# taz.de -- Leichnam von Ex-Staatschef Jugoslawiens: Zwist um Titos Grabstätte | |
> Der Ex-Bürgermeister der serbischen Hauptstadt Belgrad will Titos | |
> Leichnam nach Kroatien überführen. Jetzt hat sich auch Sarajevo | |
> eingeschaltet. | |
Bild: Der Grabstein Josip Broz Titos im Belgrader Blumenhaus | |
SARAJEVO taz | Gleich drei Städte sind derzeit in heller Aufregung: die | |
serbische Hauptstadt Belgrad, die kroatische Stadt Kumrovec und die | |
Hauptstadt Bosnien und Herzegowinas Sarajevo. Alle drei vereint ihre | |
[1][enge Beziehung zu Josip Broz], genannt Tito. Der am 4. Mai 1980 | |
gestorbene ehemalige jugoslawische Staatschef und Partisanenführer soll | |
nämlich aus seiner Ruhestätte, dem Tito-Mausoleum, dem sogenannten | |
Blumenhaus, in Belgrad verbannt werden. | |
Den derzeitigen Aufreger hat der bis Oktober 2023 amtierende | |
Ex-Bürgermeister Belgrads Alexandar Šapić verursacht. Der Vizevorsitzende | |
der weit rechts stehenden serbischen Fortschrittspartei SNS forderte Anfang | |
der Woche, den Leichnam des ehemaligen jugoslawischen Staatsführers nach | |
Kumrovec, der kroatischen Geburtsstadt Titos, zu überführen. Für serbische | |
Nationalisten ist der gegen die Nazis siegreiche Partisan und Kroate Tito | |
ein Feind Serbiens. | |
An die Stelle seines Grabes in der Gedenkstätte im Belgrader Nobelviertel | |
Dedinje sollte der serbische Nationalist und Milizenführer im Zweiten | |
Weltkrieg Draža Mihailović treten. Das wünscht sich jedenfalls der | |
Ex-Bürgermeister. Er möchte das Gelände für „große serbische Gestalten�… | |
Verfügung stellen und den ungeliebten Tito vom Sockel stoßen. | |
Geehrt werden sollten nationale Helden, die Serbien schon im Ersten | |
Weltkrieg verteidigten und nicht wie Tito damals in der | |
österreichisch-ungarischen Armee gedient hatten. Dass der so gelobte Draža | |
Mihailović als Kommandeur der ultranationalistischen Tschetniks im Zweiten | |
Weltkrieg mit den Nazis kollaborierte und deshalb 1946 in Sarajevo zum Tode | |
verurteilt wurde, ficht ihn nicht an. Der gegen die Nazis siegreiche Tito | |
dagegen, dem es gelungen ist, Serben, Kroaten, Slowenen, Bosnier und | |
Albaner in der Partisanenarmee zu vereinen und nicht nur die Wehrmacht, | |
sondern auch die Ideologie des Nationalsozialismus zu bekämpfen, ist für | |
ihn ein Feind. | |
## Sarajevo schaltet sich mit Angeboten ein | |
Richtig scharf wurde die Diskussion allerdings erst, als sich Sarajevo | |
einschaltete. Denn seit Jahren [2][versuchen serbische Nationalisten] die | |
Stadt als finsteren Ort des Islamismus zu diffamieren. Der Präsident der | |
serbischen Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina, Milorad Dodik, spricht | |
meistens von „Türken“, anstatt den offiziellen Namen „Bosniaken“ für … | |
muslimische Mehrheitsbevölkerung in Bosnien zu verwenden. Dodik, der | |
eigentlich aus einer Partisanenfamilie stammt und sich zu einem | |
nationalistischen Scharfmacher gewandelt hat, will von Antifaschismus | |
nichts wissen. | |
Sarajevo sei eine offene Stadt, erklärt dagegen Bürgermeisterin Benjamina | |
Karić: „Tito kann auch zu uns nach Sarajevo kommen.“ Und der Chef des | |
Kantons Sarajevo, Nihad Uk, betont: „Tito wird hier willkommen sein, wir | |
sind eine freie und antifaschistische Stadt, die stolz ist auf das | |
Vermächtnis der Partisanen.“ Beide Repräsentanten erinnerten daran, dass | |
die Hauptstraße Sarajevos nach wie vor Titova heißt, also Tito-Boulevard. | |
Unvergessen ist in Sarajevo, dass Tito und die Partisanen mit der | |
bosnischen Verfassung von 1943 einen Staat geschaffen hatten, in dem alle | |
Bewohner, ganz gleich welcher Religion und Herkunft, gleichberechtigte | |
Bürger sind. [3][Der Antifaschismus in Sarajevo sei begründet und bei | |
Weitem kein leeres Versprechen.] „Wir sind stolz auch auf den | |
antifaschistischen Widerstand im letzten Krieg, das ist Sarajevo“, heißt | |
es. | |
In Kroatien und im Geburtsort Titos, Kumrovec, das an der slowenischen | |
Grenze nordöstlich Zagrebs liegt, hat man zwiespältige Gefühle. Einerseits | |
will man den berühmten Sohn der Region ehren, doch mit Kommunismus kann man | |
heute offenbar nichts mehr anfangen. Titos Elternhaus ist zu einem | |
bescheidenen Museum umgebaut worden. Besucher erkennen gleich: Tito ist | |
trotz seiner fleißigen Eltern in Armut aufgewachsen. Einer Umfrage zufolge | |
sprachen sich aber bereits 67 Prozent der Bewohner für die Rückkehr Titos | |
nach Kumrovec aus. | |
10 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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