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# taz.de -- Neues Dokumentationszentrum in Chemnitz: Pilotprojekt für das NSU-…
> In Chemnitz erinnert ein neues Dokumentationszentrum an den rechten
> Terror. Pläne für einen bundesweiten Gedenkort nutzte die Union als
> Verhandlungsmasse.
Bild: Gedenk- und Bildungsstätte: Die Ausstellung in Chemnitz soll die Erinner…
Chemnitz/Berlin taz | Eine Stunde nach der Eröffnung steht immer noch eine
lange Schlange vor dem neuen NSU-Dokumentationszentrum in Chemnitz. Es ist
eine Premiere: Zentral in einem ehemaligen Möbelladen zwischen dem
historischen Kaufhaus Tietz und dem Roten Turm untergebracht, soll die
Ausstellung an den Terror des Nationalsozialistischen Untergrund erinnern.
Dessen rechtsextreme Mitglieder ermordeten in den Jahren von 2000 bis 2011
insgesamt 10 Menschen und verletzten viele weitere teils schwer.
Chemnitz diente der Dreiergruppe unter anderem als Rückzugs- und
Planungsort für ihre Morde, denen mit einer Ausnahme nur Menschen mit
Migrationshintergrund zum Opfer fielen. Die Sicherheitsbehörden wollen von
dem Treiben jahrelang nichts mitbekommen haben, teils wurden die
Angehörigen der Opfer selbst verdächtigt, etwas mit den Attentaten zu tun
zu haben. In der Presse konnte man derweil von den „Dönermorden“ lesen.
Das Zentrum in Chemnitz soll mehr sein als ein Museum für das Versagen
deutscher Behörden und Gesellschaft: ein offizieller Gedenkort, eine
Dokumentation der rechten Gewalt, ein Aufarbeitungsprojekt und ein Symbol.
Maßgeblich vorangetrieben wurde es vom Chemnitzer Verein ASA-FF, der
Opferberatungsstelle RAA und der Initiative „Offene Gesellschaft“. Die
Stadt, das Land Sachsen und der Bund tragen gemeinsam die Kosten von rund
vier Millionen Euro.
Während der zweistündigen Eröffnungsveranstaltung am Sonntag erklärt der
Geschäftsführer von „Offene Gesellschaft“, Max Bohm, die Absicht,
„deutscher Erinnerungskultur ein Kapitel hinzufügen zu wollen, um solche
Taten künftig zu verhindern“. Abdulla Özkan, Überlebender des
Nagelbombenanschlags des NSU 2004 in Köln, sagt: „Wir werden gehört,
zumindest hier.“ Das Zentrum sei wichtig für alle betroffenen Familien.
„Wir kämpfen noch immer für Anerkennung, oft bleiben wir allein“, so Özk…
Dieser Ort in Chemnitz sei nicht nur ein Mahnmal, sondern auch ein „Auftrag
für die Zukunft“. Und Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für
politische Bildung, betont, wie wichtig es sei, jüngere Menschen zu
erreichen, die mit dem Kürzel NSU kaum noch etwas anfangen könnten.
Auffallend ist, wer nicht spricht: Michael Kretschmer, Sachsens
CDU-Ministerpräsident, ist nicht nach Chemnitz gekommen. Er weiht
zeitgleich eine Bundesstraße ein.
## Landespolitik bleibt Eröffnung fern
Einige Stunden nach der Eröffnungszeremonie darf dann erstmals die
Öffentlichkeit in die Ausstellung. Deren Gerüst sind Exponate aus der
Wanderausstellung „Offener Prozess“, die schon die letzten Jahre durch die
Bundesrepublik tourte. Darunter sind viele persönliche Gegenstände der
Opfer und Überlebenden. Etwa die Armbanduhr des NSU-Opfers Mehmet Kubaşık,
die zum Todeszeitpunkt stehenblieb. Er wurde 2006 in Dortmund vom NSU
ermordet.
Besucher*innen können zahlreiche audiovisuell aufbereitete und
illustrierte Zeugenaussagen aus dem Prozess gegen das einzige überlebende
NSU-Mitglied, Beate Zschäpe, verfolgen. Oder die Statistik wirken lassen,
wonach allein in Sachsen seit 1990 [1][rechter Terror] 20 Todesopfer
forderte und die Staatsregierung 58.500 Euro einsetzte, um das letzte
NSU-Domizil in Zwickau abzureißen, damit hier kein Wallfahrtsort entstehen
konnte.
Didaktisch ist dieses interaktive und elektronisch unterstützte Dokuzentrum
auf dem neuesten Stand. Einladende Räume für Gespräche und Sozialkontakte
bietet es auch. Letztlich bleiben die auf Plakaten formulierten Fragen:
Warum hat der Staat die Morde nicht verhindert? Warum ist über die
Unterstützernetzwerke so wenig bekannt? Was wusste der Verfassungsschutz?
Schließlich: „Kein Schlussstrich!“ Sachsen bewege sich seit 2019 „zwisch…
Aufarbeitung, Stagnation und Resignation“, stellt eine Tafel fest.
## Plötzlich Nürnberg?
Chemnitz ist weiter eine rechte Hochburg, die AfD bekommt hier
Wahlergebnisse von über 30 Prozent. Auch deswegen reicht vielen der
Angehörigen und Überlebenden das Projekt in Chemnitz nicht. Sie wollen zum
Gedenken nicht in eine Stadt kommen müssen, in der sich viele von ihnen
weiter bedroht fühlen. Doch bei den Plänen für ein großes, bundesweites
Dokumentationszentrum lief es zuletzt schlecht.
Zwar hatte die Ampel das Vorhaben einst in ihrem Koalitionsvertrag
festgeschrieben und das Bundesinnenministerium unter Nancy Faeser (SPD)
legte auch noch eine Machbarkeitsstudie vor. Der Gesetzentwurf, der den
Aufbau des Zentrums samt Stiftung in Berlin vorsah, kam dann aber so spät,
dass er am Bruch der Ampel im Herbst 2024 scheiterte.
Im Koalitionsvertrag der neuen schwarz-roten Bundesregierung hieß es dann
plötzlich: „Wir schaffen ein NSU-Dokumentationszentrum in Nürnberg.“ Dabei
hatten die Angehörigen und überlebenden Opfer stets auf Berlin als Standort
gedrängt. Die Hauptstadt versprach Symbolik, bundesweite Strahlkraft und
zahlreiche Besucher*innen, seien es die Reisegruppen aus den Wahlkreisen
der Bundestagsabgeordneten, Klassenfahrten oder Tourist*innen aus dem
Ausland. Jetzt soll es stattdessen eine mittelgroße Stadt in Mittelfranken
werden. Was ist passiert?
Wer sich im Bundestag umhört, bekommt erst einmal zu hören, dass Nürnberg
doch ein hervorragender Standort sei. Der erste parlamentarische
Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, sagt der taz: „Für den
Standort Nürnberg sprechen gute Gründe: Zum einen wurden zwei schreckliche
NSU-Morde, darunter der erste, dort begangen. Zum anderen hat Nürnberg
bereits eine etablierte Kultur des Erinnerns an die NS-Zeit.“ Und die
Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Misbah Khan, sagt, es sei „erstmal
positiv zu bewerten, dass sich die neue Regierungskoalition weiterhin zu
dieser Verantwortung bekennt und die Umsetzung eines
NSU-Dokumentationszentrums voranbringen möchte.“
## Söder setzte sich wohl durch
Sogar die Ombudsfrau der Angehörigen und Hinterbliebenen Barbara John sagt,
es mache keinen Sinn, sich über den neuen Standort zu empören, es gelte
stattdessen, nach vorn zu schauen. „Jetzt, wo es die Entscheidung für
Nürnberg gibt, muss alles dafür getan werden, dass dort die Wünsche der
Angehörigen berücksichtigt werden und sie in die Planung einbezogen
werden.“
In all diesen Wortmeldungen schwingt mit: „Besser in Nürnberg als gar
nicht.“ Denn offenbar stand das Projekt in den Koalitionsverhandlungen ganz
auf der Kippe. In einem geleakten Zwischenpapier aus den
Koalitionsverhandlungen ist der Satz „Wir schaffen ein
NSU-Dokumentationszentrum“ als ungeeinte SPD-Forderung markiert. Der Punkt
war also zwischen den Verhandler*innen umstritten, die Union nutzte das
Gedenken an die NSU-Opfer als Verhandlungsmasse, mutmaßlich um an anderen
Stellen eigene Forderungen zu erkaufen.
Es waren offenbar Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und
CSU-Lokalpolitiker*innen, die mit der Festlegung auf Nürnberg dann eine
Lösung präsentieren konnten, auf die die SPD sich einließ. Für Söder und
seine Parteifreund*innen ein Erfolg, mit dem Zentrum dürfte auch viel
Geld und Aufmerksamkeit nach Nürnberg kommen. Auf Anfrage will sich bei der
Stadt Nürnberg niemand dazu äußern.
Während SPD, Grüne und sogar Ombudsfrau John erleichtert scheinen, dass
überhaupt ein Kompromiss gefunden wurde, gibt es durchaus auch kritische
Stimmen. Gamze Kubaşık, Tochter des vom NSU ermordeten Mehmet Kubaşık, sagt
der taz: „Es war enttäuschend, zu sehen, wie um ein so zentrales Projekt
verhandelt wurde, als ginge es um eine politische Verhandlungsmasse.“ Und
weiter: „Dass man da überhaupt diskutieren musste, ist schwer zu
verstehen.“ Die Entscheidung für Nürnberg könne sie zwar auch
nachvollziehen, doch „Berlin hätte als Hauptstadt vielleicht die notwendige
bundesweite Sichtbarkeit garantiert“.
Auch die Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger ist nicht begeistert von
Nürnberg als Standort. Der taz sagt sie: „Ein solcher Ort gehört dahin, wo
politische Verantwortung übernommen werden muss – nach Berlin.“ Nürnberg
als Standort sei „ein Affront“. Und: „Wer es ernst meint mit Erinnerung,
muss zuhören. Alles andere ist Gedenkpolitik über die [2][Köpfe der
Betroffenen] hinweg.“
Doch in Nürnberg werden offenbar schon erste konkrete Pläne gemacht, auch
wenn das nötige Gesetz für eine Trägerstiftung noch auf sich warten lassen
dürfte. In der Stadtverwaltung soll es bereits eine erste Idee für ein
Gebäude geben, in das der Dokumentations- und Gedenkort ziehen könnte.
26 May 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Michael Bartsch
Frederik Eikmanns
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
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