| # taz.de -- Tagebuch aus Lettland: Kein Heim in der neuen Heimat | |
| > Unser Autor musste von Belarus nach Lettland fliehen. Ein neues Gesetz | |
| > seines Gastgeberlandes erinnert ihn an seine alte Wohnung in Minsk. | |
| Bild: Eine lettische Fahne weht am Freiheitsdenkmal in Riga | |
| Ich bin ein unabhängiger belarussischer Journalist, und ich bin ein | |
| Flüchtling. Die belarusische Regierung hat mich aus meinem Heimatland | |
| herausgepresst wie den Korken aus einem Schaumwein. Es gibt mehr als | |
| 500.000 Menschen wie mich. Das entspricht etwa der Bevölkerung von Leipzig | |
| oder Essen. | |
| Wir, die wir vor [1][Alexandr Lukaschenkos] Regime geflohen sind, leben nun | |
| in verschiedenen Teilen der Welt und haben Heimweh, es ist den neuen | |
| Ländern nicht einfach. Und dabei geht es nicht nur um Gefühle. | |
| In meinem früheren Leben kannte ich einen Mann aus [2][Belarus], der sich | |
| [3][Chips] in die Hände implantieren ließ, um keine Haus-, Garagen- oder | |
| Büroschlüssel dabei haben zu müssen. NFC-Sensoren von der Größe eines | |
| Reiskorns befanden sich unter der Haut zwischen Zeigefinger und Daumen | |
| seiner rechten Hand. Im Alltag sah das futuristisch aus: Ein Mann winkt mit | |
| der Hand, und ein elektronisch-mechanisches Schloss öffnet vor ihm die Tür. | |
| Das ist spektakulär, aber ich lebe lieber klassisch. Ich bin einer, der die | |
| Türen mit einem Schlüssel öffnet. Ich mag es auch, Schlüsselanhänger mit | |
| einem -bund zu kombinieren. Zum Beispiel habe ich im Moment einen | |
| Schlüsselanhänger, der wie die verkleinerte Kopie eines Minsker | |
| U-Bahnwagens wirkt. Es ist das Werk des im Exil lebenden belarussischen | |
| Künstlers Andrei Busel. Dessen neue Heimat befindet sich in [4][Vilnius]. | |
| ## Ein Schlüssel, ein Anhänger, eine Wohnung | |
| Der von Busel geschaffene Schlüsselanhänger erinnert mich an zu Hause. In | |
| meiner Heimatstadt Minsk habe ich noch eine Dreizimmerwohnung, in der wir | |
| mit meiner Familie gelebt haben. Nun wohnen wir in einer Stadt in Lettland. | |
| Wenn man mit Kindern in ein fremdes Land flieht, scheint der Umzug von | |
| einer Wohnung in eine andere nicht mehr ein so großes Abenteuer zu sein. | |
| Vor zwei Jahren verabschiedeten die Machthaber in [5][Minsk] ein Gesetz, | |
| das den Umtausch von belarussischen Pässen in Botschaften und Konsulaten | |
| verbietet. Zugleich hat das Lukaschenko-Regime auch die Gültigkeit von | |
| Vollmachten aufgehoben. Sie wissen, wie sie Druck ausüben können. | |
| Während Belarus:innen auf der Flucht sind, werden ihre Immobilien als | |
| Geiseln gehalten. Einer Bekannten von mir, die auf Facebook immer wieder | |
| Lukaschenko kritisiert, wurde kürzlich ihr Ferienhaus in der Nähe von Minsk | |
| beschlagnahmt. | |
| In Lettland können wir frei atmen, sagen, was wir denken, und haben keine | |
| Angst, wenn jemand an die Tür klopft. Wir leben nun schon seit vier Jahren | |
| hier und haben uns gut eingerichtet. Wir sprechen Lettisch auf einem | |
| Grundniveau und machen uns mit den Gesetzen des Landes vertraut. | |
| Kürzlich hat das lettische Parlament in erster Lesung einen Gesetzesentwurf | |
| gebilligt, der es Bürger:innen von Belarus und Russland verbietet, in | |
| Lettland Immobilien zu erwerben. Die zweite Lesung steht noch aus. Das ist | |
| es, was mich heute beunruhigt. | |
| Einerseits habe ich nicht das Geld, um mir in Lettland eine Immobilie zu | |
| kaufen. Es ist wahrscheinlich möglich, sein ganzes Leben lang in gemieteten | |
| Wohnungen zu leben. Schließlich machen Millionen Menschen es so. | |
| Aber die Situation ist so, dass meine Wohnung in Belarus als Geisel | |
| fungiert, während in Lettland dieses Gesetz verabschiedet wird. Ich werde | |
| also nie wieder eine Wohnung kaufen können, selbst wenn ich eine Million im | |
| Lotto gewönne. | |
| Eine weitere Erinnerung daran, dass wir hier Gäste sind. | |
| Kirill Turowski ist ein Journalist aus Belarus, er lebt derzeit im Exil in | |
| Lettland. Er war Teilnehmer eines [6][Osteuropa-Workshops der taz Panter | |
| Stiftung]. | |
| Aus dem Russischen von [7][Tigran Petrosyan]. | |
| Finanziert wird das Projekt von der [8][taz Panter Stiftung]. | |
| 11 Apr 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Alexander-Lukaschenko/!t5023767 | |
| [2] /Belarus/!t5697369 | |
| [3] /Landwirtin-ueber-smarte-Technik/!5863814 | |
| [4] /Gaby-Coldewey-Vor-der-Tuer/!6012508 | |
| [5] /Minsk/!t5012730 | |
| [6] /taz-Panter-Stiftung/!v=e4eb8635-98d1-4a5d-b035-a82efb835967/ | |
| [7] /!a22524/ | |
| [8] /Panter-Stiftung/Spenden/!v=95da8ffb-144e-4a3b-9701-e9efc5512444/ | |
| ## AUTOREN | |
| Kirill Turowski | |
| ## TAGS | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Belarus | |
| taz Panter Stiftung | |
| Social-Auswahl | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Schwerpunkt Krisenherd Belarus | |
| Schwerpunkt Krisenherd Belarus | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| taz Panter Stiftung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Tagebuch aus Lettland: Zum Shoppen ausgerechnet nach Belarus | |
| In vielen lettischen Städten liegen belarussische Waren ganz normal in den | |
| Auslagen – trotz Sanktionen. Der Handel mit dem Minsker Regime läuft gut. | |
| Politische Gefangene in Belarus: Trump und Lukaschenko, ein abgekartetes Spiel | |
| Belarus’ bekanntester Polithäftling Sergej Tichanowski wurde einen Monat | |
| lang „gemästet“, bevor er jetzt freikam – als Teil eines politischen Dea… | |
| Politische Gefangene: Belarus lässt bekannte Regimegegner frei | |
| Nach einem Treffen mit dem US-Sondergesandten Kellogg entlässt Lukaschenko | |
| 14 Oppositionelle aus der Haft, darunter den Mann der Oppositionsführerin. | |
| Tagebuch aus der Ukraine: Kurze Geschichte über eine Traktoristin zu Kriegszei… | |
| Warum unsere Autorin in Odesa nicht mehr von Akkordeonklängen geweckt | |
| wird. Und weshalb ihre Nachbarin nun für die Landwirtschaft ausgebildet | |
| wird. | |
| Tagebuch aus Kirgistan: Ausgeliefert sogar in der Sauna | |
| Im April wurden 59 kirgisische Migranten aus einem Badehaus gezerrt. „Nicht | |
| ungesetzlich“, sagen die Behörden. Alltag für Kirgis:innen in Russland. | |
| Tagebuch aus Armenien: Wir wollen Arzach nicht vergessen | |
| Über 100 Jahre nach dem Genozid an den Armeniern geht die Unterdrückung | |
| weiter. Ein Festival im Berliner Gorki-Theater will die Kultur am Leben | |
| erhalten. | |
| Tagebuch aus Nowyi Rosdil: Endlich wieder Ukrainerin | |
| Unsere Autorin ist 33 Jahre alt, doch 27 Jahre lebte sie in Russland und in | |
| Georgien, mit russischem Pass. Sie kämpfte sich zurück in ihre Heimat. | |
| Tagebuch aus Armenien: Wie der High-Heel-Dance nach Jerewan kam | |
| Armenien ändert sich. Nicht zuletzt durch Russ:innen, die einwandern. | |
| Plötzlich gibt es Hundesalons, Skilifts und einen sehr merkwürdigen Tanz. | |
| Tagebuch aus Georgien: Wenn der Staat zuschlagen lässt | |
| Unser Autor lebt in Tblissi, sein Cousin auch. Der stellt sich vor | |
| Wahllokale, um die Opposition einzuschüchtern. Georgiens Regierung findet | |
| das gut. | |
| Tagebuch aus Kasachstan: Lachen hilft. Immer | |
| In Kasachstan steht ein Satiriker vor Gericht. Unser Autor fragt sich, wann | |
| auch das Lachen verboten wird, dieses befreiende Lachen über gute Witze. |