| # taz.de -- Iranische Geflüchtete in Armenien: Im Tal der Ungewissheit | |
| > Wegen der unsicheren Situation in ihrer Heimat harren viele | |
| > Iraner:innen im benachbarten Armenien aus. Dort herrscht Angst vor | |
| > einer Eskalation des Konflikts. | |
| Bild: Der Aras-Fluss im Südkaukasus trennt Iran (links) und Armenien (rechts) | |
| Agarak/ Jerewan taz | Angespannt läuft Armin den Stacheldrahtzaun ab, | |
| versucht, die Umrisse der eben Angekommenen zu erkennen, die im | |
| Niemandsland zwischen den Grenzposten schwere Koffer über den heißen | |
| Asphalt schleifen: nichts. Seit Tagen hat Armin, der eigentlich anders | |
| heißt, nicht richtig geschlafen. Aus Sorge um seine Mutter, die in Teheran | |
| von israelischen Bomben überrascht wurde. „Ich bin wütend auf sie, weil sie | |
| dort so lange ausgeharrt hat“, sagt der junge Mann. Dass US-Präsident | |
| Donald Trump vergangene Woche plötzlich eine Waffenruhe angekündigt hat – | |
| so recht glauben kann das wenige Stunden später an der armenisch-iranischen | |
| Grenze kaum jemand. | |
| Auch Armin mag den Nachrichten nicht trauen. Sie erreichen ihn kurz nach | |
| seiner Landung am Flughafen in der armenischen Hauptstadt Jerewan, wo er in | |
| der Nacht in ein Taxi in Richtung der iranischen Grenze steigt. Sieben | |
| Stunden, das letzte Stück bergauf, bergab. Bis zum Aras-Fluss, der sich im | |
| tiefsten Süden Armeniens durch sein Tal unter spitz-braunen Bergen | |
| schlängelt und die Kaukasusrepublik vom Iran trennt. Armin lebt heute in | |
| Schweden, rund acht Jahre sei er schon nicht mehr in seinem Geburtsland | |
| Iran gewesen. Weil er, der keinen Wehrdienst geleistet hat, dort sonst | |
| Stress mit den Behörden bekommen würde. Nun trennen Armin nur wenige Meter | |
| von Iran. Und wenige Minuten vom Wiedersehen mit seiner Mutter. | |
| Hunderte, vermutlich Tausende Menschen aus Iran sind während der | |
| vergangenen zwei Kriegswochen über die Grenze ins Dorf Agarak nach Armenien | |
| geflüchtet. Darunter auch viele Doppelstaatler:innen, | |
| Arbeitsmigrant:innen und ausländische Tourist:innen. Am Dienstag | |
| kommen dort noch immer viele Menschen an, vollbepackt mit Tüten und | |
| Rucksäcken, auch zwei kleine Hunde und eine Katze sind dabei. | |
| Polizeistreifen fordern herbeigeeilte Taxifahrer per Lautsprecher dazu auf, | |
| die Straße nicht zu blockieren. Personal der kanadischen und deutschen | |
| Botschaft steht mit roten Warnwesten zur Unterstützung bereit. Unter ihnen | |
| allen herrscht Ungewissheit: Kommt die Feuerpause wirklich? Und wenn ja, | |
| wird sie halten? | |
| ## Ist es sicher? | |
| Ein junges Paar aus Teheran, das mit seiner kleinen Tochter bereits seit 20 | |
| Stunden unterwegs ist, lädt seine Taschen in den Kofferraum eines | |
| Minivans. „Hätten wir nur vorher vom Waffenstillstand erfahren“, zischt | |
| die Mutter: „Wir wären im Iran geblieben.“ Eine Gruppe chinesischer | |
| Studierender will bereits umkehren. „Jetzt ist es doch wieder sicher“, | |
| sagen sie. Zwei armenische Taxifahrer drehen derweil das Radio lauter, der | |
| Nachrichtensprecher berichtet von Verstößen der Waffenruhe und Beschuss. | |
| Die meisten Angekommenen wollen trotzdem weiter ins Landesinnere – Trump | |
| hin oder her. Zum Abwarten. Und zum Ausruhen. Einige kaufen nach Tagen ohne | |
| stabiles Handy-Netz und Internetzugang schnell noch eine armenische | |
| SIM-Karte am Kiosk, bevor sie in einen der Wagen steigen. | |
| Eigentlich sind es um diese Jahreszeit iranische Tourist:innen, die die | |
| Grenze passieren, oder Armenier:innen, die das Nachbarland besuchen wollen | |
| – visumfrei. Das christliche Armenien und die Islamische Republik sind | |
| Verbündete und enge Handelspartner. So schieben sich immer mehr Lastwagen | |
| mit gelben iranischen Kennzeichen die armenischen Serpentinen hinauf, je | |
| näher man der Grenze kommt. Verkaufsbuden entlang des Weges bieten | |
| selbstgebrauten Pflaumenschnaps und Wodka auf Farsi an. Und in den Hotels | |
| und Gästehäusern der Region werden zum Frühstück neben Rührei, Feigen und | |
| Aprikosenmarmelade russischer Joghurt und iranischer Tee serviert. | |
| Über die Geflüchteten aus Iran äußern sich die armenischen Bewohner:innen | |
| im Grenzgebiet gegenüber der taz durchweg positiv. Man stehe sich in | |
| Krisenzeiten eben zur Seite. Trotzdem nutzen einige Menschen die Not der | |
| anderen aus. 300 US-Dollar kassieren Taxifahrer von der Grenze bis nach | |
| Jerewan, etwa dreimal so viel wie gewöhnlich. Davon berichteten der taz in | |
| den vergangenen Tagen mehrere Menschen, die sich bis in die Hauptstadt | |
| durchgeschlagen hatten, um von dort ins weiter entfernte Ausland zu reisen. | |
| So wie Farzaneh, eine Rentnerin, die seit ihrem zwanzigsten Lebensjahr in | |
| den USA lebt und nur für einen Besuch nach Iran zurückgekehrt war. Wie alle | |
| Menschen in diesem Text möchte sie aus Sorge vor Konsequenzen für sich und | |
| ihre Angehörigen in Iran lieber anonym bleiben. „Um ehrlich zu sein, habe | |
| ich mich über den Angriff auf Iran gefreut“, sagt sie der taz in der | |
| Wartehalle des Flughafens. Das verhasste Regime müsse geschwächt und am | |
| besten so schnell wie möglich zu Fall gebracht werden. Die hohen Preise, | |
| unter denen die Menschen leiden, die Unfreiheit, vor allem für Frauen – | |
| damit müsse endlich Schluss sein. | |
| Zwei Sitzreihen weiter warten derweil Hussein und Maryam aus Teheran auf | |
| ihren Flug nach Griechenland, wo eines ihrer Kinder lebt. Ja, als | |
| Geschäftsmann wünsche sich Hussein ein Ende der Sanktionen und ein freies | |
| Land. „Aber doch nicht durch Bomben“, sagt er. „Niemand hat während der | |
| Busfahrt nach Armenien auch nur ein Wort gesagt“, erinnert sich seine Frau | |
| unter Tränen. Alle seien zu bestürzt und sorgenvoll gewesen, wie es nun | |
| weitergehen soll. Was sie sich für die Zukunft Irans wünsche, sei | |
| eigentlich ganz einfach: „Wir wollen keine Geburtstage und Feiertage mehr | |
| über Whatsapp mit unseren Lieben feiern, weil junge Menschen das Land | |
| verlassen und keine Zukunft für sich in Iran sehen.“ Ob und wann sie wieder | |
| nach Iran zurückkehren wollen, wissen sie noch nicht. | |
| ## Angst vor Aserbaidschans Reaktion | |
| Die nun verkündete Waffenruhe sorgt auch unter Armenier:innen für ein | |
| wenig Entspannung. Nicht nur die Angst vor den Folgen möglicher atomarer | |
| Strahlung war hier in den vergangenen Tagen groß. Sondern auch die Sorge, | |
| dass Armeniens östlicher Nachbarstaat Aserbaidschan den Krieg seines | |
| Verbündeten Israel in der Region ausnutzt und den Süden Armeniens angreifen | |
| oder gar besetzen könnte. | |
| Obwohl die beiden Ex-Sowjetrepubliken im März bekanntgaben, sich nach über | |
| 30 Jahren des bewaffneten Konflikts auf den Text eines Friedensabkommens | |
| geeinigt zu haben, lässt die Unterzeichnung und Umsetzung auf sich warten. | |
| Außerdem erhebt Aserbaidschan seit einigen Jahren Anspruch auf einen | |
| Korridor durch den Süden Armeniens, der Baku mit seiner Exklave | |
| Nachitschewan und damit direkt mit der Türkei verbinden soll. Wie genau | |
| dieser sogenannte Sangesur-Korridor aussehen und wer ihn kontrollieren | |
| soll, darüber herrscht viel Unklarheit. Fest steht aber, dass ein solches | |
| Vorhaben die wichtige Handelsverbindung zwischen Armenien und Iran | |
| beeinflussen würde. Auch das ist einer der vielen ungelösten Konflikte in | |
| der Nachbarschaft, der jederzeit erneut eskalieren könnte. | |
| Noch aber rollen armenische und iranische LKW über die Grenze, vorbei an | |
| den eintreffenden Menschen aus Iran, die den Übergang zu Fuß passieren. Als | |
| sich die taz von Armin verabschiedet, ist er gerade am Telefon mit seiner | |
| Mutter. Sie hat es bis zum letzten Kontrollpunkt auf der iranischen Seite | |
| geschafft. Nur noch ein kleines Stück, dann könne er sie nach all dem | |
| Kummer der vergangenen Wochen endlich in seine Arme schließen. | |
| 29 Jun 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna-Theresa Bachmann | |
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