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# taz.de -- Roman „Lila Eule“: Vom Beat-Club in die Kaderschmiede
> Cordt Schnibbens Roman „Lila Eule“ steckt voll Musik, Zeitgeschichte und
> Popkultur. Dabei erschöpft er sich in der Reproduktion von Namen und
> Fakten.
Bild: Als Radio Bremen noch weit vorne war: Aufzeichnung der Band „The Cream�…
Bremen war mal richtig cool. In den 1960er-Jahren wurde dort mit dem
„Beat-Club“ eine der international ersten Live-TV-Shows produziert, die nur
für Jugendliche konzipiert war. Und mit der „Lila Eule“ gab es (und gibt es
noch heute) im Ostertorviertel einen legendären Club, in dem [1][Rudi
Dutschke diskutierte, getanzt und Live-Musik gespielt wurde.]
Einer von denen, die damals in dieser Kellerkneipe sozialisiert und
politisiert wurden, ist der 1952 in Bremen geborene Journalist und Autor
Cordt Schnibben. In seinem ersten Roman „Lila Eule“ erzählt er von seiner
Jugend: autobiografisch, aber auch fiktiv. „Alles ist genauso passiert. Bis
auf das, was so hätte passieren müssen“, hat er unter den Titel seines über
500 Seiten dicken „Ostwest-LSD-Beatclub-Romans“ (so die Verlagsprosa)
geschrieben.
Tatsächlich passiert seinem Ich-Erzähler Carl allerhand. Bei den
Produktionen von [2][„Beat-Club“]-Sendungen war er als Kabelträger dabei,
weil einer seiner Schulfreunde der Sohn des zuständigen
Radio-Bremen-Redakteurs war. Er fuhr sogar 1967 nach London, wo er bei den
Fernsehaufnahmen von [3][Jimi Hendrix] im Marquee Club dabei war.
Weil seine Eltern Nazis waren, ging er in den frühen 1970er-Jahren mit
einem DKP-Stipendium in die DDR, wo er auf einer internationalistischen
Kaderschule unter seinen sozialistischen Mitstudenten*innen für Unruhe
sorgte, als er LSD als ein Mittel für die Bewusstseinserweiterung empfahl.
Dafür (oder war es doch wegen seiner verbotenen Liebe zu der Tochter eines
hohen Parteigenossen?) wurde er von der Stasi einkassiert und nach ein paar
Tagen Knast wieder aus dem real existierenden Sozialismus herausgeworfen.
Viele Jahre später, in den Tagen nach dem Mauerfall, fährt er als
inzwischen erfolgreicher Journalist zurück in die DDR, um dort seine
damalige große Liebe wiederzufinden. Und hier trifft er auch seine
Jugendfreunde aus Bremen wieder, die inzwischen in Ostberliner Kellern
Techno-Rave-Partys veranstalten. Es ist eine aufregende und interessante
Lebensgeschichte, in der viel Kulturgeschichte des Nachkriegsdeutschlands
von West und Ost steckt.
Und es steckt auch der Keim für einen großen Roman darin – aber den hat
Cordt Schnibben nicht geschrieben. Denn er bleibt auch hier ein Journalist,
der gut formulieren kann, dem es aber nicht gelingt, literarisch zu
erzählen. Also so, dass die Menschen, die Orte, die Musik durch seinen Text
lebendig werden.
So bekommt man etwa nie wirklich eine Ahnung davon, wie es sich damals
anfühlte in der engen und dunklen „Eule“ (zu deren Stammgästen ein paar
Jahre später übrigens auch ich gehörte). Alle Protagonisten und
Protagonist*innen sprechen im gleichen Tonfall und der Ich-Erzähler ist
zwar ein Stotterer, aber es reicht nicht, bei jedem vierten Wort der von
ihm gesprochenen Sätze die Anfangsbuchstaben mit Bindestrichen dazwischen
zweimal zu wiederholen, um ihm einen eigenen Ton zu geben.
Bei Schnibben wird aus dem geschriebenen nie das gesprochene Wort und das
mindert den Lesegenuss beträchtlich, weil er die Menschen in seinem Buch
so gern erzählen lässt. Sein Alter Ego Carl trifft ständig auf Zeitzeugen
wie eine sozialistische Afroamerikanerin, die beim Alamont Free Concert im
Jahr 1969 dabei war, bei dem die Rolling Stones die [4][Hells Angels] als
Sicherheitsdienst anheuerten, die dann einen der Fans direkt vor der Bühne
umbrachten. Schnibben lässt sie viele Seiten lang von diesem Anti-Woodstock
erzählen, und es scheint so, als hätte er in solchen Passagen Material aus
seiner journalistischen Arbeit in den Roman eingearbeitet.
Sogar der Leiter des Spionagedienstes der DDR, [5][Markus Wolf], hat einen
Auftritt im Roman, wenn Carl ihn 1989 in Ost-Berlin trifft – wie Schnibben,
der ausführlich für den Spiegel über den Zusammenbruch der DDR berichtete.
Viele Seiten des Romans bestehen aus solchen offensichtlich gründlich
recherchierte Zeugnissen anderer, die Schnibben dann in seine Dialoge
eingearbeitet hat. So etwa über das Swinging London der 1960er-Jahre oder
die durch Timothy Leary ausgelöste LSD-Euphorie.
Historische Authentizität versucht Schnibben auch dadurch zu erzeugen, dass
er ständig die Namen von Musiker*innen aus den 1960ern und ihre Songs
erwähnt. Vor allem die Rolling Stones werden von ihm gefeiert. Oft zitiert
er ganze Songtexte von ihnen, die dann immer genau zu der Situation und dem
Lebensgefühl der jeweiligen Kapitel passen. Immer wieder wird da auch der
Tratsch von längst vergangenen Zeiten wieder aufgewärmt. Dass Mick Jagger
zum Beispiel eine Beziehung zu der schwarzhäutigen Sängerin Marsha Hunt
hatte, scheint Schnibben so zu faszinieren, dass er es gleich mehrfach
erwähnt.
Diese ständige Auflistung von Namen und Fakten erfordert Geduld von den
Lesenden und schließlich reizt es auch zum Widerspruch: Konnte Carl etwa
tatsächlich schon bei einem Gespräch in den frühen 1970er-Jahren wissen,
dass Sean Connery [6][LSD] genommen hatte? Diese (von vielen angezweifelte)
Behauptung äußerte doch erst seine Ex-Ehefrau Diane Cilento im Jahr 2006 in
ihrer Autobiografie.
Man kann dieses fast schon obsessive Namedropping natürlich auch ins
Positive wenden und sagen, das Buch stecke voller Musik. Nicht dass
Schnibben etwa mit seinen Worten die Essenz oder die Aura eines Songs
beschreiben könnte. Aber sein Buch regt immerhin dazu an, sich die alten
Hits anzuhören.
Hier muss man den Verlag des Romans, Correctiv, loben, denn der Roman endet
mit einer Playlist von über hundert im Buch erwähnten Songs, die auf
Spotify mit einem QR-Code abrufbar sind.
Der Verlag hat sich auch große Mühe bei der Verpackung gegeben, denn sowohl
den Einband wie auch die Kapitelseiten schmücken knallig bunte,
KI-generierte Collagen von einem kiffenden Mick Jagger mit riesiger
Sonnenbrille, einer brennenden E-Gitarre, einer Karl-Marx-Büste, der eine
Pistole an den Kopf gehalten wird, usw. So cool wie er aussieht, ist der
Roman dann nicht geworden, aber um mit den Worten von Schibbens Idol
[7][Mick Jagger] zu enden: „You Can’t Always Get What You Want“.
22 May 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Wilfried Hippen
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Schwerpunkt 1968
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