| # taz.de -- Aslı Özdemir über ihre Fotoarbeit: „Eigentlich leben wir perma… | |
| > Die Fotografin Aslı Özdemir setzt sich selbst und ihre Familie in Szene. | |
| > Dabei erkundet sie unsichtbare Mechanismen der Ausgrenzung. | |
| Bild: Mit ihrer Mutter im Odenwald, November 2022 | |
| taz: Frau Özdemir, Ihre aktuelle Ausstellung trägt den Titel „ich kann mich | |
| jetzt als akademiker*in tarnen“. Was verbirgt sich dahinter? | |
| [1][Aslı Özdemir]: In meiner Arbeit habe ich nach meiner eigenen Geschichte | |
| gesucht – sowohl in meiner Familie als auch im sozialen Raum, an der | |
| Kunsthochschule. Mir wurde bewusst, dass ich ohne akademischen Habitus in | |
| diesen Raum gekommen bin. Jahrelang habe ich viel Unbehagen in mir | |
| getragen, das ich nicht in Sprache übersetzen konnte. Ich hatte das Gefühl, | |
| selbst das Problem zu sein. | |
| taz: Sie fühlten sich an der Kunsthochschule nicht ganz zugehörig? | |
| Özdemir: Ja. Mit den Jahren habe ich mithilfe der kritischen Theorie und | |
| Texten von anderen mit ähnlichen Erfahrungen verstanden, dass diese Räume | |
| sehr viele Formen der symbolischen Gewalt in sich tragen. | |
| taz: Sie beziehen sich unter anderem auf den Soziologen Pierre Bourdieu, | |
| der sich mit der Bedeutung von Stil- und Geschmacksfragen für die soziale | |
| Position beschäftigt hat und der auch den Begriff des Habitus nutzt. | |
| Özdemir: Mir wurde klar: Es gibt auch im akademischen Raum unsichtbare | |
| Mechanismen der Ausgrenzung von Menschen mit einem anderen Habitus. In dem | |
| Titel der Ausstellung nutze ich ganz bewusst das Wort „tarnen“. Ich sage | |
| damit einerseits, dass ich Teil dieser Räume bin, aber benenne gleichzeitig | |
| ihre Strukturen, die dazu führen, dass sich Menschen tarnen müssen. | |
| taz: Und wie übersetzen Sie die Begriffe Habitus und sozialer Raum ins | |
| Visuelle? | |
| Özdemir: Tatsächlich kam die Praxis viel früher als die Theorie. Ich habe | |
| mich damit beschäftigt, wie wir unseren Wohnraum gestalten. Eigentlich | |
| leben wir ja permanent in unseren eigenen Inszenierungen. Es erzählt viel, | |
| was gezeigt wird und was nicht, ob etwa Bücher im Raum sind. Irgendwann | |
| habe ich damit begonnen, diese Inszenierungen als Bild festzuhalten. Über | |
| Zufälle kam dann die Theorie zu mir, die mir half, all das zu begreifen. So | |
| wurde das Intuitive zum Bewussten. Immer wenn ich in Räume gehe, scanne ich | |
| mit meinen Augen die Details. Mich interessiert, wie Menschen ihre Sachen | |
| positionieren. Das sagt viel über sie aus. | |
| taz: Sie arbeiten auch intensiv [2][mit Fotos] aus Ihrem Familienarchiv. | |
| Özdemir: Vor ein paar Jahren fragte ich mich, wer meine Mutter eigentlich | |
| vor meiner Geburt war. Was hatte sie als junge Frau für Träume? Deswegen | |
| habe ich mir ihre alten Bilder ausgeliehen. Lange habe ich sie mir einfach | |
| nur angeguckt. Irgendwann begannen sie, mit mir zu sprechen. Ich erkannte | |
| immer wieder neue Dinge, wie Versuche von Berührungen oder welche Lampe im | |
| Hintergrund zu sehen ist. Ich habe angefangen, Ausschnitte aus diesem | |
| Material freizustellen und sie neu zusammenzusetzen. | |
| taz: Waren Sie auf der Suche nach dem Habitus Ihrer Familie? | |
| Özdemir: Ich arbeite mit Fragmenten aus dem Vergangenen, die ich mit der | |
| Gegenwart in einen Dialog bringe. Deswegen kann man auch nicht sagen, dass | |
| ich die Geschichte meiner Familie oder einer bestimmten Community erzähle. | |
| Es bleibt immer meine subjektive Perspektive. Innerhalb weiß geprägter | |
| Institutionen mache ich oft die Erfahrung, dass Menschen teils mit | |
| vorgefertigten Antworten auf meine Bilder schauen, wenn sie meinen Namen | |
| lesen. Oft reduzieren sie meine Arbeiten auf meine Herkunftsgeschichte. Es | |
| geht aber um etwas Universelles: die Suche nach der Geschichte des eigenen | |
| Körpers, die eigene kritische Verortung innerhalb der privaten und | |
| öffentlichen Räume. | |
| 17 May 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.aslioezdemir.com/ | |
| [2] https://www.off-foto.info/ | |
| ## AUTOREN | |
| Valerie Braungardt | |
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