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# taz.de -- Athener Ausstellung über Tier und Mensch: Arme Seelen
> Fuchskadaver auf der Straße: Die große Schau „Why Look at Animals“ im
> Athener Museum für Gegenwartskunst fokussiert auf unseren Umgang mit
> Tieren.
Bild: Emma Talbot: „You Are Not the Centre (inside the animal mind)“, 2025 …
Warum schauen wir uns Tiere gerne an? Nicht nur unsere Haustiere, sondern
auch all jene, die uns – besonders im Kindesalter – in Büchern, als
Spielzeug sowie in Zeichentrick-Filmen begegnen. Tiger, Pandabären und
Elefanten, so scheint es, existieren in allen Kinderzimmern, obwohl ihre
Lebensgrundlagen immer schlechter werden und sie durch unser Verhalten
sogar vollkommen zu verschwinden drohen und aussterben.
Dieses Paradox und Zeugnis menschlicher Entfremdung zur Natur hatte John
Berger bereits 1977 in seinem Essay „Why Look at Animals“ diskutiert.
Bergers einflussreicher Text dient nun auch als Grundlage für eine
umfangreiche Ausstellung im Museum für zeitgenössische Kunst in Athen
(EMST).
Unter dem Bergers Essay erweiternden Titel „Why Look at Animals. A Case for
the Rights of Non-Human Lives“ werden hier als Weltpremiere in über 200
Werken Tierrechte, Tierwohl und das menschliche Verhältnis zur Natur
diskutiert. Kuratorin der bisher größten Gruppenausstellung im EMST, die
alle vier Etagen sowie das Untergeschoss umfasst und über 60
Künstler:innen zeigt, ist die griechische Kunsthistorikerin Katerina
Gregos.
## Politische Vision
Gregos, seit 2021 auch künstlerische Direktorin des EMST, setzt mit „Why
Look at Animals“ ein Zeichen und macht nach ihrer vierteiligen,
[1][all-female Schau „What If Women Rules the Wold“] ihre politische Vision
für das Museum deutlich.
Das Verhältnis von Tieren und Kunst ist heutzutage nämlich so beschädigt,
dass man davon höchstens Notiz nimmt, wenn nichtmenschliche Lebewesen für
Kunst benutzt und misshandelt werden. Wie im [2][prominentesten Fall bei
Damien Hirst].
In seiner Laufbahn hat der britische Starkünstler laut Online-Kunstmagazin
artnet den Tod von bis zu einer Millionen Tiere zu verantworten, deren
Körper er für seine auf dem Kunstmarkt sehr erfolgreichen Installationen
nutzte – man denke etwa an seine eingelegten Haie. Gemessen an Hirsts death
count ist die öffentliche Reaktion zahm. Erst in der letzten Dekade hatten
Proteste dazu geführt, dass Arbeiten von Hirst aus Ausstellungen entfernt
werden mussten.
## Dokumentierte Qual
Auch im EMST sieht man in vielen Videoarbeiten echte Tiere. Allein die
Dokumentation über ihre Qualen reicht aus, um ein Statement zu machen,
anders als bei Damien Hirst, der sie erst einmal zu künstlerischen Objekten
verarbeiten muss. Oft sind es Nutztiere, die in der Ausstellung auf der
Leinwand erscheinen.
Wie Mastschweine in Ang Siew Chings Video „High-Rise Pigs“. Die
singapurische Künstlerin thematisiert deren kurzes Leben im Zhongxin Kaiwei
Pig Building, der mit 26 Etagen größte Massentierhaltungsstall der Welt. Er
wurde Ende 2022 in der chinesischen Provinz Hubei fertiggestellt und
überschattet mit seinem Gestank und der architektonischen Größe das Dorf,
in das er platziert wurde.
Dass man dabei neben Eindrücken der beklemmenden Innenarchitektur auch von
der Züchtung zusätzlicher Brustwarzenpaare für die Säue erfährt, lässt
erschaudern. Der traurigste Moment ihres Videos ist, als zwei Schweine
versuchen aus dem Maststall zu fliehen und über die Absperrung hängend
miteinander zu kommunizieren scheinen. Vergebens. Man ahnt, dass sie zu den
1,2 Millionen Exemplaren gehören, die hier jährlich geschlachtet werden.
## Leere Augen von Streunern
In der zweikanaligen Videoarbeit „Today I am, Tomorrow I’m not“ von
Menelaos Karamaghiolis sieht man hingegen Tiere in Griechenland, die zwar
frei sind, doch in den menschlichen Umgebungen nicht überleben können. Man
blickt in leere Augen streunender Hunde, die im Müll wühlen, und sieht eine
angefahrene Schildkröte auf der Straße hoppeln.
Parallel zu diesen realistischen Bildern lässt Karamaghiolis Szenen
religiöser Riten in Griechenland ablaufen: Ikonen werden geküsst, eine
orthodoxe Beerdigung findet statt – Menschen weichen offenbar lieber ins
Jenseits aus, anstatt die anderen Lebewesen um sie herum zu sehen.
Der Tod von Tieren spielt in dieser Ausstellung häufig eine Rolle, ist er
doch oft eng an menschliches Leben gekoppelt. In der Videoarbeit „The
Roadkill Coat“ aus dem Jahr 2000 sammelt das französische Duo Art orienté
objet durch Autos verunglückte Tiere von der Straße auf, dokumentiert die
Kadaver und näht Tierfelle zum pompösen Pelzmantel zusammen.
## Leichen im Innenfutter
Der hängt jetzt im Original neben der Videoinstallation, in seinem
Innenfutter sieht man die Fotos der toten Tiere, viele Hasen und Vögel,
aber auch größere Wildtiere. Wird dann im Video der Pelzmantel in der
Öffentlichkeit getragen, hat das einige lange Blicke zur Folge.
Direktorin Gregos hat auch neue Arbeiten in Auftrag geben lassen. Das ist
zunächst löblich, vor ihrer Zeit hatte man im Museum gar kein Budget für
Auftragswerke. Doch dass sie eine Künstlerin wie Emma Talbot dafür
auswählte, läuft dem ethischen Ansinnen ihrer Ausstellung etwas zuwider.
Die britische Künstlerin Talbot ist auch für ihre Malereien auf Seide
bekannt, in Athen steuert sie eine riesige Installation aus der tierischen
Faser bei, für die jährlich Billionen Seidenraupen sterben müssen. Das
Bewusstsein für Tierleid scheint selbst bei solch einer engagierten Kunst
noch nicht ausgereift.
Visuell zumindest betonen Emma Talbots zu beeindruckender Ornamentik
zusammengefügte Vögel, Spinnen und Hunde auf dem monumentalen Seidenstoff
die Tragweite [3][und die dringliche Message der Ausstellung]: Wie [4][John
Berger] es in seinem Essay feststellte, existiert das parallele Leben
zwischen Mensch und Tier, gefüllt von Geheimnissen und Respekt, nicht mehr.
Was Tiere uns heute zeigen, wenn wir sie beobachten, ist vielmehr, was wir
schon verloren haben.
21 May 2025
## LINKS
[1] /Frauen-an-der-Macht/!6034953
[2] /Bilder-der-Reichen-und-ihrer-Reichtuemer/!5583498
[3] /Wiens-erste-Klimabiennale/!6001350
[4] /Kunstkritiker-John-Berger-gestorben/!5370508
## AUTOREN
Lorina Speder
## TAGS
Tier
Menschheit
Natur
Athen
Ausstellung
Tierquälerei
Filmfestival
Kunstausstellung
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