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# taz.de -- Ausstellung über Mutterschaft: Madonnen und Milchflaschen
> Das Thema Mutterschaft ist in der Kunstwelt angesagt. Der Düsseldorfer
> Kunstpalast zeigt eine Ausstellung, die mehr in die Breite als in die
> Tiefe geht.
Bild: Innigkeit in Öl: Gemälde von Marie-Victoire Lemoine, Arp-Museum Bahnhof…
Vor zehn Jahren sorgte die israelische [1][Soziologin Orna Donath] mit der
Veröffentlichung ihrer Studie „Regretting Motherhood“ für Furore. Dass es
nicht wenige Mütter gibt, die ihre Mutterschaft tief bereuen, löste eine
Debatte aus. Erst kürzlich erschienen die autobiografischen Aufzeichnungen
der New Yorker Essayistin und Kunsthistorikerin Sarah Hoover „The
Motherload: Episodes from the Brink of Motherhood“, in denen sie mit
bissigem Humor Depressionen und Gleichgültigkeit nach der Geburt ihres
ersten Kindes verarbeitet. Der Mythos der glücklichen Mutter bröckelt.
Dennoch oder vielleicht gerade deshalb ist das Thema Mutterschaft in der
Kunstwelt angesagt: Die Kunsthalle Mannheim zeigte 2021/22 die sehr
komplexe Ausstellung „Mutter! Ursprung des Lebens“, und vor einem halben
Jahr präsentierte die Bonner Galerie Gisela Clement mit „Mother“ eine
Gruppenausstellung mit zeitgenössischen Antworten auf die radikalen
Erfahrungen des Mutterseins und die widersprüchlichen gesellschaftlichen
und politischen Ansprüche an Mütter.
Nun zieht der Düsseldorfer Kunstpalast nach, der bei populären Themen gern
dabei ist. Und seit der als exemplarisch geltenden Neuordnung seiner
Sammlung ist dort das Prinzip erhellender Gegenüberstellungen zum
bevorzugten Narrativ erhoben worden: Man stellt neue Bezüge her, indem
Genres und Kategorien kühn gemixt werden. Kunst tritt in den Dialog mit
Kunsthandwerk oder sogar Werbung. Das Konzept folgt dem Reiz überraschender
Gemeinsamkeiten, aber es gilt auch: Was nicht passt, wird passend gemacht.
Auch die Ausstellung mit dem unschlagbar eingängigen Titel „Mama – Von
Maria bis Merkel“ schlägt große Bögen und arbeitet sich mit
Siebenmeilenstiefeln durch gewichtige Themenblöcke wie „Die gute Mutter“,
„(K)Ein Kind bekommen“, „Familienkonstellationen“ oder „Care-Arbeit�…
Am Eingang des Parcours steht ein Ausschnitt aus einem Peter-Alexander-Film
von 1968, in dem der niederländische Kinderstar Heintje den Schlager „Mama“
kräht, der in Wahrheit ein Welthit mit faschistischer Vergangenheit war. Es
folgt ein Raum zum Thema „Die gute Mutter“ [2][mit Marienfiguren vom 14.
bis 18. Jahrhundert], die an einer Wand steil übereinander platziert sind.
Bis heute dürfte Maria die prominenteste Mutter des westlichen Kulturraums
sein und zugleich ein Sinnbild idealtypischer mütterlicher Hingabe. Bei
genauerem Hinsehen freilich schauen auch die heiligen Mütter der
Vergangenheit teils skeptisch oder sogar distanziert drein.
Im gleichen Kapitel ist ein Porträt der Mutter des Künstlers Aldo
Giannotti zu sehen, die an den Füßen aufgehängt von der Decke baumelt. In
den Händen hält sie ein Schild mit drei Buchstaben: „MOM“ liest sich auf
dem Kopf stehend„WOW“. Ebenfalls als ideale Mutter gilt in der Ausstellung
die kinderlose Angela Merkel, unter anderem zeigt sie das Spiegel-Cover
„Mutter Angela“ mit Mutter-Teresa-Schleier im „Wir schaffen das“-Jahr 2…
Prosaischer das nächste Ausstellungskapitel „Rat oder Regel“, das
Handbücher für Mütter aus dem frühen 19. Jahrhundert, die Bestseller für
die „deutsche Mutter“ aus der Nazizeit bis hin zu Ratgebern der Gegenwart
für „späte Mütter“ aufblättert, aber auch bizarre Werbefotografien aus …
1940er Jahren zeigt.
## Kinderlosigkeit und Pillenspender
Von mütterlicher Überforderung erzählt die Fotoarbeit „Brotschneiden“ von
Judith Samen, die auf dem Tisch lustlos mit einem Brotmesser hantiert,
während sie im anderen Arm ein Baby balanciert. Im Kapitel „(K)Ein Kind
bekommen“ trifft eine barocke „Verkündigung“ im dichten Blumenkranz aus …
Rubens-Umfeld auf einen nüchternen Mutterpass der Gegenwart und die
Fotoserie „Annonciation“ [3][der finnischen Künstlerin Elina Brotherus],
die ihre eigene ungewollte Kinderlosigkeit und verzweifelten Versuche
dokumentiert, mithilfe [4][von Reproduktionsmedizin endlich schwanger zu
werden].
Für den Schwangerschaftsabbruch dagegen singt 1978 Nina Hagen mit ihrem Hit
„Unbeschreiblich weiblich“, zu sehen sind außerdem ein runder
Plastikspender für Verhütungspillen – damals „Antibabypillen“ genannt �…
1964 und ein archaisch-karg anmutender Gebärstuhl aus dem 18. Jahrhundert.
Subtiler ist das ambivalente Kapitel „Nähe“ ausgestaltet; präsentiert
werden unter anderem das vital gezeichnete Blatt „Familie“ von Käthe
Kollwitz, aber auch das auf den ersten Blick Hingebung darstellende
Mutter-Kind-Bild in der Natur von Gabriel Cornelius von Max, das unter dem
Titel „Die Kindesmörderin“ ein Thema aufgreift, das so alt ist wie die
Mutterschaft und deren Schattenseiten.
Die Düsseldorfer Schau geht bewusst in die Breite statt in die Tiefe, ihre
inhaltlichen Zumutungen bleiben familientauglich, und auch der
Servicegedanke wird nicht vergessen, denn im Beiprogramm werden Yogakurse
und eine Hebammensprechstunde angeboten. Den Audioguide las Marie-Luise
Marjan ein, die jahrzehntelang als die „Mutter Beimer“ der „Lindenstraße…
in das kollektive TV-Gedächtnis einging.
28 Apr 2025
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## AUTOREN
Regine Müller
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Bildende Kunst
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