# taz.de -- Annäherung von Armenien und Türkei?: Historischer Besuch mit marg… | |
> Armeniens Staatschef Paschinjan besucht seinen türkischen Amtskollegen | |
> Erdoğan. Er kommt als Bittsteller: Denn sein Land braucht dringend | |
> Konzessionen von dem übermächtigen Nachbarn. | |
Bild: Eigentlich ein historischer Moment: Die Staatschefs von Armenien und Tür… | |
Istanbul taz | Es war ein historischer Besuch mit einem bitteren | |
Beigeschmack für den armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan: | |
Angesichts der Kriege ringsherum wurde der erste Besuch, den ein | |
armenischer Staatschef beim „historischen Feind“ Türkei seit der Gründung | |
des armenischen Staates nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 absolvierte, | |
öffentlich kaum wahrgenommen. | |
Mitten in der Krisendiplomatie rund um den Krieg von Israel und USA gegen | |
den Iran gewährte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan dem | |
armenischen Regierungschef Paschinjan am Freitagabend eine knappe Stunde im | |
Dolmabahçe-Palast in Istanbul. Erstaunlich, dass das Treffen überhaupt | |
zustande kam – denn Paschinjan kam eindeutig als Bittsteller. | |
Einhundertzehn Jahre nach dem Völkermord an den Armeniern im Osmanischen | |
Reich versucht Paschinjan nun, Erdoğan dafür zu gewinnen, dass dieser sich | |
für einen annehmbaren Frieden Armeniens mit Aserbaidschan einsetzt. Dieser | |
soll dem kleinen Armenien etwas Luft zum Atmen lassen und seine Existenz | |
sichern. Im Krieg 2023 verlor Armenien den Krieg um [1][die | |
jahrhundertelang armenisch besiedelte, völkerrechtlich aber auf | |
aserbaidschanischem Gebiet liegende Enklave Bergkarabach] mit dem engen | |
Türkei-Verbündeten Aserbaidschan. | |
Nun will [2][Aserbaidschans autokratischer Führer İlham Əliyev] einem | |
Friedensvertrag mit Armenien nur unter zwei Bedingungen zustimmen: Wenn die | |
Armenier ein für allemal auf Karabach verzichten und außerdem einer Teilung | |
des Landes zustimmen, durch die Aserbaidschan eine direkte Landverbindung | |
zu seiner Exklave Nachitschewan bekommen würde. Diese ist durch einen | |
Streifen armenischen Landes von aserbaidschanischem Staatsgebiet getrennt. | |
## Armenien in einer ökonomischen Zwickmühle | |
Aus ökonomischen Gründen braucht das völlig isolierte Armenien dringend | |
eine Öffnung der Grenze zur Türkei, damit es sich endlich in den | |
internationalen Warenverkehr einbringen kann. Bislang hat das zwischen | |
Aserbaidschan und der Türkei eingeklemmte Armenien nur zwei offene Grenzen: | |
nach Georgien und in den Iran. Auch wenn viele Armenierinnen und Armenier | |
sich weigern, die brutale Realität anzuerkennen: Das Land befindet sich | |
doch in einer prekären Lage. Russland, bis 2023 faktische Schutzmacht | |
Armeniens, weigerte sich damals, Armenien im Kampf gegen Aserbaidschan | |
beizustehen. | |
Nun versucht die Regierung Paschinjan, Anschluss an den Westen zu bekommen. | |
Doch niemand will sich des kleinen, armen Landes annehmen. Die EU hat eine | |
bescheidene Beobachtermission geschickt – und ein weiterer Prozess der | |
Heranführung an Europa ist nicht in Aussicht. Und die USA, schon gar nicht | |
unter Präsident Donald Trump, wollen sich nicht in den russischen Hinterhof | |
im Kaukasus einmischen. | |
In dieser Situation muss Armenien auf vieles verzichten. Statt wie in den | |
vorangegangenen Jahrzehnten die Anerkennung des Völkermordes durch die | |
Türkei zur Voraussetzung für eine diplomatische Normalisierung zu machen, | |
hat Paschinjan im Gegenteil erklärt: Armenien werde seine diplomatischen | |
Bemühungen für eine internationale Anerkennung des Völkermordes einstellen. | |
## Deutschland hält sich aus dem Konflikt raus | |
Deutschland hatte erst 2016, nach jahrelangen Debatten rund um den | |
Gedenktag [3][„Hundert Jahre Völkermord 2015“], im Bundestag eine für die | |
Regierung nicht bindende Resolution verabschiedet, in der erstmals [4][die | |
Massaker an den Armeniern als Völkermord benannt wurden] und die | |
[5][deutsche Mitverantwortung] zugegeben wurde. | |
Deutsche Unterstützung für Armenien ist daraus nicht entstanden. Im | |
Gegenteil: Deutschland und die EU beziehen Öl und Gas aus Aserbaidschan und | |
halten sich aus dem Konflikt lieber heraus. Es liegt nun ganz in der Hand | |
von Erdoğan, wie es weitergeht. Nach dem Treffen verbreitete sein Büro | |
lediglich eine kurze Erklärung, man werde den Friedensprozess zwischen | |
Armenien und Aserbaidschan unterstützen. Ein mageres Ergebnis dafür, dass | |
Paschinjan diese bittere Reise auf sich genommen hat. | |
22 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Wolf Wittenfeld | |
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