| # taz.de -- Theater von Mohammad Rasoulof über Exil: Ob man je wieder ruhig sc… | |
| > „Destination: Origin“ von Mohammad Rasoulof wurde von der Gegenwart | |
| > eingeholt. Die Produktion handelt von Flucht, Exil und Kritik am Regime | |
| > in Iran. | |
| Bild: Sind die Körper tatsächlich in Sicherheit? Szene aus „Destination: Or… | |
| Eine Fluchterfahrung schreibt sich in einen Körper ein. Selbst wenn man in | |
| „Sicherheit“ angekommen, wenn die Bedrohung Tausende Kilometer weit | |
| entfernt ist, steckt sie buchstäblich in den Knochen. | |
| Die Körper der drei Schauspielerinnen Setareh Maleki, Niousha Akhshi und | |
| Mahsa Rostami sind aus dem Iran geflüchtet: Als Darstellerinnen in | |
| [1][Mohammad Rasoulofs unter anderem mit einem Spezialpreis in Cannes], dem | |
| Deutschen Filmpreis und einer Oscarnominierung geehrten Filmdrama „Die Saat | |
| des heiligen Feigenbaums“, der das theokratische Regime Irans scharf | |
| kritisiert, mussten sie sich genau wie der Regisseur auf den Weg ins Exil | |
| machen. | |
| Mit den drei Frauen, die im Film die beiden Töchter des Richters und deren | |
| Freundin spielen, und der deutschen Schauspielerin Eli Riccardi hat | |
| Rasoulof ein Theaterstück erarbeitet, das diese Erfahrungen zu reflektieren | |
| versucht. „Destination: Origin“ eröffnete im Haus der Berliner Festspiele | |
| am Donnerstag das interdisziplinäre Festival „Performing Exiles“, das sich | |
| in diesem Jahr [2][zum zweiten Mal] Flucht- und Exiltopoi widmet. | |
| ## Verzweiflung im Team | |
| Doch zunächst müssen Rasoulof und der künstlerische Leiter des Festivals, | |
| Matthias Lilienthal, der beim Stück auch als Dramaturg fungierte, auf die | |
| Gegenwart eingehen, die sie eingeholt hat. Und so spricht Rasoulof nach der | |
| scherzhaften Bemerkung, er habe die Unterschiede zwischen Theater und Film | |
| trotz Lilienthals Ausführungen eventuell noch nicht ganz begriffen, vom | |
| aktuellen Krieg und der Verzweiflung, die er im Team auslöste. | |
| „Wir dachten nicht, dass wir diese Premiere hinkriegen“, sagt Rasoulof. Ihm | |
| bricht die Stimme, als er hinzufügt: „Im Iran kämpfen Menschen seit Jahren | |
| friedlich gegen das Regime. Und ich glaube noch immer nicht, dass sich aus | |
| Krieg Demokratie entwickeln kann.“ Er erzählt, dass die Darstellerinnen | |
| seines Stücks genau wie andere Exil-Iraner:innen seit zwei Tagen ihre | |
| Angehörigen nicht mehr erreichen können, weil das [3][gesamte | |
| Kommunikationsnetz] des Irans zerstört wurde. | |
| Diese Tatsachen machen die folgende einstündige Performance noch | |
| bedrückender: Die Frauen stehen in einem zurückhaltenden Setting, geprägt | |
| durch von der Decke baumelnde Seile auf der Bühne. Sie wechseln sich beim | |
| Erzählen ab, zwischendurch kreisen sie umeinander, tanzen, tasten sich ab, | |
| simulieren Wände – viele der Bewegungen spiegeln Kontrollgesten, die Seile | |
| erinnern sowohl an Gitterstäbe als auch an Peitschen, irgendwann drehen | |
| sich Kleider aus Seilen wie Derwische. | |
| ## Angst als wiederkehrendes Thema | |
| Die Frauen sprechen von ihrer Unterstützung der Freiheitsbewegung „Frau | |
| Leben Freiheit“, vom Casting zum Film, wie ihnen klar wurde, welche | |
| Gefahren für Leib und Leben für sie entstehen, weil ohne Hijab gedreht | |
| wird, von der Problematik, bei den klandestinen Dreharbeiten unsicher zu | |
| sein, wem wirklich zu vertrauen ist. | |
| Dann erzählen sie von der Flucht – bewusst ohne genaue Details, denn sogar | |
| was auf einer Berliner Theaterbühne geäußert wird, könnte an den iranischen | |
| Geheimdienst gelangen, der auch Exilierte verfolgt. Sie beschreiben, wie | |
| sie auf der Flucht ängstlich und allein waren und völlig Fremden Glauben | |
| schenken mussten. Vertrauen, Vorsicht, Angst sind wiederkehrende Themen im | |
| Stück – und machen klar, dass das im Leben eines und einer jeden | |
| Geflüchteten ebenso ist. | |
| Unterbrochen von einigen Songs, von wie Monde aufleuchtenden, poetischen | |
| Lichtpunkten, die von den Frauen verfolgt werden, sind sie nach der Flucht | |
| in Berlin angekommen. Auf der Bühne steht ein schlichter WG-Tisch, an dem | |
| sie sitzen und mit der deutschen Kollegin über die für alle | |
| Berliner:innen gleich komplizierten Wohnungssuche, über Clubs und | |
| Männer sprechen – kichernd stellen sie fest, dass es den Begriff des | |
| „Backpfeifengesichts“ sowohl im Persischen als auch im Deutschen gibt. | |
| ## Flüchten oder bleiben und kämpfen? | |
| Aber es ist eben mitnichten alles gut und schön und vorbei, nur weil der | |
| Körper vermeintlich in Sicherheit ist. Und so zeigt die vielleicht stärkste | |
| und eingehendste Szene einen Dialog zwischen einer Frau, die in einem | |
| aufgerichteten Bett steht oder auch dort angebunden ist, und einer | |
| Matratzenverkäuferin, die immer wieder fragt: „Wie fühlen Sie sich? Ist | |
| Ihnen bequem?“ Ob man je wieder ruhig schlafen kann, wenn man weiß, was im | |
| Iran mit Regimekritiker:innen passiert, die Tragweite der gesamten | |
| Flüchten-oder-Bleiben-und-Kämpfen-Problematik steckt in dieser Frage, | |
| ebenso wie der beängstigende aktuelle Krieg. | |
| „Die Augen haben Angst, aber die Füße tragen mich weiter“, ist ein Satz, | |
| der im Stück immer wieder fällt: Ihr Fluchthelfer habe das zu ihr gesagt, | |
| als sie ihre Bedenken angesichts des Weges durch die Berge äußerte, erklärt | |
| die chorische Drei-Frauen-Figur. Am Ende begreift man diesen Satz als | |
| Symbol eines Traumas. Aber er könnte auch Hoffnung enthalten. Denn wenn die | |
| Augen irgendwann aufhören dürfen, Angst zu haben, dürfen sich vielleicht | |
| auch die Füße ausruhen. | |
| 23 Jun 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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