# taz.de -- Reichsbürgerprozess in Frankfurt: Der höfliche Herr Bonk | |
> Seit einem Jahr läuft in Frankfurt der Terrorprozess gegen Prinz Reuß und | |
> seine mutmaßliche Reichsbürger-Umsturzgarde. Eine Lehrstunde in Geduld. | |
Bild: Der Vorsitzende Richter Jürgen Bonk bei der Eröffnung des Prozesses geg… | |
FRANKFURT AM MAIN taz | Wäre Jürgen Bonk nicht Richter geworden, hätte er | |
sicher auch Karriere als Diplomat machen können. Der Vorsitzende des | |
Staatsschutzsenats am Oberlandesgericht in Frankfurt am Main führt den | |
Prozess gegen die mutmaßliche Führungsspitze der Reichsbürger-Truppe um | |
Heinrich XIII. Prinz Reuß, und er tut das mit ausgesuchter Höflichkeit. | |
„Vielen Dank für den Hinweis“, pflegt Bonk sanftstimmig abzumoderieren, | |
wenn sich auf der Seite, wo die neun Angeklagten mit ihren rund 20 | |
Verteidiger*innen sitzen, wieder einmal in Rage geredet wird. „Ich | |
glaube, Ihr Standpunkt ist deutlich geworden.“ | |
[1][Seit einem Jahr läuft der Prozess] in der eigens errichteten | |
Leichtbauhalle in einem Gewerbegebiet am Rande der Mainmetropole. Es geht | |
um Terrorismus und Hochverrat, die Bundesanwaltschaft wirft den Angeklagten | |
– sowie 17 weiteren Männern und Frauen, die parallel in Stuttgart und | |
München vor Gericht stehen – die Vorbereitung eines Staatsstreichs vor. Mit | |
einem bewaffneten Angriff auf den Bundestag, mit dem Aufbau | |
paramilitärischer „Heimatschutzkompanien“, mit Massenhinrichtungen, mit der | |
Bildung einer designierten Putschregierung, angeführt vom altadligen | |
Reichsbürger und Immobilienunternehmer Reuß. | |
Doch von dem, was die Bundesanwaltschaft auf 550 Seiten als das | |
„wesentliche Ergebnis“ ihrer Ermittlungen zusammengefasst hat (und was | |
medial gelegentlich mit einer bereits erwiesenen Wahrheit verwechselt | |
wird), wurde in 68 Verhandlungstagen erst ein Bruchteil erörtert. Von den | |
258 Zeug*innen, auf die sich die Anklage stützt, trat bisher [2][bloß ein | |
gutes Dutzend] auf. Und auch aus den zahllosen Chats und Telefonaten, in | |
denen sich die Angeklagten um Kopf und Kragen geredet haben sollen, waren | |
erst wenige Sätze zu hören. Es geht langsam voran, sehr langsam. | |
Zur diplomatischen Begabung des Senatsvorsitzenden gehört eben auch: | |
Geduld. Tagelang hat er zugehört, als sich die angeklagte | |
[3][Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann] zur Anklage | |
äußerte. Ein [4][schier endlos mäandernder Monolog], in dem die einstige | |
Berliner Richterin mit viel selbstgerechtem Hochmut erklärte, warum | |
sämtliche [5][Vorwürfe grundlos, bodenlos, kurz: eine persönliche | |
Beleidigung] seien. Wochen später kontert Bonk nun, indem er der | |
60-Jährigen eine Chatnachricht vorhält. | |
Malsack-Winkemann hat sie geschrieben, kurz nachdem sie am 1. August 2021 | |
mehrere Mitangeklagte, darunter den ehemaligen Bundeswehr-Oberst Maximilian | |
Eder, durch den Bundestag geführt hat. Ein Manöver, das dem Auskundschaften | |
des Parlaments dienen sollte, meint die Bundesanwaltschaft. Ein rein | |
touristischer Besuch, hat Malsack-Winkemann behauptet. In dem Chat schrieb | |
sie über Eder: „Er ist sauer und will das Vorhaben wegen meines Misstrauens | |
abbrechen.“ Weil sie ihm nicht erlaubt habe, ein Auto auf ihren Namen | |
anzumieten. | |
Um was für ein Vorhaben ging es da? Malsack-Winkemann eiert, redet viel, | |
ohne eine plausible Erklärung liefern zu können. Bereits zuvor, als die im | |
Bundestag entstandenen Fotos im Gerichtssaal gezeigt werden, ist sie immer | |
wieder wortreich ausgewichen. Vielleicht, weil sich das touristische | |
Interesse an Tiefgaragen, Eingangsschleusen, Aufzugschildern, Kellerfluren | |
oder Fluchtwegen nicht unmittelbar erschließt. „Ich will Ihnen meine Frage | |
noch mal in Erinnerung rufen“, sagt Bonk und seine Stimme klingt jetzt ein | |
paar Grad kühler als sonst. | |
## Der KSK-Offizier, der an einen Kinder missbrauchenden Deep State glaubt | |
Die AfD-Politikerin ist nach wie vor die einzige der Angeklagten im | |
Frankfurter Prozess, die sich vor Gericht zur Aussage eingelassen hat. | |
Andere, darunter der mutmaßliche Rädelsführer Reuß, kündigen das bislang | |
nur an. Und auch Ex-Oberst Eder schweigt – wieder. Kurz vor Ostern ist er | |
noch mit viel Aplomb in einen Vortrag gestartet. Mehrere Tage lang will der | |
66-Jährige reden, sogar eine Powerpoint-Präsentation hat er mitgebracht, | |
doch dann bricht er nach dem ersten Tag ab. Ins Detail gehen könne er erst, | |
wenn ihm das Gericht Zugang zu seinen damaligen „roundabout 15.000 Mails“ | |
gewähre, sagt er. „Das ist wie ein Tagebuch.“ | |
Zur Einleitung spricht der einstige Stabsoffizier der Eliteeinheit Kommando | |
Spezialkräfte (KSK) über seinen Kampf gegen die Corona-Maßnahmen und gegen | |
das, was er „satanisch-rituelle Pädophilie“ nennt. Wie die meisten der | |
mutmaßlichen Möchtegern-Putschist*innen glaubt er an unterirdische | |
Tunnelsysteme, in denen Kinder von einer „Deep State“ genannten Machtelite | |
systematisch gefoltert und missbraucht werden. Es ist der Kern der | |
antisemitisch aufgeladenen QAnon-Verschwörungsideologie. Aber Eder sagt: | |
„Ich distanziere mich nachdrücklich von der Unterstellung, ich sei ein | |
Anhänger von QAnon.“ | |
Die Anklagevorwürfe weist Eder in stolzem Bayrisch sämtlich als „Schmarrn“ | |
zurück. „Es sollte immer friedlich und gewaltfrei bleiben“, beteuert er. | |
„Ein Staatsstreich war niemals meine Absicht.“ Kurz darauf erwähnt er wie | |
nebenbei, dass er zeitweilig sehr wohl über eine Aktion im oder am | |
Bundestag nachgedacht habe. „Das wäre so eine Art Berliner Fenstersturz | |
geworden“, sagt Eder – und spielt damit an auf den Prager Fenstersturz, mit | |
dem 1618 der 30-jährige Krieg begann. Ein Ereignis, das als Wendepunkt in | |
der Geschichte Europas gilt. Aber erst einmal war es: Lynchjustiz. | |
Immer friedlich und gewaltfrei also? Die Angeklagte Johanna | |
Findeisen-Juskowiak, bis zu ihrer Festnahme Landesvorsitzende der | |
Querdenken-Partei „Die Basis“ in Baden-Württemberg, hat bei einem Treffen | |
mit dem erfahrenen Ex-Offizier Codewörter fürs konspirative Kommunizieren | |
mitgeschrieben, angeblich ohne groß nachzudenken: „Buntstifte = Waffen“, | |
notierte die 54-Jährige. „Abholzen = Personenbeseitigung“. | |
Einem alten Kameraden aus Bundeswehrzeiten gegenüber soll Eder noch | |
deutlicher geworden sein. „Nach meiner Erinnerung“, sagt Frank | |
Leidenberger, „ging es um die Tötung von Herrn Spahn.“ Leidenberger war | |
Generalleutnant, hat Truppen in Afghanistan kommandiert und leitende | |
Funktionen in der Bundeswehrverwaltung innegehabt. Beim Treffen in einem | |
bayerischen Biergarten, erzählt der 66-Jährige, habe ihn Eder aufgefordert, | |
sein Handy wegzulegen, damit sie nicht abgehört werden könnten. Dann habe | |
er ihn anzuwerben versucht. | |
Aber wofür? Für den Kampf gegen die vermeintliche „Corona-Diktatur“, wie | |
Leidenberger es kurz danach dem Militärgeheimdienst MAD meldete? Für einen | |
„Staatsstreich“, wie er später in seiner Vernehmung beim Bundeskriminalamt | |
sagte? Oder für die „Beseitigung“ von Jens Spahn, dem damaligen | |
Gesundheitsminister der CDU, wie er nun vor Gericht erklärt? | |
Von einer „Verböserung“ der Aussage spricht die Verteidigung. Und auch | |
Leidenberger muss einräumen, dass ihn das Wissen um die Anklagevorwürfe | |
nicht unbeeinflusst gelassen hat. „Der Begriff ‚Tötung‘ ist nicht wörtl… | |
gefallen“, sagt er schließlich. „Aber es war klar, was gemeint ist.“ | |
Eder – ein kleiner drahtiger Mann, der die langen grauen Haare zum Zopf | |
gebunden trägt – gefällt sich in der [6][Pose des heldenhaften Kämpfers] | |
für die Befreiung missbrauchter Kinder. „Nehmen Sie mich als Faustpfand“, | |
ruft er am Ende seiner Powerpointpräsentation mit Pathos. „Ich bin der, der | |
die Gesamtverantwortung trägt!“ Da brandet hinten im Saal Beifall auf, bei | |
den treuen Fans der Angeklagten, die zu jedem Prozesstag kommen. Auf ihren | |
T-Shirts und Pullovern steht „The truth will win“ oder „Wir müssen | |
friedenstüchtig werden“. Aber für die Justiz haben sie nur aggressive | |
Verachtung übrig. | |
Mit hämischem Lachen quittieren sie, wenn die Verteidigung versucht, das | |
Verfahren mit sarkastischen Bemerkungen ins Lächerliche zu ziehen. | |
Insbesondere Jochen Lober, Anwalt der AfDlerin Malsack-Winkemann, ist für | |
jeden Verbalkrawall zu haben. Richter Bonk reagiert darauf auf seine Art. | |
„Vielleicht“, sagt er, „wollen wir es bei allem Verständnis für Ihre Art | |
des Humors bei einer gewissen Sachlichkeit belassen.“ | |
Ihr Fragerecht nutzt die Verteidigung in zermürbender Ausführlichkeit. Am | |
Mittwoch, dem ersten Jahrestag des Prozessbeginns, ist ein Zeuge deshalb | |
bereits zum achten Mal geladen. Den Prozess als zäh zu bezeichnen, wäre | |
eine freundliche Untertreibung. In Frankfurt sind derzeit Termine bis | |
Januar 2026 angesetzt, beim Parallelverfahren in München, obwohl es dort | |
sogar etwas zügiger vorangeht, bereits bis 2027. Reichen dürfte beides | |
nicht. | |
Den wenigen Journalist*innen, die die Verhandlungen noch regelmäßig | |
verfolgen, entringt sich da gelegentlich ein Fluch. Würde der höfliche Herr | |
Bonk ihnen zuhören, könnte er, sich selbst zitierend, sagen: „Sie werden | |
verstehen, dass ich Sie auf diesem sprachlichen Niveau nicht begleiten | |
werde.“ | |
26 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Joachim F. Tornau | |
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