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# taz.de -- Tagebuch aus Georgien: Wenn der Staat zuschlagen lässt
> Unser Autor lebt in Tblissi, sein Cousin auch. Der stellt sich vor
> Wahllokale, um die Opposition einzuschüchtern. Georgiens Regierung findet
> das gut.
Bild: Mächtiger Protest: Demonstration vor dem georgischen Parlament
Jeden Abend versammeln sich in den Vororten von [1][Tbilissi] Gruppen
junger Männer vor Imbissbuden. Schwarz gekleidet hocken sie auf dem
Bürgersteig, der Geruch von Marihuana umgibt sie. Ihre Anwesenheit ist zur
Gewohnheit geworden. Sie sind nicht einfach nur Herumlungerer, sie sind
vielmehr Teil eines wachsenden kriminellen Netzwerks – und zwar als
Straßenkämpfer der Behörden. Man nennt sie Titushkis. Ihre kriminelle
Engergie setzen diese Leute zum Nutzen der georgischen Polizei und der
Streitkräfte ein.
Das gibt es auch in meiner Familie. Am [2][Wahltag, den 26. Oktober 2024],
zog mein Cousin Georgy seine Kapuze hoch und ging zum Wahllokal. Er wollte
nicht seinen Stimmzettel in die Urne werfen, sondern er wurde dafür
bezahlt, draußen zu stehen und die Anhänger der Opposition einzuschüchtern.
Dazu sagte er kein Wort. Das war auch nicht nötig – seine bloße Anwesenheit
genügte, um die Leute vom Wahllokal fernzuhalten. Er hat etwa 100 Euro am
Tag verdient, aber Geld war für ihn zweitrangig. Es ging ihm um Loyalität,
darum, seine Treue zu seinem Netzwerk zu beweisen.
Die Aktion ging jedoch weit über die Einschüchterung von Wählern hinaus.
Nach den umstrittenen Wahlergebnissen und der Entscheidung der Regierung,
die Integration in die EU zu stoppen und mit Russland zu kuscheln, gingen
bis heute [3][Tausende Demonstrant:innen] auf die Straße.
## Und die Polizei schaut einfach zu
Maskierte Schläger lauerten in den Gassen und griffen die
Demonstrant:innen an. Ein Video zeigt, wie ein Journalist und sein
Kameramann zu Boden geschlagen werden und einer der Angreifer auf den Kopf
des am Boden liegenden Mannes eintritt. Ein anderes Video zeigt, wie
Schauspieler angegriffen werden und die Polizei dabei einfach zusieht.
Keiner der Angreifer wurde festgenommen.
Es handelt sich nicht nur um kriminelle Gruppen oder Einzeltäter, sondern
es ist eine Truppe, die vom Staat geduldet und gefördert wird.
Ein Lied des georgischen Rappers Zaza Nozadze, das Kriminalität, Herrschaft
und traditionelle Männlichkeit verherrlicht, ist in Schulen in ganz
Georgien zu einer Art Hymne geworden. Im Text heißt es: „Ein bisschen
ruhig, ein bisschen frech, so ist mein Viertel. Drei Farben lieben wir –
schwarz, schwarz und schwarz“. Sogar der Bürgermeister von Tbilisi teilte
den Song auf TikTok.
Bei dieser Allianz von georgischer Regierung und kriminellen Netzwerken
geht es nicht nur um die Kontrolle der Straßen. Es ist auch ein Versuch,
die Gesellschaft selbst umzugestalten. Durch die Förderung von Gewalt
zerstört der Staat demokratische Normen und stärkt eine ultra-maskuline
autoritäre Kultur. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, läuft Georgien nicht
nur Gefahr, von seinem Weg nach Europa abzukommen, sondern sich auch in
einen Mafia-Staat zu verwandeln, in dem die Macht nicht durch das Gesetz,
sondern durch rohe Gewalt bestimmt wird. Eine Gesellschaft also, in der
mein Titushka-Cousin mehr Anerkennung erhält als ich als kritischer
Journalist.
[4][Tornike Mandaria] lebt und arbeitet als Journalist in Tbilisi. Er war
Teilnehmer eines [5][Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung].
Aus dem Russischen von [6][Tigran Petrosyan].
Finanziert wird das Projekt von der [7][taz Panter Stiftung].
28 Mar 2025
## LINKS
[1] /Tiflis/!t5028562
[2] /Wahlen-in-Georgien/!6042753
[3] /Proteste-in-Georgien/!6050307
[4] /Tornike-Mandaria/!a158138/
[5] /taz-Panter-Stiftung/!v=e4eb8635-98d1-4a5d-b035-a82efb835967/
[6] /!a22524/
[7] /Panter-Stiftung/Spenden/!v=95da8ffb-144e-4a3b-9701-e9efc5512444/%20
## AUTOREN
Tornike Mandaria
## TAGS
Kolumne Krieg und Frieden
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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