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# taz.de -- Sigmar Gabriel über die USA: „Donald Trump hält nichts von Alli…
> Der US-Präsident setzt auf bilaterale Deals und spielt mit der
> Verfassung. Die US-Demokratie müsse man aber nicht gleich aufgeben,
> findet Sigmar Gabriel.
Bild: Der ehemalige SPD-Vorsitzende und Präsident der Atlantik-Brücke Sigmar …
taz: Herr Gabriel, Donald Trump [1][schickt Nationalgarde und Armee nach
Los Angeles], weil dort Menschen Deportationen verhindern wollen und
protestieren – ein weiterer Schritt in Richtung Autoritarismus. Als
Vorsitzender der Atlantik-Brücke ist Ihr Kerngeschäft die
deutsch-amerikanische Freundschaft – sollten wir mit den Trump-USA
überhaupt noch befreundet sein?
Sigmar Gabriel: Deutschland und Europa sind ja nicht mit einem bestimmten
Präsidenten befreundet, sondern hatten und haben gemeinsame Interessen mit
den Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Blick auf die Ukraine oder
generell unsere Verteidigungsfähigkeit zeigt, dass es noch mindestens ein
Jahrzehnt dauern dürfte, bis wir halbwegs unsere konventionelle
Verteidigung unabhängig von den USA gemacht haben.
Churchill hat mal gesagt: Staaten haben keine Freunde, sondern Interessen.
Das gilt auch für uns. Trotzdem dürfte es die meisten europäischen
Demokratien sehr besorgt machen, wie sehr Donald Trump seine
verfassungsmäßigen Rechte auszudehnen versucht und dabei offenbar auch den
Bruch der Verfassung in Kauf nimmt. Denn der Einsatz der Nationalgarde
obliegt den jeweiligen Gouverneuren und nicht dem Präsidenten. Ob Donald
Trump tatsächlich die amerikanische Verfassung zu brechen bereit ist,
werden wir erst wissen, wenn er in einen echten Konflikt mit dem Obersten
Gerichtshof kommt.
taz: Gibt es wegen Trump weniger Interesse an der Atlantik-Brücke?
Gabriel: Wir haben derzeit eher einen Mitgliederzulauf. Menschen und vor
allem Unternehmen wollen besser verstehen, was da vor sich geht. Ein
Drittel unserer Mitglieder sind Unternehmen. Sie hoffen, dass sie bei uns
eine Beurteilung zur Lage bekommen. Wir stellen fest, dass – so schwierig
es in den politischen Bezügen ist – die wirtschaftlichen Kontakte, der
Austausch mit Wissenschaftlern und der kulturelle Austausch auf der
persönlichen Ebene nicht abnehmen.
taz: Welchen Unterschied macht es für die deutsch-amerikanischen
Beziehungen, dass ein Präsident im Weißen Haus sitzt, der aktiv versucht,
die Demokratie abzubauen?
Gabriel: Mir gefällt die Politik überhaupt nicht, die diese Regierung
macht. Ich möchte aber dem Eindruck vorbeugen, in den USA ist alles ganz
schlimm und schlecht, und wir sind hier die Guten. Ganz so schwarz-weiß ist
es nicht. Mit an der Spitze hat die taz das Freihandelsabkommen mit den USA
bekämpft. Und jetzt jammern wir über [2][die Zölle, die Trump verhängen
will.] Wir dürfen die eigenen Widersprüche nicht vergessen. Das ändert
nichts daran, dass die Lage für Europa ungeheuer herausfordernd ist.
taz: Inwiefern?
Gabriel: Wir wissen noch nicht, ob die Checks and Balances in den USA
halten. Aber auch da wäre ich als Deutscher, der die Demokratie unter
anderem von den Amerikanern geschenkt bekommen hat, mit allzu
pessimistischen Vorhersagen zurückhaltend. Wir sollten eine 250-jährige
Demokratie nicht gleich abschreiben. Wie es um sie steht, werden wir
merken, wenn es zu einem echten Konflikt kommt zwischen Präsident und
Oberstem Gerichtshof.
taz: Sie geben die amerikanische Demokratie noch nicht auf?
Gabriel: Nein, ganz im Gegenteil. Wir haben erlebt, dass ein Vorschlag für
einen Justizminister im Senat gescheitert ist. Als Trump einen
Bundesrichter beschimpft hat, hat sich der Oberste Gerichtshof – von dem er
ja dachte, das seien alles seine Freunde – dazu bemüßigt gesehen, ihn daran
zu erinnern, dass es eine Gewaltenteilung gibt. Die Berliner Republik ist
in mancherlei Hinsicht ziemlich schnell mit ihren moralischen Werturteilen.
Die alte Bonner Republik war vorsichtiger, weil sie wusste: Wir sind auf
die anderen angewiesen. Jetzt sind wir ein bisschen breitbeinig unterwegs,
finde ich. Das heißt nicht, dass ich nicht kritisiere, was dort
stattfindet.
taz: Was ist aus Ihrer Sicht eine angemessene Reaktion auf Donald Trump?
Gabriel: Dass Europa mehr Selbstbewusstsein bekommt, noch stärker
zusammenwächst. Ich halte es für einen Fehler zu glauben, unsere Zukunft
hänge davon ab, wer im Weißen Haus sitzt. Die Zölle auf Stahl und
Aluminium, die Trump in seiner ersten Amtszeit verhängt hat, hat Joe Biden
nicht zurückgenommen. Die Hinwendung der USA zum Pazifik hat unter George
W. Bush begonnen und wurde von Barack Obama fortgesetzt.
taz: Was ist jetzt anders?
Gabriel: Vor Trump wussten alle: Der eigentliche Multiplikator von
amerikanischer Macht war die Fähigkeit, Allianzen zu bilden, die [3][NATO]
ist ja nur die bekannteste. Es gab nie Alliierte der Sowjetunion, nie
Alliierte Russlands oder Chinas. Es gab Abhängige, aber keine Allianzen.
Donald Trump ist der Erste, der das Bilden von Allianzen für Quatsch hält.
Trump findet, dass es so etwas wie internationale Beziehungen gar nicht
gibt, sondern nur bilaterale Deals. Er bilateralisiert die internationalen
Beziehungen, und das ist das Gegenteil von Europa.
taz: Kann er damit erfolgreich sein?
Gabriel: Es ist eine interessante Frage, ob Donald Trump ein Exportartikel
ist. Ob es Staaten gibt, die etwas Ähnliches wollen. Ich bin sicher, es
gibt viele. Auch in Deutschland gibt es etliche, die von der Vorstellung
fasziniert sind, dass da einer zumindest scheinbar durchregiert. Und das
sind nicht nur AfD-Anhänger.
taz: Die Begeisterung für den starken Mann.
Gabriel: Was machen Politiker in Deutschland im Wesentlichen? Sie erklären,
warum das, was gerade gelöst werden muss, leider nicht gelöst werden kann.
Weil jemand anderes zuständig ist. Wenn es um die Schulen geht, sagen die
Kommunalpolitiker: Für die Lehrer ist das Land zuständig. Sind die Schulen
kaputt, sind die Landespolitiker dafür nicht zuständig, sondern verweisen
auf die Kommunen. Und wenn irgendwo eine Planung zu lange dauert, zeigen
alle auf die Europäische Union, obwohl die Regeln, die von dort kommen,
alle vorher von den nationalen Regierungen mitbeschlossen wurden. Die Leute
wollen aber nicht wissen, wer zuständig ist, die wollen, dass jemand die
Zustände verändert und verbessert.
Aber: Die Erfahrung zeigt, Demokratien sind fehlerfreundlich, autoritäre
Staaten überhaupt nicht. Dass der starke Mann erklären muss, etwas falsch
gemacht zu haben, das geht in der Regel nicht. Ich habe mich gewundert,
warum der Wahlkampf zum Beispiel meiner Partei nicht mit Trump geführt
wurde. Ich hätte einen Wahlkampf damit gemacht und gesagt, die CDU ist
nicht unser Gegner, auch nicht die FDP. Sondern das, was uns unter Donald
Trump und Leuten wie [4][J. D. Vance] oder Elon Musk in den USA droht.
taz: Warum hat die SPD nicht so einen Wahlkampf geführt?
Gabriel: Die SPD hat einen sehr folkloristischen Anti-rechts-Wahlkampf
probiert. Das Ergebnis ist, dass die SPD so schwach war wie seit 1887 nicht
mehr und die AfD so stark wie nie. Die SPD hat einen sehr
rückwärtsgewandten Blick zum Beispiel auf den Sozialstaat und verbreitet
wenig Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sozialdemokratische Parteien haben
aber überall auf der Welt nur dann eine Chance, wenn sie einen begründeten
Hoffnungsüberschuss verbreiten. Dafür braucht man eine Idee für die
Zukunft. Ich kann leider nicht erkennen, dass die SPD darüber nachdenkt.
Der katastrophale Wahlausgang für die SPD scheint nicht dazu zu führen,
dass darüber nachgedacht wird, ob die „gesellschaftliche Medizin“ der SPD
die richtige war. Sondern offenbar glauben viele, man müsse nur die Dosis
erhöhen. Es dürfte aber schwierig bleiben, mit höheren Steuern oder noch
mehr Schulden Hoffnung zu verbreiten.
taz: Die SPD schaut ins 20. Jahrhundert, nicht ins 21.?
Gabriel: Wir sind seit 1998 fast ununterbrochen in der Bundesregierung, von
vier Jahren abgesehen. Die Sozialdemokratie braucht die Kraft und die Zeit,
um so etwas wie das Godesberger Programm erneut zu versuchen, um Willy
Brandt zu folgen, der sagt: Wenn du auf der Höhe der Zeit sein willst, dann
darfst du dich nicht mit den Fragen von gestern beschäftigen. Sein Rat war:
„Besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten
will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll.“
taz: Was heißt das?
Gabriel: Nehmen wir das Beispiel Sozialstaat. Der Sozialstaat war die
größte Errungenschaft des 20. Jahrhunderts. Er ist aber im Kern ein
Freiheitsprojekt. Er sollte Herkunft von Zukunft trennen. Nicht mehr
Geschlecht, Einkommen der Eltern oder Herkunft sollte über die Zukunft
eines Menschen entscheiden, sondern wir wollten Bedingungen schaffen, unter
denen jedes Leben gelingen kann. Das gelungene Leben muss aber jeder Mensch
selbst anpacken. Das kann kein Staat und keine Partei für ihn tun, sondern
nur Bedingungen schaffen, die das befördern.
Aus diesem Freiheitsprojekt hat die SPD den Sozialhilfestaat gemacht. Wir
denken nicht mehr darüber nach: Wie kann jedes Leben gelingen? Stattdessen
haben wir für jede erdenkliche Lebenslage sozialhilferechtliche Ansprüche
formuliert. Nehmen wir die Debatte um die [5][Kindergrundsicherung] für
arme Kinder. Es gibt keine Kinderarmut ohne arme Eltern. Also muss ich
etwas gegen Elternarmut unternehmen. Zum Beispiel das Geld nehmen, und in
mehr Ganztagsschulen, Ganztagsbetreuung und Ganztagskindergärten
investieren. Ich verstehe nicht, dass meine Partei jedes Jahr zuschaut,
wenn eine internationale Bildungsstudie veröffentlicht wird, in der
Deutschland immer schlechter wird. Ich finde das furchtbar. In der SPD wird
das offenbar nicht mal mehr thematisiert.
taz: Die SPD war früher die Partei des Aufstiegs durch Bildung. Warum ist
sie das nicht mehr?
Gabriel: Weil die Zusammensetzung der heutigen Sozialdemokratie eine ist
von Menschen, die diesen Aufstieg gemacht haben oder die Kinder von Eltern
sind, die ihn gemacht haben. Sie finden praktisch keinen Handwerksmeister,
keinen Facharbeiter oder Gewerkschafter mehr in den Bundestagsfraktionen.
Das sind seltene Ausnahmen. Und in Führungspositionen kommen sie auch
nicht. Die Sozialdemokratie ist in ihrer Zusammensetzung inzwischen weit
weg von der sozialen Struktur dieses Landes und weitgehend akademisiert.
taz: Die SPD wird gefressen von ihrem eigenen Erfolg?
Gabriel: Das ist das eine. Aber auch die Vorstellung, man könne zur
kulturellen Mehrheit werden, wenn man die Summe der Minderheitenpolitik
macht, ist Unsinn. Sie müssen eine Politik für die Mehrheit machen. Dann
gibt es auch gesellschaftliche Akzeptanz für eine Politik, die sich um
Minderheiten kümmert. Und die Mehrheit ist die Arbeitsgesellschaft.
Sozialdemokraten schauen zu, wie mit einer gut gemeinten Transformation zur
Klimaneutralität Zigtausende industrielle Arbeitsplätze verlorengehen, zum
Beispiel bei den Autozulieferern. Und wir beschwindeln die Leute auch noch
und sagen: Wir haben eine Lösung. Wir haben keine Lösung. Die Region aus
der ich komme, die hat 30 Jahre für den Strukturwandel gebraucht.
taz: 30 Jahre haben wir nicht mehr
Gabriel: Sicher haben wir die. Und wer glaubt, man könne Klimapolitik gegen
große Teile der Arbeitsgesellschaft durchsetzen, der wird bald merken, dass
auch in der Politik die alte Handwerkerregel gilt: nach fest kommt ab.
taz: Wenn die Temperaturen immer weiter steigen, werden Ereignisse wie die
Flutkatastrophe im Ahrtal immer wahrscheinlicher.
Gabriel: Ich plädiere ja auch nicht dafür, keinen Klimaschutz zu betreiben.
Die Wende zu einer besseren Klimaschutzpolitik ist Gott sei Dank weltweit
nicht mehr aufzuhalten. Nicht mal durch Donald Trump. Wo finden Sie die
meisten Windräder? In Texas. Aber es ist wie in allen Bereichen: Die letzte
Meile ist immer die teuerste. Wir verursachen in Deutschland 2 Prozent der
weltweiten CO2-Emissionen. Um die auf 1 Prozent zu bringen, ruinieren wir
den wichtigsten Pfeiler unserer Volkswirtschaft: die Automobilindustrie.
Wir müssen in der alten Industrie das Geld noch verdienen, das wir
brauchen, um die Transformation zu finanzieren.
taz: An den deutschen Klimazielen halten Sie fest?
Gabriel: Ich bin ja kein Klimaleugner. Aber es macht doch Sinn, ob wir
nicht die existierenden Regeln im Pariser Klimaschutzabkommen
rechtssicherer machen, nach denen man mit dem gleichen Geld, das man
zuhause aufwendet und dafür relativ geringe Einsparungen von CO2 erreicht,
nicht in internationale Klimaschutzprojekte investiert und damit weit mehr
Treibhausgase reduziert.
taz: Ihr Vorgänger als Vorsitzender der Atlantik-Brücke war Friedrich Merz.
Werden Sie auch sein Nachfolger in seinem jetzigen Amt?
Gabriel: Das ist eine lustige Vorstellung, aber Sie dürften der SPD-Führung
mit dieser Idee einen gehörigen Schreck einjagen. Außerdem müssten Sie
vorher meine Frau davon überzeugen und das ist noch schwieriger als die
SPD.
10 Jun 2025
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## AUTOREN
Anja Krüger
Jonas Waack
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