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# taz.de -- Politische Gefangene in Belarus: Trump und Lukaschenko, ein abgekar…
> Belarus’ bekanntester Polithäftling Sergej Tichanowski wurde einen Monat
> lang „gemästet“, bevor er jetzt freikam – als Teil eines politischen
> Deals.
Bild: Endlich frei: Sergej Tichanowski, weißrussischer Oppositionsaktivist, in…
Vilnius/Berlin taz | Am frühen Morgen des 21. Juni landet in Minsk ein
amerikanisches Flugzeug mit dem US-Sonderbeauftragten Keith Kellogg an
Bord. Für den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko ist Kellogg
der höchste Staatsbesuch seit den offenkundig gefälschten Wahlen von 2020.
„Wen sehe ich da?!“, begrüßt Lukaschenko mit strahlendem Gesicht den
pensionierten Generalleutnant der US-Armee. „Mein Freund!“, antwortet
Kellogg. Es folgen Umarmungen.
„Mit Ihrer Ankunft haben Sie weltweit für Aufruhr gesorgt“, erklärt der
belarussische Diktator vor den staatlichen TV-Kameras. „Wir leben in sehr
gefährlichen Zeiten, in denen sich die aktuellen Krisen schnell verschärfen
und ausweiten können, wenn wir nicht mit Weisheit und Gerechtigkeit
vorgehen“, sagt Trumps Emissär.
Auf belarussischem Staatsgebiet garantiere er ihm vollständige Sicherheit,
lässt Lukaschenko den hochrangigen Gast wissen. Beim Treffen ist auch ein
Dolmetscher und ein KGB-Mitarbeiter anwesend. Lukaschenko spricht kein
Englisch. Und bald wird klar, wozu der KGB-Mitarbeiter dabei ist.
## Donald Trump dankt Präsident Trump
Nur zehn Stunden später wird weltweit vermeldet: [1][Sergei Tichanowski,
der wichtigste politische Gefangene in Belarus, ist frei.] Und nur wenige
Minuten nachdem belarussische Exilmedien die Freilassung von insgesamt 14
Personen vermeldet hatten, erscheint aus Litauens Hauptstadt Vilnius das
erste Video, auf dem Sergej Tichanowski seine Frau Swetlana Tichanowskaja
umarmt.
„Sergej ist frei. Er ist bei mir und meinen Kindern. Es ist das
eingetreten, wovon unsere Familie all die fünf Jahre geträumt hat und wofür
wir seit seiner Verhaftung gekämpft haben“, schreibt Tichanowskaja später
auf Telegram. „Die Freilassung von Sergei ist ein Schritt zur Befreiung
aller politischen Gefangenen und ganz Belarus. Wir danken allen für die
enorme Unterstützung.“
Noch in der Nacht zum Sonntag veröffentlicht US-Präsident Donald Trump ein
Foto von Tichanowski in den Armen seiner Frau und kommentiert selber:
„Danke, Präsident Trump!“
2020 hatte Sergei Tichanowski für das Präsidentenamt in Belarus kandidieren
wollen. Ende Mai 2020 wurde er bei einer legalen Wahlkampfkundgebung in
Grodno festgenommen. Zwei Monate später erklärte Lukaschenko, Tichanowski
habe versucht, in Belarus einen Maidan-Aufstand nach ukrainischem Vorbild
zu organisieren. Er durfte nicht antreten und [2][wurde im Dezember 2020 zu
18 Jahren Strafkolonie verurteilt].
An seiner Stelle trat seine Ehefrau Swetlana Tichanowskaja bei den Wahlen
im August 2020 an. Das Lukaschenko-Regime weigerte sich, ihren mutmaßlichen
Wahlsieg anzuerkennen. [3][Tichanowskaja musste nach Litauen ausreisen.]
## Fünf Jahre Haft, davon zwei in vollständiger Isolation
Massenproteste in Belarus wurden brutal niedergeschlagen. Fünf Jahre hat
Tichanowski seitdem hinter Gittern verbracht, die letzten zwei Jahre in
vollständiger Isolation: in einer Einzelzelle, ohne das Recht auf
Briefverkehr oder Telefonkontakte.
Am Sonntag, den 22. Juni, tritt Sergej Tichanowski in einem Konferenzsaal
in Vilnius ans Mikrofon. Er ist hager und ausgezehrt – und strahlt. Schnell
ist er von Tränen überwältigt. Der stattliche, große Mann, so haben ihn
viele Belarussen in Erinnerung, sieht nun aus wie ein Häftling aus dem
Gulag.
„Das Regime ist brutal“, sagt er unter Tränen. „Das ist keine
Gerechtigkeit. Das ist ein System, das darauf ausgelegt ist, die Würde zu
zerstören.“
Seine Freilassung sei vorbereitet worden, erzählt Tichanowski. Vor etwa
einem Monat habe man begonnen, ihn zwangsweise zu ernähren „Im letzten
Monat haben sie mich richtig gemästet. Es gab Butter, Eier, Quark und immer
doppelte Rationen. Können Sie sich vorstellen, wie ich bis dahin ausgesehen
hatte?“
## Seine Kinder erkannten ihn nicht
Der schwerste Moment nach seiner Freilassung sei das Wiedersehen mit seinen
Kindern gewesen. „Sie standen vor mir – und erkannten mich nicht. Sie sahen
mich nur an wie einen Fremden. Fünf Jahre sind für ein Kind eine Ewigkeit.“
Tichanowski ist überzeugt, dass er Teil eines politischen Spektakels
geworden ist. [4][Während politische Gefangene im Gefängnis sterben und
andere körperlich und seelisch gebrochen werden], posiert Lukaschenko nun
vor den Kameras und prahlt mit seiner „Menschlichkeit“.
Der kommende Monat dürfte entscheidend sein, so Tichanowski. Es könnten
alle politischen Gefangenen freigelassen werden. Im Gegenzug wolle der
Diktator die Aufhebung der internationalen Sanktionen gegen Belarus
erreichen.
## „Freilassung ausschließlich aus humanitären Gründen“
Sergei Tichanowski sei ausschließlich aus humanitären Gründen freigelassen
worden, um die Familie zusammenzuführen, sagt Lukaschenkos
Pressesprecherin. Das sei auf Bitte des US-Präsidenten geschehen.
Nach Angaben der litauischen Behörden sind unter den vierzehn
Freigelassenen fünf Belarussen, ein Schwede, ein Este, zwei japanische,
zwei lettische und drei polnische Staatsbürger. Einer von ihnen ist Igor
Karnej, Journalist von Radio Liberty.
Er berichtet, dass sie alle wenige Tage zuvor aus ihren Gefängnissen und
Strafkolonien abgeholt wurden, ohne Begründung, mit Säcken über den Köpfen.
Zunächst nahmen sie an, sie würden einfach verlegt oder zu Verhören
gebracht. Einige wurden sogar direkt aus der Haft nach Litauen gebracht,
ohne dass sie sich noch von Angehörigen hätten verabschieden oder
persönliche Dinge mitnehmen können, berichtet er.
Swetlana Tichanowskajas Chefberater Franak Viačorka sagt dem in Belarus
verbotenen Online-Portal Zerkalo, man habe mit der Freilassung von zehn bis
zwanzig Personen gerechnet. „Wer genau freigelassen wird, wird in Minsk
entschieden und dort entscheiden sie in letzter Minute. Wir fordern immer
wieder die Freilassung aller politischen Häftlinge. Aber die Entscheidung
darüber liegt leider beim belarussischen Regime. Dieses Mal wurden vor
allem diejenigen freigelassen, die Beziehungen zu anderen Ländern haben,
entweder, weil sie Doppelstaatler sind oder mit ausländischen Medien
gearbeitet haben. Wir erwarten immer mehr, aber bekommen immer weniger, das
Regime ändert die Regeln im letzten Augenblick.“
## Trump braucht Lukaschenko für Ukraine-Friedensgespräche
Aber wozu braucht Trump Lukaschenko? Juri Drakochrust, politischer Analyst
von Radio Liberty, weist auf die Umstände hin: Trumps
Ukraine-Friedensgespräche seien in eine Sackgasse geraten. Die USA könnten
versuchen, Lukaschenko dafür zu nutzen, aus dieser Sackgasse
herauszukommen.
„Trumps politischer Stil ist es, nach ungewöhnlichen, manchmal riskanten
Wegen aus Sackgassen zu suchen. Der Besuch von Keith Kellogg in Minsk
könnte ein Schritt in diese Richtung sein“, schreibt er.
Von einem „bedeutenden diplomatischen Erfolg für Minsk“ spricht der
Politologe Artyom Schraibman. „Im Grunde genommen sprechen die Amerikaner
nun wieder auf derselben Ebene mit Lukaschenko, auf der sie vor den
Ereignissen von 2020 miteinander in Kontakt standen. Dafür konnte man schon
einen der wichtigsten politischen Gefangenen freilassen. Zumal die
belarussischen Exil-Politiker aktuell kaum etwas in Belarus selber bewirken
können.“ Igor Tour vom staatlichen belarussischen TV-Sender ONT ist davon
überzeugt, dass „Lukaschenko wieder alle übertroffen hat“.
Für Tichanowski ist seine Freilassung nur der erste Schritt. In Vilnius
wendet er sich an seine Landsleute: „Wenn ihr auf ein Zeichen gewartet
habt, hier ist es“, sagt er und hebt seine geballte Faust in die Luft – das
Symbol der Proteste von 2020.
Dann sagt er noch: „Ich bin absolut davon überzeugt, dass die Befreiung von
Belarus nicht beginnen kann, solange das Putin-Regime nicht zusammenbricht.
Absolut. Ohne Putin wären wir jetzt nicht hier. Alles wäre 2020 oder 2021
vorbei gewesen. Davon bin ich fest überzeugt.“
Aus dem Russischen [5][Gaby Coldewey]
Alexandrina Glagoljewa ist Alumna mehrerer [6][internationaler Workshops
der taz Panter Stiftung].
Glafira Zhuk ist [7][Panter-Refugium-Stipendiatin 2025] , das
Auszeit-Programm der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen.
23 Jun 2025
## LINKS
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[2] /Repressionen-in-Belarus/!5822384
[3] /Belarussische-Oppositionelle/!5920531
[4] /Politische-Gefangene-in-Belarus/!6064489
[5] /Gaby-Coldewey/!a23976/
[6] /Osteuropa-Workshop-Fruehjahr-2024/!6003986
[7] /Refugium-Stipendium-2025/!vn6093534
## AUTOREN
Alexandrina Glagoljewa
Semjon Radziwill
Glafira Zhuk
## TAGS
Schwerpunkt Krisenherd Belarus
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Wladimir Putin
Belarus
Kolumne Krieg und Frieden
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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