschiff. Und das funktioniert: „Viele | |
Menschen hier“, sagt Kolb, „sind für unser Projekt wirklich | |
aufgeschlossen.“ | |
## Ein Ort der Konversion | |
Hinzu kommt: Das M.1 ist ein Ort der Konversion. Es hat militärische | |
Wurzeln, im 1872 errichteten preußischen Truppenübungsgelände Lockstedter | |
Lager, das später die [5][NS-Diktatur] übernahm. Heute pazifiziert die | |
Boskamp-Stiftung den Ort durch Kulturarbeit. | |
Durch das M.1 ist Hohenlockstedt, ein paar Dutzend Kilometer nordwestlich | |
von Hamburg gelegen, zwischen viel Feld und ein wenig Wald, auf die | |
Landkarte der Kunst gelangt. Im Juli reicht das von dem skurril klingenden | |
Fisch-Workshop „How to Carp?“ von Dea López und Emilio Hernández Martínez | |
bis zu Michael Hiltbrunners Vortrag „Mutualismus“, der aufzeigt, wohin | |
Symbiosen führen, auch jenseits der Biologie. | |
Kolbs Ökobotschaften werden übrigens in Sichtweite des örtlichen Rewe und | |
Aldi gesendet. Das hat besondere Pikanz: Wer zusammen kocht, macht sich | |
Gedanken über die Herkunft und Herstellung der Nahrungsmittel. Und das | |
sind oft Gedanken, bei denen Supermärkte nicht allzu gut wegkommen. | |
9 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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