# taz.de -- Erster CSD in Merseburg: Feiern und demonstrieren trotz Bedrohung | |
> Gewalt gegen queere Menschen nimmt zu. Doch der CSD im Süden | |
> Sachsen-Anhalts verlief ruhig. Die Polizei war mit erhöhter Präsenz vor | |
> Ort. | |
Bild: Mehr als 300 Menschen liefen bei der ersten Pride durch Merseburg | |
Merseburg taz | Sie suchen Schutz, denn es ist heiß in der Sonne mitten auf | |
dem Markt in Merseburg. Rund 300 Menschen sind es, die am Samstag zum | |
ersten Christopher Street Day im Saalekreis, im Süden von Sachsen-Anhalt, | |
gekommen sind. Doch statt zur Musik vor der Bühne zu tanzen, rücken die | |
bunt angezogenen und aufwendig geschminkten Teilnehmer:innen im | |
Schatten der Bäume und Häuser am Rand zusammen. | |
Mehrere Stände auf dem Markt bieten Infos zu Initiativen aus der Gegend, im | |
Zelt in der Mitte gibt es Sonnencreme für alle und am Ende des Platzes | |
kostenlose Getränke. Trotz der Hitze, die Stimmung ist gut und bleibt es | |
bis zum Schluss. Immer wieder ertönt aus dem Schatten Beifall für die | |
Redebeiträge auf der Bühne. | |
Als erster tritt der junge Max aus Merseburg von der Linken an das | |
Mikrofon. [1][Im April ging ein Video von dem 16-Jährigen] viral, in dem er | |
sich auf einer Querdenken-Demo gegen Geschichtsvergessenheit aussprach. | |
Dafür erntete er viel Hass und Bedrohungen. Zur Sicherheit wird sein | |
Nachname und auch der von anderen in diesem Text nicht genannt. | |
Am Samstag kritisiert Max unter anderem die Bundesregierung, weil sie zum | |
Verbot des CSD in Budapest schweige. Der Druck auf Queere sei aber nicht | |
nur in Budapest hoch, sondern auch in Merseburg. Wie Max benennen andere | |
Redner:innen die Sorge, dass Rechtsextreme den CSD angreifen. Rund um | |
den Markt steht Polizei. | |
## „Wir hatten sehr viele Sorgen“ | |
Es ist erst wenige Tage her, dass ein Mann in Wernigerode im Harz – | |
ebenfalls Sachsen-Anhalt – [2][angekündigt hatte, mit „70 Schuss“ auf dem | |
dortigen CSD] aufzutauchen. „Es soll ja wehtun“, soll er gesagt haben. Bei | |
einer darauffolgenden Durchsuchung entdeckte die Polizei dann zwei | |
Schreckschusswaffen und eine Softair bei ihm Zuhause. Die | |
Ermittlungsbehörden zweifeln zwar daran, dass das eine ernstgemeinte | |
Drohung war. Doch 70 Schuss fanden sie bei ihm. | |
Am Mittwoch danach hatte die Polizeiinspektion angekündigt, sie werde in | |
Merseburg die Zahl der Einsatzkräfte erhöhen, um einen friedlichen Ablauf | |
des CSDs zu sichern. Eine konkrete Bedrohung gebe es nicht. Doch eine | |
grundsätzliche ist Gefahr da. Während des CSDs am Samstag stellt die | |
Polizei in der Innenstadt noch mobile Zufahrtssperren auf die Straßen. | |
Auf dem Marktplatz in Merseburg sitzt Izzy vom Organisationsteam des CSDs | |
unter einem Zelt im Schatten. Für das Sicherheitskonzept habe es enge | |
Absprachen mit der Polizei gegeben, berichtet sie. „Wir hatten sehr viele | |
Sorgen, aber bisher ist alles gut gelaufen.“ Das bleibt bis zum Abend so. | |
## Vernetzung im ländlichen Raum | |
Organisiert hat den CSD in Merseburg ein lokales Bündnis aus | |
Einzelpersonen. Sie wollten sich von [3][großen, kommerziellen | |
CSD-Strukturen abgrenzen], heißt es in einer Selbstbeschreibung. Sponsoring | |
von großen Firmen ist nicht zu sehen. Stattdessen solle der CSD | |
ermöglichen, dass sich Queere im ländlichen Raum um Merseburg vernetzen. | |
Eine Idee, die offenbar Konfliktpotential birgt. | |
Am Abend zuvor veröffentlichte das Orga-Team des CSDs in Merseburg ein | |
umfassendes Statement. Darin erklärt es die Zusammenarbeit mit dem CSD | |
Sachsen-Anhalt für beendet. Der landesweit aktive Verein unterstützt vor | |
allem CSDs in kleineren Städten des Landes bei der Anmeldung und | |
Organisation. Laut dem Orga-Team in Merseburg, habe CSD-Sachsen-Anhalt | |
dabei über die lokalen Bedürfnisse hinweg entschieden und eine | |
Kommerzialisierung vorangetrieben. | |
Kurz darauf teilte der CSD Sachsen-Anhalt in einem eigenen Statement mit, | |
man respektiere, dass der CSD Merseburg die Zusammenarbeit beenden wolle. | |
Der landesweite Verein wolle sich nicht weiter „aktiv beteiligen“. | |
Allerdings wies er die Kritik von sich: an einer Spaltung bestehe kein | |
Interesse, die Abläufe der Zusammenarbeit seien falsch dargestellt. | |
Ein paar Minuten nach 14 Uhr formieren sich die Teilnehmer:innen für | |
die erste Pride durch Merseburg. In der Dom- und Hochschulstadt leben etwas | |
mehr als 36.000 Einwohner:innen. Wie genau die Route verläuft, hatten die | |
Veranstalter:innen nicht veröffentlicht. Als es losgeht, beschallt ein | |
Lautsprecherwagen die Demonstration. Manchmal bläst kühlender Wind in die | |
Regenbogenfahnen, auf einem selbstbemalten Banner steht das Motto: Queer, | |
laut, solidarisch. | |
## Straftaten gegen queere Menschen sind gestiegen | |
Polizeiautos begleiten die Parade. Auch Beamte in Zivil sichern den CSD ab. | |
Eine Sprecherin der Polizei bestätigt gegenüber der taz, es gehöre zum | |
Sicherheitskonzept, dass die Polizei aktiv das Gespräch mit Personen rund | |
um die Demo sucht, die augenscheinlich zum rechten Spektrum gehören. Sie | |
würden gefragt, ob sie teilnehmen wollten. Wenn nicht, würden sie | |
aufgefordert, weiterzugehen. | |
Im vergangenen Jahr haben Straftaten gegen queere Menschen zugenommen, laut | |
dem kürzlich vom Bundeskriminalamt veröffentlichten Bericht zur politisch | |
motivierten Kriminalität in Deutschland. 2024 erfasste die Polizei demnach | |
1.765 Straftaten im Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung. 2023 waren | |
es noch 1.499 Fälle. Außerdem gab es letztes Jahr der Polizei zufolge 1.152 | |
Straftaten wegen der „Geschlechtsbezogenen Diversität“, also Straftaten | |
gegen trans, inter und nichtbinäre Personen. | |
Deutschlandweit für Aufsehen sorgten 2024 rechtsextreme Demonstrationen | |
gegen CSDs, [4][etwa im sächsischen Bautzen]. Die Polizei ließ dort mehr | |
als 600 Neonazis und Rechtsextreme nur wenige hundert Meter in Sicht- und | |
Hörweite hinter dem CSD marschieren. Aus Sicherheitsbedenken sagten die | |
Veranstalter:innen eine geplante After-Show-Party kurzfristig ab. | |
In Merseburg gibt es am Samstag keine rechtsextreme Gegendemo. Nach etwas | |
mehr als einer halben Stunde in praller Sonne durch Wohnviertel, über die | |
Bundesstraße in die Innenstadt, kommt die Demonstration am Bahnhof bei | |
ihrer Zwischenkundgebung an. Schnell sitzen die meisten | |
Teilnehmer:innen wieder unter einem großen Baum im Schatten. Dann | |
näheren sich drei Jugendliche. | |
Noch bevor sie die Demo erreichen, stehen zwei Polizeibeamte zwischen den | |
Jugendlichen und dem CSD, und fordern sie auf, weiterzugehen. Doch die drei | |
wollen nicht, setzen sich kurz auf eine Bank und pöbeln undeutlich in | |
Richtung des CSDs. Als sich die Demo wieder in Bewegung setzt, formt einer | |
der Jugendlichen mit seinen Fingern kurz die bei Rechtsextremen beliebte | |
White-Power-Geste, wie zum Abschied. | |
## Ermittlung wegen Hitlergruß | |
Ohne weitere Pöbeleien läuft die Pride zurück zum Markt. Später kommt es | |
noch zu einer Auseinandersetzung mit einem 62-Jährigen. Er soll zwei | |
Teilnehmer:innen des CSDs beleidigt haben. Als Polizist:innen dazu | |
kommen, wird er laut und verwendet er mehrfach den Hitlergruß. Die | |
[5][Beamten ermitteln deswegen] gegen ihn. | |
Auf der Bühne bahnt sich währenddessen eine Diskussionsrunde an: Akteure | |
aus der Zivilgesellschaft und Politiker:innen aus dem Landtag sprechen | |
über queere Sichtbarkeit und wie sich die Gesellschaft wandelt. Vor der | |
Bühne hört ein Mann zu, der sich Olaf Wunderbar nennt. Um 4 Uhr am Morgen | |
sei er an der Ostsee losgefahren, um rechtzeitig beim ersten CSD in | |
Merseburg zu sein, sagt er. Seine Schuhe, seine Hose, sein Sakko und sein | |
Schirm, alles erinnert an einen Regenbogen. | |
Jedes Jahr fährt Wunderbar zu verschiedenen CSDs in Deutschland. 2025 waren | |
es bislang zehn, so erzählt er es am Samstagnachmittag auf dem Markt. Wenn | |
es um CSDs geht, ist Wunderbar quasi Experte. Wie ihm der CSD in Merseburg | |
gefalle? „Für das erste Mal und das heiße Wetter ist das super.“ Das gro�… | |
Polizeiaufgebot habe allerdings widersprüchliche Gefühle in ihm ausgelöst. | |
Einerseits habe er das gute Gefühl, beschützt zu werden. Andererseits habe | |
er aber auch das ungute Gefühl, dass dieser Schutz für queere Menschen | |
nötig ist. Doch trotz der Bedrohungen in Wernigerode oder Bautzen sei es | |
ihm wichtig, zu CSDs zu fahren. Er habe sich 32 Jahre lang nicht | |
eingestanden, dass er schwul sei. „Damals hätte ich eine Person gebraucht, | |
die mich da herausführt“, sagt Wunderbar. „Und die Person, die ich da | |
gebraucht hätte, möchte ich heute sein.“ | |
15 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Dagegenhalten-gegen-Rechts/!6081477 | |
[2] /Bedrohung-mit-Schreckschusswaffen/!6090262 | |
[3] /Queere-Bewegungen/!6089089 | |
[4] /CSD-in-Bautzen/!6029166 | |
[5] https://www.sachsen-anhalt.de/bs/pressemitteilungen/polizei?tx_tsarssinclud… | |
## AUTOREN | |
David Muschenich | |
## TAGS | |
Christopher Street Day (CSD) | |
Sachsen-Anhalt | |
Queer | |
Schwerpunkt Neonazis | |
Schwerpunkt LGBTQIA | |
GNS | |
Rechtsextremismus | |
Sachsen-Anhalt | |
Schwerpunkt USA unter Trump | |
Christopher Street Day (CSD) | |
Reiner Haseloff | |
Christopher Street Day (CSD) | |
Kolumne Änder Studies | |
Christopher Street Day (CSD) | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
CDU-Politiker Wolfgang Böhmer ist tot: Ein knorrig-sympathischer Landesvater | |
Wolfgang Böhmer war Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Meistens stand er | |
drüber. Nur einmal musste er sich bei den ostdeutschen Frauen | |
entschuldigen. | |
Transrechte in den USA: Regierung darf Geschlecht im Pass nicht ändern | |
Trump wollte transsexuellen und nicht-binären US-Amerikaner:innen keine | |
Pässe mehr ausstellen. Eine US-Bundesrichterin hat das vorerst verhindert. | |
Wachsende Queerfeindlichkeit: Regensburger CSD muss wegen Bedrohung umgeplant w… | |
Die Zahl queerfeindlicher Angriffe in Deutschland steigt. Nun wird auch der | |
CSD in Regensburg bedroht und die Veranstaltung muss umgeplant werden. | |
Bei AfD-Wahlsieg: Reiner Haseloff denkt laut über Flucht nach | |
Fast sein ganzes Leben verbrachte Sachsens-Anhalts Ministerpräsident in | |
seiner Heimat. Sollte dort jedoch die AfD regieren, würde er vielleicht | |
umziehen. | |
Unterstützung nach Drohungen: 100.000 Euro für Schutz von Christopher-Street-… | |
Die Amadeu Antonio Stiftung und die Kampagnenplattform Campact wollen CSDs | |
finanziell unterstützen, die sich von Angriffen rechter Gruppen bedroht | |
sehen. | |
CSDs in Kleinstädten: Überlasst das Partymachen nicht den Nazis! | |
Es braucht linke Kultur und Pride nicht nur in Köln und Dresden. Unser*e | |
Kolumnist*in tritt deshalb auch in Kleinstädten auf. | |
Queere Bewegungen: Mehr als nur Glitzer | |
Die CSD-Saison beginnt und unser Autor ist genervt: Über Marsha P. Johnson | |
weiß kaum jemand Bescheid, hypersexualisiert und unpolitisch findet er die | |
meisten Paraden. |