| # taz.de -- Tagebuch aus Armenien: Wir wollen Arzach nicht vergessen | |
| > Über 100 Jahre nach dem Genozid an den Armeniern geht die Unterdrückung | |
| > weiter. Ein Festival im Berliner Gorki-Theater will die Kultur am Leben | |
| > erhalten. | |
| Bild: Ein Foto von Nazik Armenakyan, aus der Serie „Red, Black White“ (2021) | |
| Nazik [1][Armenakyan] packt ihren Koffer. Neben persönlichen Gegenständen, | |
| Alben und Postkarten steckt die Fotografin duftenden Estragon und | |
| traditionelle Süßigkeiten in ihr Reisegepäck, etwa Walnüsse in eingekochtem | |
| Traubensaft. | |
| Armenakyan nimmt all das mit nach Berlin. Sie will es einem guten | |
| armenischen Freund schenken, der dort lebt. Er soll den Geschmack und den | |
| Geruch der Heimat nicht vergessen. Armenakyan, [2][die auf dokumentarische | |
| Fotos spezialisiert ist], weiß, dass Erinnerung wichtig ist, dass sie | |
| manchmal das Einzige ist, was einen Menschen, dem alles genommen wurde, | |
| weiterleben lässt. | |
| Am Donnerstag war der 24. April. Für die meisten Menschen ein Tag wie jeder | |
| andere, aber nicht für uns Armenier:innen. Am 24. April 1915, also vor 110 | |
| Jahren, begann im Osmanischen Reich der Genozid am armenischen Volk. An | |
| diesem Tag wurden etwa [3][300 armenische Intellektuelle ermordet]. | |
| Aber der Völkermord geschah nicht nur an diesem Tag. Er wurde systematisch | |
| geplant und durchgeführt. Insgesamt wurden 1,5 Millionen Armenier:innen | |
| deportiert, massakriert, getötet. | |
| ## Die Vertreibung nach dem Genozid | |
| Mittlerweile scheint es, als ob 110 Jahre genügen könnten, um Frieden zu | |
| schließen und um zu überleben. Vielleicht. Vielleicht wäre das so, wenn | |
| sich die Geschichte nicht wiederholte. Doch sie wiederholt sich. Seit mehr | |
| als 30 Jahren versucht Aserbaidschan, Arzach von der armenischen | |
| Bevölkerung zu säubern. Wir nennen unsere Heimat Arzach, was andere | |
| Bergkarabach nennen. [4][Im Jahr 2023 konnte Aserbaidschan dieses Ziel | |
| erreichen]. Da wurde die gesamte armenische Bevölkerung Arzachs, 120.000 | |
| Menschen, gewaltsam vertrieben. Sie wurden zu Flüchtlingen und Obdachlosen. | |
| Die meisten konnten kaum etwas mitnehmen. Einige eine Handvoll Erde, die | |
| sie an ihre Heimat denken lässt. Oder ein Foto, das sie erinnert. Geblieben | |
| sind Sehnsucht, Schmerz und Trauer. Die geflohenen Menschen bemühen sich, | |
| nun in Armenien zu leben. Es ist ein Versuch, der allerdings nicht gelingt. | |
| Denn der Staat, der die Sicherheit dieser Menschen garantieren sollte, | |
| [5][hat sie im Stich gelassen] und lässt sie mit Krieg, Armut und | |
| Dunkelheit allein – wie vor 110 Jahren. An jedem Tag wird in Arzach die | |
| Erinnerung an die armenische Präsenz in diesem Land ausgelöscht. | |
| Allerdings verschwindet die Erinnerung nicht so ganz. In diesem Jahr ist | |
| Berlin der Ort der Erinnerung – rund 3.800 Kilometer von der Heimat | |
| entfernt. Das Maxim Gorki Theater bringt über 150 Künstler:innen | |
| zusammen. Im Rahmen des Festivals „[6][100 + 10 – Armenian Allegories]“ | |
| wird vom 24. April bis zum 31. Mai an die Armenier:innen, ihre Geschichte | |
| und ihr Erbe erinnert – mit Hilfe von [7][Fotografie, Film, Theaterstücke | |
| und Literatur]. | |
| Nazik Armenakyan gehört zu den renommiertesten Künstlerinnen des Landes. | |
| Sie dokumentiert die Geschichte und Gegenwart ihres Heimatlands im | |
| Südkaukasus. Sie sagt: „Bei diesem Festival geht es um die aufstrebende | |
| künstlerische Sprache der Kultur in Armenien und darum, wie wichtig es ist, | |
| dass wir die Welt aus unserem immer enger werdenden Zuhause mit weit | |
| geöffneten Augen betrachten.“ | |
| [8][Sona Martirosyan] ist Journalistin und lebt in Jerewan (Armenien). Sie | |
| war Teilnehmerin eines [9][Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung]. | |
| Aus dem Armenischen von [10][Tigran Petrosyan]. | |
| Finanziert wird das Projekt von der [11][taz Panter Stiftung]. | |
| 24 Apr 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.4plus.org/author/nazik/ | |
| [2] /Ueberlebender-ueber-Genozid-an-Armeniern/!5010924 | |
| [3] /Bildung-zu-Voelkermord-an-Armenierinnen/!6006673 | |
| [4] /Massenflucht-aus-Bergkarabach/!5961130 | |
| [5] /Deutschland-traegt-Mitschuld/!5952965 | |
| [6] https://www.gorki.de/de/100plus10 | |
| [7] https://www.gorki.de/de/future-imperfect-armenian-art-from-the-aftermaths | |
| [8] /Archiv/!s=&Autor=Sona+Martirosyan/ | |
| [9] /taz-Panter-Stiftung/!v=e4eb8635-98d1-4a5d-b035-a82efb835967/ | |
| [10] /!a22524/ | |
| [11] /Panter-Stiftung/Spenden/!v=95da8ffb-144e-4a3b-9701-e9efc5512444/ | |
| ## AUTOREN | |
| Sona Martirosyan | |
| ## TAGS | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| taz Panter Stiftung | |
| Völkermord Armenien | |
| Schwerpunkt Konflikt zwischen USA und Iran | |
| Armenien | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Iranische Geflüchtete in Armenien: Im Tal der Ungewissheit | |
| Wegen der unsicheren Situation in ihrer Heimat harren viele Iraner:innen | |
| im benachbarten Armenien aus. Dort herrscht Angst vor einer Eskalation des | |
| Konflikts. | |
| Annäherung von Armenien und Türkei?: Historischer Besuch mit marginalem Ergeb… | |
| Armeniens Staatschef Paschinjan besucht seinen türkischen Amtskollegen | |
| Erdoğan. Er kommt als Bittsteller: Denn sein Land braucht dringend | |
| Konzessionen von dem übermächtigen Nachbarn. | |
| Tagebuch aus der Ukraine: Kurze Geschichte über eine Traktoristin zu Kriegszei… | |
| Warum unsere Autorin in Odesa nicht mehr von Akkordeonklängen geweckt | |
| wird. Und weshalb ihre Nachbarin nun für die Landwirtschaft ausgebildet | |
| wird. | |
| Tagebuch aus Estland: Bedrohliche Töne wehen über den Fluss | |
| Die Narva trennt die gleichnamige estnische Stadt vom russischen Iwangorod. | |
| Das Gefühl der Angst ist dort gewachsen, auch unter Russ:innen. | |
| Tagebuch aus Kirgistan: Ausgeliefert sogar in der Sauna | |
| Im April wurden 59 kirgisische Migranten aus einem Badehaus gezerrt. „Nicht | |
| ungesetzlich“, sagen die Behörden. Alltag für Kirgis:innen in Russland. | |
| Tagebuch aus Nowyi Rosdil: Endlich wieder Ukrainerin | |
| Unsere Autorin ist 33 Jahre alt, doch 27 Jahre lebte sie in Russland und in | |
| Georgien, mit russischem Pass. Sie kämpfte sich zurück in ihre Heimat. | |
| Tagebuch aus Lettland: Kein Heim in der neuen Heimat | |
| Unser Autor musste von Belarus nach Lettland fliehen. Ein neues Gesetz | |
| seines Gastgeberlandes erinnert ihn an seine alte Wohnung in Minsk. | |
| Tagebuch aus Armenien: Wie der High-Heel-Dance nach Jerewan kam | |
| Armenien ändert sich. Nicht zuletzt durch Russ:innen, die einwandern. | |
| Plötzlich gibt es Hundesalons, Skilifts und einen sehr merkwürdigen Tanz. |