| # taz.de -- Mikroalgen als Schadstofffilter: Die Zukunft ist grün und schleimig | |
| > Stadtluft ist stark belastet und Abwassersysteme verschlingen Energie. | |
| > Mikroalgen sollen beides besser machen. | |
| Bild: Innerhalb von zwei bis drei Wochen entstehen 20 Liter tiefgrünes Algenge… | |
| Berlin taz | Mitten in der Stadt liegt ein Hauch von Meer in der Luft. In | |
| den alten Hallen des Berliner Flughafens Tegel forscht ein Start-up an | |
| Mikroalgen, winzig kleine, grüne Farbtupfer, die an spätsommerliche | |
| Badeausflüge erinnern. Im Labor stehen bauchige Glasbehälter, in denen | |
| grüne Flüssigkeit gluckert, darüber LED-Beleuchtung, überall Schläuche und | |
| Ampullen. | |
| Das Unternehmen Solaga entwickelt Luftfilter, die mithilfe von Mikroalgen | |
| die Raumluft reinigen sollen, und forscht unter anderem daran, Mikroalgen | |
| in der Abwasserbehandlung einzusetzen. Denn Mikroalgen können etwas, das | |
| sie sehr nützlich macht: Sie nehmen Schadstoffe aus der Luft und dem Wasser | |
| auf – und zwar viel effektiver als Pflanzen. | |
| Diese Fähigkeit könnten wir uns zunutze machen, denn die Luftqualität in | |
| deutschen Großstädten ist mittelmäßig. Die europäischen Grenzwerte werden | |
| zwar meist eingehalten, doch keine Stadt erreicht den Richtwert der | |
| Weltgesundheitsorganisation für wirklich saubere Luft. Die | |
| [1][Abwasseraufbereitung wiederum frisst viel Energie]. | |
| ## Algenbilder, die Luft filtern | |
| Projektleiter Ricardo Arraga, 28, dunkle Locken und argentinischer Akzent, | |
| steht vor einer grünen Leinwand und erklärt, wie die Algenluftfilter | |
| funktionieren sollen: „Wir geben den Mikroalgen Wasser, Licht und | |
| Nährstoffe und dank Photosynthese nehmen sie CO2 und Luftschadstoffe auf | |
| und produzieren Sauerstoff.“ | |
| Das Besondere: Er züchtet die Mikroalgen im Biofilm – also in | |
| Schleimschichten, die von den Mikroorganismen selbst gebildet werden – | |
| statt im Wasser. Das spare Energie und mache die Systeme robust gegenüber | |
| Pflegefehlern. So entstehen Algenbilder, die in Holzbilderrahmen in | |
| privaten Wohnzimmern oder Konferenzräumen in Büros hängen und aussehen wie | |
| das Bild, vor dem er steht: tiefgrün und glitschig. | |
| Ricardo Arraga und sein Team arbeiten an Luft- und Multifiltern mit | |
| Mikroalgen, weil diese vielen Pflanzen zwei Dinge voraushaben. Zum einen | |
| nehmen sie Nährstoffe auf, die im Abwasser oft im Übermaß vorhanden sind: | |
| [2][Phosphor], Ammonium, Stickstoff. In großen Mengen stören diese das | |
| ökologische Gleichgewicht in Böden und Gewässern. Mikroalgen hingegen | |
| freuen sich über die nährstoffreiche Brühe, die bisher in Kläranlagen mit | |
| hohem Energieaufwand aufbereitet wird, und nutzen sie für ihr Wachstum – je | |
| mehr davon, desto besser. | |
| Wie bei einem klaren Teich, der binnen Tagen zu einer grünen Brühe wird. | |
| Zum anderen absorbieren die Mikroalgen Schadstoffe aus der Luft. Ihre | |
| negativ geladenen Zelloberflächen nehmen positiv geladene Metalle wie Eisen | |
| und Magnesium auf. Auch Partikel toxischer Schwermetalle wie Blei und | |
| Cadmium können Mikroalgen speichern. | |
| ## Flüssige Bäume als CO₂-Fänger | |
| Ein weiterer Vorteil von Algen gegenüber anderen ökologischen Lösungen wie | |
| Pflanzen: Auch sie binden CO₂, schätzungsweise [3][rund die Hälfte des | |
| weltweit absorbierten Kohlendioxids], wachsen aber viel schneller als Bäume | |
| und Co. So stehen die ersten „flüssigen Bäume“ – sie sehen aus wie | |
| Werbesäulen gefüllt mit Wasser und Mikroalgen – bereits jetzt in Belgrad | |
| und Paris. | |
| In Paris etwa ist eine grüne Säule direkt an das Abwassersystem | |
| angeschlossen. Ist ihre CO₂-Aufnahmekapazität erreicht, werden die Algen in | |
| die Kanalisation gespült und später in der Kläranlage in Biogas | |
| umgewandelt. Laut den Forschenden bindet der Prototyp der Säule so viel CO₂ | |
| wie 112 Bäume. Momentan benötigt sie zwar noch ziemlich viel Energie, um | |
| die Algen zu züchten – doch das soll sich ändern. | |
| Dass Mikroalgentechnologie in der Praxis deutlich komplizierter umzusetzen | |
| ist als auf dem Papier, weiß man auch bei Solaga. Ihr erstes Projekt | |
| scheiterte daran, dass sie für eine nachhaltige Energiegewinnung mit Algen | |
| zu große Mengen hätten produzieren müssen. Auch die Bilanz der Algenbilder | |
| und Algenwände ist bisher noch durchwachsen, da sie je nach Umgebungsklima | |
| unterschiedlich reagieren, sodass ohne Fachwissen schnell etwas schiefgehen | |
| kann. | |
| Zum Beispiel stattete das Unternehmen einst für Tesla zwei Konferenzräume | |
| mit Algenwänden zur Luftreinigung aus. Anfangs funktionierte das noch gut, | |
| doch dann trockneten die Wände aus. Laut Fulvio Rosano, einem Kollegen | |
| Arragas, sei bei Tesla nach anfänglichem Bemühen immer öfter die | |
| Bewässerungspumpe ausgeschaltet geblieben und niemand fühlte sich dort | |
| verantwortlich. | |
| Die ersten Algenwände und Algenbilder, die Solaga an Tesla und | |
| Privatpersonen verschickte, stehen inzwischen etwas verloren an die Regale | |
| gelehnt auf dem Boden. Doch geforscht wird weiter: Arraga und sein Team | |
| züchten neue Mikroalgenarten heran und schmieren sie auf unterschiedliche | |
| Oberflächen, um pflegeleichtere Bilder fürs Wohnzimmer zu entwickeln. Wie | |
| bei vielen nachhaltigen Start-ups hängt auch bei Solaga vieles an einem | |
| Produkt, das sich verkauft – ohne dieses bleibt das Unternehmen auf externe | |
| Finanzierung angewiesen. | |
| ## Trotzdem nur begrenztes Potential | |
| Michael Melkonian ist Botaniker und gehört zu den renommiertesten | |
| Algenforschern Deutschlands. Für ihn sind Mikroalgen eine der | |
| Schlüsselressourcen für eine nachhaltigere Zukunft. Egal ob als Dünger, | |
| CO₂-Speicher, Wasser- oder Luftfilter, Biokunststoff, Nahrungsergänzung, | |
| Tierfutter, Energiequelle oder in der Pharmaindustrie. | |
| Melkonian sieht bei Raumluftfiltern auf Mikroalgenbasis nur begrenztes | |
| Potential. Damit diese Schadstoffe aus der Luft filtern, muss die | |
| schadstoffhaltige Luft unmittelbar an ihnen vorbeiströmen. Dies sei nur mit | |
| regelmäßiger Lüftung oder einem aktiven Luftansaugsystem möglich, wie es | |
| viele herkömmliche Filter besitzen. Es gebe jedoch bereits technisch | |
| effizientere Lösungen. | |
| In der Abwasserbehandlung sei die Sache schon anders, so der Botaniker. | |
| „Man muss nur mal genauer hinschauen, was in den Abwasserbecken der | |
| Industriebetriebe schon lebt, und dann mit der Natur zusammenarbeiten.“ | |
| Denn Mikroalgen wüchsen im nährstoffreichen Abwasser quasi von selbst und | |
| seien schon an die Belastungen angepasst. Sie ließen sich gezielt nutzen, | |
| um beispielsweise Phosphor zurückzugewinnen. Phosphor ist eine endliche | |
| Ressource, die für die Landwirtschaft sehr wichtig ist und momentan teuer | |
| zurückgewonnen wird. Mikroalgen könnten das günstiger. | |
| Doch bislang fehle es in der Algenforschung in Deutschland vor allem an | |
| einer übergreifenden Infrastruktur. Geht es nach Michael Melkonian, | |
| bräuchte es ein zentrales Algenforschungsinstitut. Der Durchbruch der | |
| kleinen Power-Organismen gelänge erst, wenn diese in großem Maßstab | |
| kultiviert werden könnten, zuvor seien sie als Zukunftstechnologie nicht | |
| wettbewerbsfähig. Bis dahin sind es Start-ups und andere Tüftler, die | |
| versuchen, Lösungen im Kleinen zu finden. | |
| 25 Jun 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Energiegewinnung-aus-Abwasser/!6077042 | |
| [2] /Phosphatabbau-in-Tunesien/!6028073 | |
| [3] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2772427121000322 | |
| ## AUTOREN | |
| Melina Moehring | |
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