# taz.de -- Mullah-Regime kappt Internet: Digitale Stille über Teheran | |
> Das iranische Regime kappt Internet und Telekommunikation, um die | |
> Bevölkerung von der Außenwelt abzuschneiden. Teheran ist im | |
> Ausnahmezustand. | |
Bild: ‚Nationalisiert‘: Für mehr als 24 Stunden sind im Iran alle Internet… | |
Der Kontakt zu Einwohnern des Iran bricht plötzlich ab. Es ist der Abend | |
des sechsten [1][Kriegstages.] Netzwerkexperten bestätigen, dass etwas | |
Außergewöhnliches mit der Telekommunikations- und Internetinfrastruktur | |
des Iran passiert ist. Diesmal ist nicht nur die Verbindung des globalen | |
Internet mit dem nationalen Intranet des Iran unterbrochen – das Land wurde | |
vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. | |
Die taz versucht, Bürger in Teheran telefonisch zu erreichen, aber selbst | |
das ist zunächst unmöglich. Für mehrere Stunden herrschen Anspannung und | |
Verwirrung, weil alle Informationskanäle aus dem Iran unterbrochen sind. | |
Bei einem solchen Kommunikations-Blackout öffnet sich das einzige Fenster | |
zu den Geschehnissen durch einen Experten aus dem Ausland: Amin Anvari, ein | |
iranischer Netz-Aktivist, lebt in Toronto. Er erklärt: „Im Verlauf früherer | |
Krisen hat der Iran das Internet ‚nationalisiert‘, wie die offizielle | |
Terminologie lautet, sodass dort nur noch auf inländische Websites | |
zugegriffen werden konnte. Diese Einschränkungen galten in der Regel für | |
Mobilfunknetze, und während der Proteste gegen das Regime im November 2019 | |
wurden sogar die Internetverbindungen in Privathaushalten vorübergehend | |
eingeschränkt, oft über mehrere Stunden hinweg bis tief in die Nacht | |
hinein. | |
Aber diesmal ist etwas Beispielloses passiert: Nicht nur Mobilfunk- und | |
Internetdienste für Privathaushalte wurden weitgehend ‚nationalisiert‘, | |
sondern sogar die Rechenzentren waren von der Abschaltung betroffen.“ | |
Insbesondere während der [2][„Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung] von 2022 hat | |
Amin Anvari dazu beigetragen, wirksame VPNs zu entwickeln und iranischen | |
Bürger*innen so den Zugang zum freien Internet zu sichern. | |
## Über Umwege Nachrichten schicken | |
„Die Rechenzentren im Iran haben bisher immer den Internetzugang | |
aufrechterhalten“, sagt er. „Iranische Websites waren aus dem Ausland | |
zugänglich und umgekehrt. Selbst während der Internetabschaltungen fanden | |
die Menschen daher oft Wege, die Beschränkungen zu umgehen. Eine gängige | |
Methode war die Anmietung eines Servers in einem Rechenzentrum – da diese | |
Rechenzentren noch über einen Internetzugang verfügten, konnten die | |
Nutzer*innen mithilfe spezieller Techniken Tunnel erstellen und sich | |
wieder mit der Außenwelt verbinden.“ | |
„Aber jetzt“, fährt er fort, „sind zum ersten Mal seit mehr als 24 Stund… | |
alle Internetdienste – mobil und zu Hause – ‚nationalisiert‘. [3][Und in | |
vielen Gebieten] funktionierte am ersten Tag nicht einmal das sogenannte | |
‚nationale Internet‘. Es war eine vollständige Abschaltung. Das bedeutet, | |
dass sogar die Websites der iranischen Regierung nicht erreichbar waren.“ | |
Amin betont, dass die Islamische Republik auch Telefonate, SMS und sogar | |
Roaming-Dienste deaktiviert habe. | |
Während der Recherche zum Internet-Blackout in Teheran und der unheimlichen | |
Stille, die über der Stadt liegt, trifft plötzlich eine Nachricht von Amir* | |
aus Teheran über die verschlüsselte Messaging-App Signal ein. In einer | |
Sprachnotiz sagt er: „Als gestern das Internet ausgefallen ist, habe ich | |
nach Tagen endlich das Haus verlassen. Ein Freund nahm mich auf seinem | |
Motorrad mit, und wir sind durch die ganze Stadt gefahren. Teheran wirkte | |
wie verlassen und still. Es sah so aus, als sei ein großer Teil der | |
Bevölkerung bereits geflohen – in vielen Häusern brannte kein Licht. Und | |
diejenigen, die geblieben waren, trauten sich wegen der Sicherheitskräfte | |
nicht aus ihren Häusern.“ | |
## Hoffen auf ein Ende des Mullah-Regimes | |
Amir ist 40 – alt genug, um immer wieder mit dem Repressionsapparat des | |
Regimes in Konflikt geraten zu sein. Er hat an allen großen | |
Protestbewegungen der letzten zwei Jahrzehnte teilgenommen und wurde | |
während der Aufstände von 2019 und 2022 verhaftet. | |
„Es ist nicht so, dass es in Teheran überhaupt keine Lebensmittel oder | |
Trinkwasser gibt“, sagt er. „Viele kleine Läden haben geschlossen, aber | |
einige sind noch geöffnet. Vor manchen Geschäften stehen Kisten mit | |
Wasserflaschen. Ich vermute, dass dies auf Wunsch der Sicherheitsbehörden | |
geschieht, um den Eindruck zu erwecken, dass die Logistik und die | |
Versorgung der Stadt normal funktionieren.“ | |
Nach seinem Motorradausflug beschloss Amir, eine Verbindung zum Netz | |
herzustellen. „Ich bin in mein Auto gestiegen und habe mir vorgenommen, | |
dass ich so lange fahren werde, bis ich einen Ort finde, an dem das | |
Internet wieder funktioniert. Ich dachte, vielleicht wäre nur Teheran | |
abgeschnitten.“ | |
Er fuhr vier Stunden lang und entfernte sich immer weiter von der | |
Hauptstadt, bis er es schaffte, über einen VPN-Tunnel eine Verbindung zum | |
weltweiten Internet herzustellen. Während ich mit Amir spreche, erreichen | |
erste schwache Signale aus Teheran mein Telefon. Einige Nutzer*innen | |
fangen an, Nachrichten zu schicken. Einige feiern in ihren | |
Instagram-Stories, dass sie endlich wieder eine Internetverbindung haben. | |
Doch die überwiegende Mehrheit der Einwohner*innen der Stadt bleibt | |
abgeschnitten – gefangen in digitaler Stille. | |
Zahra* gehört zu den wenigen, die es geschafft haben, online zu gehen. Sie | |
schreibt via Instagram: „Ich habe Angst und bin zugleich voller Hoffnung. | |
Das Donnern von Bomben und Flugabwehrgeschützen war in der Nacht in Teheran | |
viel weniger intensiv. Gegen 4 Uhr morgens wurde ich durch eine Explosion | |
geweckt, aber ich habe mir Watte in die Ohren gestopft, um nichts zu hören, | |
damit ich etwas schlafen konnte. Ich habe die ganze Woche nicht richtig | |
schlafen können. Aber ich hoffe, dass all das mit dem Sturz der Islamischen | |
Republik und der Mullahs endet.“ | |
Dann wendet sie sich an mich, eine Journalistin im Exil: „Mach dir keine | |
Sorgen. Du wirst innerhalb einer Woche wieder im Iran sein. Wir werden | |
unsere Städte und unser Land wieder aufbauen. Wir werden wieder in Freiheit | |
leben.“ | |
Aus dem Englischen Ulrich Gutmair | |
Die Autorin war 2024 Stipendiatin des [4][Refugium-Programms], das die taz | |
Panter Stiftung mit Reporter ohne Grenzen ausrichtet. | |
*Die Namen von Amir und Zahra wurden von der Redaktion geändert | |
20 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Mahtab Gholizadeh | |
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