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# taz.de -- Künstler kritisiert Erinnerungskultur: Die Entthronung von Gerhard…
> Gerhard Richters Birkenau-Kapelle oder eine 3D-Videokulisse des
> Vernichtungslagers: Wird Auschwitz nur zum leeren Symbol, fragt Künstler
> Leon Kahane.
Bild: Auch Orte der Erinnerung sind dem zeitlichen Verfall ausgesetzt: Videosti…
Auschwitz ist wieder deutsch. Warum gerade Gerhard Richter ein Ausdruck
davon ist, erfährt man in den nachkriegsmodernen Ausstellungsräumen der
Galerie Nagel & Draxler in Köln. Hier zeigt der Berliner Künstler Leon
Kahane gerade seine bemerkenswert aufklärerische Solo-Show „Dialog Dialog
Dialog“.
Schon die erste nahezu blanke Druckgrafik, die man durchs Schaufenster
sieht, macht klar, dass Kahanes kritisches Prinzip die Negation ist.
Ästhetisch: Bilderverbot, Farblosigkeit und Blickverweigerung. Inhaltlich:
die Entthronung von Gerhard Richter, dem deutschen Weltmarktführer der
Kunst. Oder wie das Kölner Publikum am Eröffnungsabend dazu sagt:
„Vatermord“.
Wer sich jetzt einen Slasher vorstellt, wird enttäuscht. Denn dort an der
Wand in Köln hängen eingangs nur vier weiße, bilderlose Tafeln, arrangiert
zu einem quadratischen Panel: Kahanes Invarianz von Gerhard Richters
Gemälde-Zyklus Birkenau. Seit Februar 2024 stellt Richter Fotoabzüge
[1][davon in einem eigens von ihm und seiner Frau Sabine Moritz entworfenen
Pavillon] auf dem Gelände der Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim (dt.
Auschwitz) aus. Und um diesen Pavillon geht es Kahane. Wofür er steht, zu
einem Zeitpunkt, an dem die letzten Überlebenden der Vernichtungslager
sterben.
## Ein leeres Symbol für wieder gut gewordene Deutsche
Was er zeigen will: Auschwitz ist nicht mehr der Ort, an dem Überlebende
die deutschen Verbrechen anklagen. Auschwitz ist längst Kulisse und leeres
Symbol für wieder gut gewordene Deutsche. Für deutsche Kunststars wie
Gerhard Richter oder jüngst auch Jürgen Teller, der einen Fotoband über das
Vernichtungslager veröffentlicht hat. Deren Blick auf Auschwitz ist
abstrakt, unpersönlich, wenig erkenntnisreich und, im Fall von Richter,
umhüllt von einer geschichtsvergessenen Aura des Bösen – das plötzlich
allgemein menschlich wirkt. Kein Wunder also, dass im Foyer von Richters
Birkenau-Kapelle dieses Zitat von ihm prangt: „Sich ein Bild zu
machen…macht uns zu Menschen.“
Richters Bilder, ein humanisierender Akt am unmenschlichen Ort? Das
Darstellungsproblem, das jüdische Intellektuelle wie Theodor W. Adorno,
[2][Georges Didi-Huberman oder Claude Lanzmann angesichts der Verbrechen in
Auschwitz-Birkenau] formuliert haben, scheint hinfällig: der deutsche
Künstler hat mit seinem Pavillon eine Lösung gefunden. Die Obszönität
dieses Gedankens stellt Kahane aus, indem er Richters Zitat übernimmt und
es bilderlos in Deutsch, Polnisch und Englisch auf drei der vier Tafeln
seines Quadrichons druckt – [3][Richters Pathosformel] wird zur These, an
der sich Kahanes Ausstellung antithetisch abarbeitet.
Wie sehr Auschwitz benutzbare Plattform und Icon ist, zeigt der schlichte
Schwarz-Weiß-Film „24. März 2024 – Birkenau“. Alles, was man dort sieht,
sind Absperrzäune und flatternde weiße Zelte. Sie verdecken, was man
eigentlich nicht sehen soll: die Renovierung der Baracken von
Auschwitz-Birkenau. Das Kulissenhafte tritt hervor, aber auch die traurige
Gewissheit, dass Orte der Erinnerung genauso dem zeitlichen Verfall
ausgesetzt sind, wie die Erinnerung selbst. Dazu passt die kontroverse
Entscheidung der Gedenkstättenleitung von Auschwitz-Birkenau, einen
kompletten Digitalscan des Lagers anzufertigen und seit vergangener Woche
als 3D-Videokulisse an Filmproduktionen zu verkaufen. Nie war es leichter,
sich ein Bild von Auschwitz zu machen. Nur: bringt das wirklich was?
## Rechtsextreme im rolt-goldenen Dunst
Denn was hinter den belanglosen Bildern deutscher Erinnerungskunst lauert,
demonstriert Kahane in der Fotoserie „1. September 2024 – Zwickau“. Wie e…
Beweis für die ohnmächtige Arroganz des Richter-Zitats, schließt sie die
Ausstellung an der hintersten Wand der Galerieräume ab. Durch einen Fehler
im Druckverfahren sind die Schwarz-Weiß-Fotografien in einen rot-goldenen
Dunst gehüllt – in Deutschlandfarben. Darauf zu sehen: [4][Jugendliche
Rechtsextreme] der völkischen Organisation Dritter Weg. Sie alle verdecken
ihre Augen mit den Händen. Die Wiedergänger der deutschen Täter wollen
nicht erkannt werden. Und: Sie wollen sich kein Bild machen.
27 May 2025
## LINKS
[1] /Gerhard-Richter-in-Auschwitz/!5993343
[2] /Dokumentarfilm-von-Claude-Lanzmann/!5054348
[3] /Bilder-zur-Unzeigbarkeit-der-Shoah/!5442936
[4] /Verfassungsschutzbericht-2024/!6085941
## AUTOREN
Jonathan Guggenberger
## TAGS
Auschwitz
Bildende Kunst
Gerhard Richter
Gedenken
Erinnerungskultur
Holocaust
Auschwitz
Adorno
NS-Gedenken
Schwerpunkt Rassismus
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