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# taz.de -- Theaterstück „Drei Winter“: In der Villa des flüchtigen Nazis
> Als Familiensaga erzählt Tena Štivičić’ Stück „Drei Winter“ von Kr…
> Weg in die Unabhängigkeit. In Osnabrück beginnt das Drama mit
> Wimmelbildern.
Bild: Alle Figuren des Stücks sind von Vergangenem überlagert
Hinein in den kargen Neuanfang im November 1945: Gegen die faschistische
Diktatur von Hitlers und Mussolinis Gnaden aber auch gegen einheimische
Rechtsradikale und Monarchisten haben die kommunistischen Partisanen
gesiegt.
Ihr Anführer Josip Broz Tito lässt sich in einer Volksbefragung als Chef
Jugoslawiens bestätigen. Dieser Staat aus Slowenien, Kroatien, Serbien,
Montenegro, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina hatte bereits 1918 bis 1941
als Königreich existiert. Jetzt ist er eine Sozialistische Föderative
Republik. Für die hat die Figur Rose Kaiser in [1][Tena Štivičić’] Stück
„Drei Winter“ gekämpft.
In Osnabrücks Theater am Domhof tritt die Figur, gespielt von Rebekka
Biener, vorm geschlossenen Eisernen Vorhang in ein Büro, das der
Bühnenbildanweisung „schlicht – funktional – kommunistisch“ entspricht.
Als Lohn für ihr Partisanentum darf sie sich eines der verstaatlichten
Häuser in Zagreb aussuchen. Sie wählt die bourgeoise Villa, in der ihre
Mutter als geschwängertes Dienstmädchen gedemütigt worden war.
## Transparente Räume auf der Drehscheibe
Die Bühne öffnet sich, auf der Drehscheibe sind drei transparente Räume
angedeutet, durch die Textilien, Gardinen, Möbel, Lampen, ein Baum usw. wie
Erinnerungsstücke schweben. Mit ihnen lebt nur noch die Tochter des
einstigen Hausbesitzers, eines geflohenen Nazi-Kollaborateurs. Sascha Maria
Icks zeigt diese zurückgelassene Karolina aristokratisch verzweifelt in
ihrem Schuldbewusstsein und Sühnebegehren. Um sie herum soll jetzt neues
Leben erblühen.
Was aus Rose, ihren Kindern, Enkeln und ihrer Mutter wurde, das verfolgt
Tena Štivičić – in Anlehnung an ihre eigene Geschichte – ausladend
naturalistisch über fast sieben Jahrzehnte. Mit einer solch epischen
Familiensaga die wechselvolle Historie eines Landes zu thematisieren, liegt
im Trend.
Nino Hatischwilis Georgien-Saga „Das achte Leben“ lief 2017 im Hamburger
Thalia, [2][2023 in Breme]n, in Osnabrück war 2024 Premiere. Mit Annie
Ernaux’ „Die Jahre“ hat man dort vergangenes Jahr auch auf die letzten ac…
Dekaden in Frankreich geschaut. Jetzt steht Kroatien im Fokus.
„Drei Winter“ ist ein Szenenreigen der Streitereien – zwischen
Generationen, Geschlechtern sowie werdenden, scheidenden und nicht
zusammenkommenden Paaren. Wobei offenbar wird, dass die Konflikte häufig
auf unterschiedlichen Erlebnissen in unterschiedlichen Gesellschaftsformen
beruhen.
Sowohl die handlungsstarken, selbstbewussten Frauen des Stücks als auch
seine nölig-aggressiven Männer sind durch Verwerfungen der Vergangenheit
gezeichnet. Die wirken fort in mehr oder weniger offenkundigen
Verdrängungsmechanismen. Die Beziehung von Einst und Jetzt verdeutlichen
Szenen aus drei politischen Wendejahren Kroatiens, die sich auf der Bühne
abwechseln.
1945: Die im 2. Weltkrieg Traumatisierten gehen als glühende Kommunisten an
den neuen Aufbau Jugoslawiens. 1990: Rosa wird begraben und der durch den
Titoismus sozialisierte Nachwuchs traumatisiert vom eskalierenden
Nationalismus, dem Zerfall Jugoslawiens und dem Balkankrieg. 2011: Die
Jüngsten docken mit dem Beginn der EU-Beitritt-Verhandlungen Kroatiens als
Täter und Opfer vollends an den globalisierten Kapitalismus an.
„Ohne Bestechung läuft hier gar nichts. Seit Mama in Rente ist, können
diese beiden armen Alten hier nicht mal mehr die Nebenkosten bezahlen“,
empört sich Roses Enkelin Lucija, wiederum von Rebekka Biener gespielt.
Aus Angst, nun die Wohnung [3][an Immobilienspekulanten zu verlieren,]
stiftet Lucija ihren neureichen Gatten an, die zuvor vergesellschaftete
Villa zu kaufen, also zu privatisieren. Eine zeitgemäße Sicherung der
heimatlichen vier Wände, meinen die einen. Die Altkommunisten sind schon
aus ideologischen Gründen empört, und Neulinke vermuten einen Akt der Gier.
Voller Skepsis, Sentimentalität und Wutschnauben geht es in die Zukunft:
„Jetzt treten wir der EU bei, und wieder ändert sich alles. Ein hundert
Jahre währender Aufruhr und zurück in der Kolonie. Na, vielen Dank auch!“
Bis zur Pause kommen die „Drei Winter“ in üppig besetzten Szenen wie eine
Abfolge unübersichtlich vielstimmiger Wimmelbilder puren Lebens daher. So
nach und nach lassen sich aber die 14 Rollen gut im Familienstammbaum
verorten. Nach der Pause werden in psychorealistischem Furor mit intensiven
Paar-Dialogen die Not, Ängste, Sehnsüchte, Träume, Geheimnisse des
Personals genauer fokussiert.
Regisseurin Kathrin Mayr macht alles richtig: Sie nimmt sich viel Zeit, um
die Entwicklung Kroatiens mit den beispielhaft zwistigen Familienszenen so
stimmungs- wie humorvoll und emotionssatt kurzzuschließen. Ein klassisch
guter Ensembletheaterabend, der engagiert Kroatiens Weg in die
Unabhängigkeit vermittelt.
17 May 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Jens Fischer
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