Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Dokumentarfilm John Lennon und Yoko Ono: Ein gewisses Gefühl von C…
> Das Star-Paar schaut im Bett ganz viel Fernsehen: Kevin Macdonalds
> collagenartiger Dokumentarfilm-Essay „One to One: John & Yoko“ ist ein
> Kunstwerk.
Bild: Yoko Ono, Kyoko Ono Cox und John Lennon, hier in einer Szene aus dem Film…
Um den speziellen Flair der frühen 1970er Jahre zu erfassen, taugt eine
Figur wie [1][A. J. Weberman] besonders gut. Der Autor und Aktivist gilt
als Erfinder der Begriffe „Dylanology“ und „garbology“, weil er
medienwirksam diese beiden Dinge zusammenbrachte: 1971 durchforstete er in
New York Mülltüten, die angeblich aus Bob Dylans Apartment stammten, und
kommentierte seine Fundstücke vor laufender Kamera. Dass Dylan vermeintlich
Clorox-Reinigungsmittel benutzt und das Tabloid-Blatt Daily News liest,
dienten ihm als Belege dafür, dass Dylan auf dem besten Weg dazu sei, zum
Reaktionär zu werden.
In diesem überkandidelten Aktivismus, der die Selbstinszenierung zentral
setzte, sehen andere wiederum einen wesentlichen Grund für das, was als
Scheitern der Sixties-Counterculture-Bewegung empfunden wurde.
In Kevin Macdonalds Dokumentarfilm-Essay „One to One: John & Yoko“ spielt
Weberman eine Nebenrolle, gehört er doch in das Umfeld um Jerry Rubin und
dessen „Youth Party“, in dem sich John Lennon und [2][Yoko Ono] verorteten,
als sie 1971 London verließen und ins New Yorker Greenwich Village zogen.
Wie Macdonald – und sein Co-Regisseur und Cutter Sam Rice-Edwards – im
montagehaften Schnitt von Radio- und TV-Interviews der beiden aus jener
Zeit deutlich machen, gab es für diesen Umzug zweierlei Motive.
Zum einen war es eine Flucht vor der britischen Öffentlichkeit und Presse,
die Yoko Ono als Schuldige an der Beatles-Auflösung ausmachten und nicht
davor zurückschreckten, sie persönlich anzugehen und etwa als „ugly jap“ …
diffamieren. (Und ja, man kann darin eine unselige und speziell misogyne
Tradition der britischen Tabloids erkennen, die sich bis zur Behandlung
von Meghan Markle fortsetzt). Zum anderen wollten John und Yoko „etwas
tun“. Soll heißen: sich politisch einbringen, gegen den Krieg und für
Frieden kämpfen und der damals Post-68 diagnostizierten „Apathie“ der
jungen Menschen entgegenwirken.
Geplant war unter anderem ein großes Solidaritätskonzert, bei dem auch
[3][Bob Dylan] mit auftreten sollte. Nur dass dieser sich weigerte, weil er
eben nicht mit Weberman zusammenarbeiten wollte, von dem er sich „harassed“
fühlte. Immerhin, und das ist nur eines jener vielen Fundstücke, die diesen
Film zu einer wahren Schatzgrube machen, gelingt es John Lennon irgendwann,
Weberman dazu zu überreden, Dylan einen Entschuldigungsbrief zu schreiben.
Kurz sieht es so aus, als ob es mit der Sensation von Dylan und Lennon auf
einer Konzertbühne doch noch klappen würde. Aber dann zerschlägt sich die
Sache wieder. Wie so vieles in jener Zeit.
## Musikinstrumente, Schallplatten, Riesenaschenbecher
18 Monate lebten John & Yoko in dem Zweizimmerapartment im Village, dessen
Inneneinrichtung Macdonald für seinen Film eigens rekonstruierte, um mit
der Kamera atmosphärisch darin einzutauchen. Man sieht Musikinstrumente,
Schallplatten, einen Riesenaschenbecher auf dem Boden herumliegen, alles
Dinge, die auf ihre Weise ein Bild der Epoche malen. Nicht minder
ikonografisch ist auch das große Bett, auf dem sich das Paar oft
fotografieren ließ, mit dem Fernsehapparat am Fußende.
Das Fernsehen zählte zu den Hauptbeschäftigungen von John und Yoko, wie man
sie in Tondokumenten freimütig zugeben hört. Regisseur Macdonald macht das
scheinbar wahllose Hin- und Herschalten zwischen Sendungen und Sendern
gewissermaßen zum Organisationsprinzip seines Films. Abrupt wechselt er von
Szene zu Szene, von einem Archivaufnahmenschnipsel zum nächsten, von
Nachrichten mit Walter Cronkite zu Ausschnitten aus einer grellen
Spiele-Show, von ernsthaften Talkrunden zu erschütternden Straßenreportagen
oder Kriegsberichten aus Vietnam. Und dazwischen natürlich immer wieder
Werbung.
Fast könnte man sentimental werden, wenn man merkt, welche
Schlüsselfunktion das Fernsehen damals noch einnahm, die es heute nicht
mehr hat. Ein Durchzappen durch die Kanäle führte durch die
unterschiedlichsten Milieus einer Gesellschaft und konnte einem das Gefühl
eines Abtauchens in deren Unbewusstes vermitteln.
## Die Nachrichten waren damals auch nicht entspannt
Anders als wir in unserer von der Meldungsflut auf Social Media
überforderten Gegenwart zu denken gewillt sind, war die Nachrichtenlage
damals auch nicht gerade entspannt. Da gab es die gewaltsame
Niederschlagung des Gefängnisaufstands im Attica State Prison, das 43
Menschen das Leben kostete. Der stadtbekannte Mafioso Joe Gallo wurde in
einem Restaurant in Manhattan beim Geburtstagsdinner erschossen, in
Brooklyn raubte John Wojtowicz eine Bank aus mit der Absicht, Geld für die
geschlechtsanpassende Operation seiner Transpartnerin zu erpressen (was
Sidney Lumet kaum drei Jahre später zu „Hundstage“ mit Al Pacino in der
Hauptrolle verfilmte).
In Maryland schoss ein 21-jähriger Attentäter auf George Wallace, den als
Rassisten verschrienen Ex-Gouverneur von Alabama, der sich bei den
Demokraten als Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen wollte. Hinzu
kommen diverse Protestaktionen, die in Scharmützeln mit der Polizei
endeten, und Reportagen, die bislang übersehende soziale Übel aufdeckten,
wie etwa die Misshandlung von Kindern mit Behinderung in einem Heim.
Auf großartige Weise gelingt es Macdonald in „One to One: John & Yoko“,
gewissermaßen das Material selbst zum Sprechen zu bringen. Man wünscht sich
zwar oft, die einzelnen Ausschnitte würden etwas länger dauern und es gäbe
mehr Namen und Einordnung dazu. Aber Atemlosigkeit und ein gewisses Gefühl
von Chaos sind das Prinzip. Und tatsächlich: Wenn man sich dem Flow
überlässt, bemerkt man, dass es doch so etwas wie einen narrativen Bogen
gibt, besser gesagt, mehrere.
## John und Yoko wurden abgehört
Man weiß, dass ein gewisser Verfolgungswahn zum Zeitgeist gehörte. Aber wie
es so schön heißt: Paranoid sein bedeutet eben nicht, dass man nicht
tatsächlich verfolgt wird. Heute weiß man, dass John und Yoko abgehört
wurden. Weil sie das im notorischen Klicken in der Leitung auch zu erkennen
meinten, zeichneten sie vorbeugend selbst ihre Telefonate auf. Die
Ausschnitte daraus nutzt Macdonald sehr effektvoll. So werden die
Gespräche, in denen es um ein Kunstprojekt von Yoko Ono zum Thema Fliege
geht, zu einer Art Running Gag: Wo beschafft man 1.000 Fliegen, und vor
allem, wie hält man sie vorrätig?
Nicht minder bezeichnend auch Lennons Unterhaltungen mit Manager Allen
Klein über die geplante Konzert-Tour „Free the People“. Ob es nicht eine
fantastische Idee sei, in jeder Stadt einen bestimmten Teil der Einnahmen
dafür zu verwenden, jeweils 500 Menschen per Kautionszahlung aus dem
Gefängnis zu befreien? Allen bezweifelt leise, ob es wirklich so viele
Menschen gäbe, die nur einsitzen, weil sie sich die Kaution nicht leisten
könnten. Lennon weiß es besser: „Doch, doch – und sie sind alle schwarz.�…
Macdonald benutzt das Material nicht, um seine Figuren bloßzustellen; seine
Collage stellt selbst ein Kunstwerk dar, an dem man sich reiben kann und
das zu interpretieren ist. Man kann den Trend weg von der Politik hin zu
Therapie und Rückzug ins Private beobachten, der auch Lennons Musik jener
Zeit prägt. Und man kann dem spannenden Material – allein die
Konzertaufnahmen sind es wert – auch noch viele andere Erkenntnisse
abgewinnen. Etwa wie segregiert die amerikanische Gesellschaft damals noch
war, wie oft die Protestierenden sich ganz aus weißen jungen Menschen
zusammensetzen.
Jerry Rubin benutzt noch ungeniert das Wort „Indians“ statt „Native
Americans“, während Lennon sich bereits um Feminismus in der Sprache bemüht
und in „Imagine“ neben „Brotherhood“ die „Sisterhood of Man“ mit ei…
So ist „One to One“ ein großartiges Porträt sowohl des Paares „John & Y…
als auch seiner Epoche.
24 Jun 2025
## LINKS
[1] /Die-Wahrheit/!5353615
[2] /Yoko-Onos-Ausstellung-Dream-Together-/!6079443
[3] /Bob-Dylan-Film-Like-a-Complete-Unknown/!6068642
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
John Lennon
Yoko Ono
Dokumentarfilm
New York
Konzert
Bob Dylan
Social-Auswahl
Fans
wochentaz
Spielfilm
Spielfilm
## ARTIKEL ZUM THEMA
Britischer Popstar-Komödienfilm: Mein Song für dich
„The Ballad of Wallis Island“ vom britischen Regisseur James Griffiths
erzählt vor rauer Kulisse von frustrierten Musikern und einem besessenen
Fan.
Yoko Onos Ausstellung „Dream Together“: War is over! If you want it.
Yoko Ono fordert uns immer noch mit Dringlichkeit zum Frieden auf – gerade
in einer Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin.
Bob-Dylan-Film „Like a Complete Unknown“: Der ewig Rätselhafte
Kein typisches Biopic: „Like a Complete Unknown“ mit Timothée Chalamet
erzählt an der Oberfläche, fängt aber die Faszination der Musik ein.
Komödie „Yesterday“: John Lennon? Wer soll das sein?
Danny Boyles Komödie „Yesterday“ spielt mit unserer Vorstellung vom
kollektiven Gedächtnis. Dran glauben müssen ausgerechnet die Beatles.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.