# taz.de -- Proteste in Los Angeles: Was bedeuten die vielen mexikanischen Flag… | |
> Auf den Demos gegen die Abschiebungen in Kalifornien werden mexikanische | |
> Flaggen geschwenkt. Mit Nationalismus hat das aber wenig zu tun. | |
Bild: Demonstranten in Downtown Los Angeles am 12. Juni | |
Zweifellos dürften viele Mexikaner*innen schmunzeln, wenn sie die | |
Fotos der migrantischen Mobilisierungen gegen den Abschiebeterror der | |
US-Regierung betrachten. Unzählige Flaggen ihres Landes wehen derzeit auf | |
den Demonstrationen von Los Angeles, Chicago oder Dallas. Das Bild eines im | |
Mexican Style maskierten Mannes, der vor einer Rauchschwade auf dem Dach | |
eines Polizeifahrzeugs steht und eine Mexiko-Fahne schwenkt, sorgt für viel | |
Aufregung. | |
Kommt jetzt die späte Rache? Im 19. Jahrhundert hat sich der nördliche | |
Nachbar schließlich große Teile Mexikos angeeignet. Erst Texas durch | |
Annexion, dann mit einem Krieg die heutigen Bundesstaaten Arizona, New | |
Mexico, Kalifornien, Nevada, Utah sowie Teile von Kansas, Colorado und | |
Wyoming. US-Truppen zwangen die mexikanische Regierung, 55 Prozent ihres | |
Staatsgebiets abzugeben. 1,36 Millionen Quadratkilometer. Das entspricht | |
fast vier Mal der Fläche von Deutschland. | |
Mehr als ein Schmunzeln dürfte der Gedanke der Revanche für den Landraub | |
bei den meisten Mexikaner*innen trotzdem kaum hervorrufen. Die | |
gewaltsame Aneignung der Territorien ist nur eine von vielen Demütigungen | |
des Nachbars, mit denen die Menschen südlich des Rio Bravo immer wieder | |
konfrontiert sind. Doch die seither existierende Grenze, die wie die | |
meisten Grenzen hinterhältig, gemein und aus strategischen Gründen gezogen | |
wurde, markiert letztlich nur die Linie, die verschiedene | |
Verwertungsbedingungen voneinander trennt. | |
Mit kulturellen Identitäten hat sie wenig zu tun. Grenzstädte wie Nuevo | |
Laredo stehen ihren US-Gegenübern in vielem näher als etwa den indigen | |
geprägten Regionen des verarmten Südens. Die Grenze bildet schlicht die | |
Grundlage kapitalistischen Wirtschaftens: billige, illegalisierte | |
Arbeitskräfte auf den Feldern Kaliforniens und in den Weltmarktfabriken von | |
Tijuana oder [1][Ciudad Juárez,] Märkte, Zölle oder auch keine. | |
## Interkulturelles Verhältnis | |
Für Millionen mexikanische Familien, die Angehörige „im Norden“ haben, wie | |
sie sagen, ist das selbstverständlich. Ebenso wie für die Migrierten | |
selbst. Insbesondere Ältere, die eine Green Card haben, pendeln oft | |
zwischen diesen Welten, für jene „ohne Papiere“ setzt der Rio Bravo | |
natürlich knallharte Limits. Diese binationalen Identitäten spiegeln sich | |
in den Taquerias von Tucson/Arizona genauso wider wie in den schicken SUVs, | |
mit denen der Besuch aus Atlanta durch das Heimatdorf des Großvaters in der | |
mexikanischen Sierra Sur braust. Und sie kommen in den Flaggen zum | |
Ausdruck, die geschwenkt werden. | |
Da geht es genau um dieses interkulturelle Verhältnis und nicht um | |
verklärten Nationalismus, auch wenn nicht wenige mit Stolz auf ihre Wurzeln | |
verweisen. „Sie sind Kinder und Enkel von Ausgewanderten“, erklärt Chris | |
Zepeda-Millán, der an der Kalifornien-Universität von Los Angeles | |
Chicano-Studien lehrt, in der New York Times. | |
Dennoch, so betont er, zweifelten [2][die Demonstrant*innen] nicht an | |
ihrer US-Staatsbürgerschaft noch daran, dass sie hierher gehörten. „Sie | |
sehen einfach den rassistischen Hintergrund der Angriffe.“ Nicht zufällig | |
sind auf den Demos neben mexikanischen auch US-Fahnen zu sehen. Nicht | |
selten werden beide miteinander vermischt. | |
## Nationalistische Interpretation | |
Dass die US-Regierung im Gegensatz zu den migrantischen Communitys auf eine | |
nationalistische Interpretation der rot-weiß-grünen Fahnen setzt, ist wenig | |
verwunderlich. Trump-Berater [3][Stephen Miller] sprach von „ausländischen | |
Bürgern, die ausländische Flaggen wehen lassen, Menschen aufhetzen und die | |
Anwendung des Bundesgesetzes behindern, ausländische illegale Eindringlinge | |
rauszuwerfen“. Also auf jeden Fall ausländisch, und damit negativ. | |
Nun ja, zumindest bis Agrarunternehmen dem Präsidenten vor ein paar Tagen | |
Druck wegen dem drohenden Verlust billiger Erntearbeiter*innen | |
gemacht haben. Nun spricht Trump von „sehr guten, langzeitigen Arbeitern“ | |
und ordnete an, die Operationen in der Landwirtschaft und den Restaurants | |
sowie Hotels vorerst zu stoppen. Wenn schon keine andere, dann setzt | |
wenigstens die kapitalistische Vernunft Grenzen. | |
16 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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