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# taz.de -- Berliner Sänger Keze: Von der Bühne in die Baugrube
> In Bosnien war Nezir Rahmanović alias Keze ein gefeierter Sänger. Jetzt
> lebt er in Berlin. Doch die jugoslawische Volksmusik hat ihn nie
> verlassen.
Bild: Der Sänger Keze bei einem Auftritt
Keze singt. Und sobald er singt, entflieht er der Welt. Seine Stimme trägt
ihn in die Zeit, in der das Leben anders war. „Ich dachte, dass die Liebe
ein Glas voll [1][Glück statt] voller Schmerz ist …“, singt er.
Frauen und Männer tanzen, den Refrain singen viele mit. Es riecht nach
Parfüms, Zigarettenrauch und Alkohol.
Es ist kurz nach Mitternacht an einem Freitag im überfüllten Café Thron in
der Boppstraße in Berlin-Kreuzberg. Keze, in weißem Hemd und Jeanshose,
steht mit dem Mikrofon in der Hand neben einem Ziehharmonikaspieler und
schmettert einen [2][jugoslawischen Hit] aus den 80er Jahren. Der Schweiß
perlt auf der Stirn.
Eine ältere Frau im kurzen schwarzen Rock und einem paillettenbesetzten
dunklen Blouson zückt ihren Geldbeutel, geht zum Ziehharmonikaspieler,
steckt ihm fünfzig Euro in den Balg und wünscht sich einen alten Hit aus
ihrer Jugend. „Das Leben ist nur Spiel und Zeitvertreib.“
Die Bedienung im Thron fliegt förmlich durch den Raum, verwirbelt die
Rauchschwaden, bringt den Gästen Biere, Cocktails und Schnäpse.
Die „narodna muzika“ (Volksmusik) nimmt [3][in fast allen Staaten]
Ex-Jugoslawiens eine wichtige Stellung ein, wie in Kezes Leben, der damit
aufgewachsen ist. Der sozialistische Staat förderte die Volksmusik. In den
Fernsehsendern und im Radio spielte man die Hits in Dauerschleife. Sie
dienten der Unterhaltung, der Zerstreuung und stifteten ein
Identitätsgefühl. Staatsgründer Tito galt als großer Fan der Volksmusik.
Noch heute ist die „narodna muzika“ Ausdruck einer Lebenshaltung. Sänger
genießen hohes Ansehen.
## Gewinner des landesweiten Gesangswettbewerbs
So wie Keze. Sein richtiger Name ist Nezir Rahmanović. Er kam 1966 im
bosnischen Kiseljak, einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Sarajevo, zur
Welt. „Schon als Kind liebte ich es, die Schlager im Radio mitzusingen“,
sagt er. Keze erzählt, wie er mit 17 einen landesweiten Gesangswettbewerb
in seiner Heimat gewann.
Fortan trat er in einem Restaurant seines Geburtsorts mehrmals die Woche
auf und verdiente sich neben seiner Ausbildung zum Dreher etwas dazu. Er
war eine Berühmtheit in Kiseljak, wurde auf Hochzeiten, Geburtstagen und
den verschiedenen religiösen Feiern engagiert.
„Es spielte keine Rolle, ob Muslime, Serben, Kroaten oder Roma feierten,
wir sangen alle die gleichen Lieder und betranken uns mit dem gleichen
Schnaps“, sagt er. Dann steht er auf, gibt dem Ziehharmonikaspieler ein
Zeichen und singt: „Setz dich kurz an meinen Tisch, fünf Minuten nur und
erinnere mich an unsere gemeinsamen Tage …“
Kezes Auftritt endet erst morgens gegen sechs Uhr. Es wird gewischt. Keze
packt sein Mikrofon in ein schwarzes Hartplastiketui. Er zieht das
durchgeschwitzte Hemd aus, streift sich Unterhemd und Pullover über.
Keze verabschiedet sich vom Musiker und der Kellnerin, verlässt die Bar und
geht durch die menschenleeren Straßen zur Haltestelle der U7, um nach Hause
zu fahren. Er wirkt ausgelaugt, droht während der Fahrt einzunicken. Wenig
später sitzt er am Esstisch im Wohnzimmer. Seine Frau Sejda bringt ihm
schwarzen Kaffee. „Wie war’s?“, fragt sie. Er nickt. „Ganz gut.“
Doch nach einigen Minuten scheinen die Kräfte zurückzukehren. Keze wirkt
trotz seiner Halbglatze immer noch jugendlich, wenn er von den alten Zeiten
erzählt.
An der Wand hängen Fotos, auf denen er mit berühmten jugoslawischen
Schlagerstars zu sehen ist. Für den bosnischen Superstar Halid Muslimović
schrieb er vor einigen Jahren sogar den Hit „Tränen“. Zum Beweis zeigt Keze
das Impressum der CD vor, wo er als Songtexter aufgeführt ist. Sejda sitzt
auf der Couch und rollt manchmal die Augen. „Die alten Geschichten. Wer
will die schon hören?“, fragt sie. Er lächelt.
## Keze flieht mit der Familie
Nach seiner Ausbildung reparierte Keze in seinem Ort Waschmaschinen. Einmal
sollte er bei einer recht traditionellen muslimischen Familie ein altes
Gerät wieder in Gang setzen. Keze flirtet die Tochter des Hausherrn an. Er
fragt, ob sie mit ihm ausgehen würde. Sie weist ihn ab, empfindet ihn als
frech, erinnert er sich.
Doch Keze lässt nicht locker und präpariert ein Kabel an der Waschmaschine,
sagt: „‚Wenn du mich wiedersehen willst, zieh einfach das Kabel ab.‘ Eine
Woche später rief mich der Vater verärgert an, weil das Gerät wieder defekt
sei. Ich aber wusste, dass ich ihr gefiel.“
Sejda und Keze heiraten. Sie bringt zwei Söhne zur Welt. Es ist kein
einfaches Leben, erzählt Sejda. „Wir schlugen uns so durch. Ende der 80er
Jahre ging es aufwärts. Wir hatten ein eigenes Restaurant eröffnet, das gut
besucht war.“ Aber dann, 1992, kam der Krieg.
Serbien greift Bosnien-Herzegowina mit 100.000 Soldaten an, belagert die
Hauptstadt Sarajevo, will Teile des Landes annektieren. Die Welt der
Rahmanovićs zerfällt.
Keze flieht mit der Familie in die Stadt Zenica und wird dort zur
Militärpolizei eingezogen. Es gibt wenig zu essen. Tagelang verstecken sie
sich vor Artillerie- und Granatbeschuss im Keller eines Hauses.
Verwandte und Freunde sterben. „Lange Zeit sah es so aus, als würden wir
alle vollständig untergehen. Und wenn ich heute die Bilder vom Krieg sehe,
den die Russen in der Ukraine führen, kommt vieles von damals hoch“, sagt
Keze und versinkt für einen Moment tief in Gedanken.
„Es ist schwer, sich treu zu bleiben. In Zenica gab es ausländische
Mudschaheddin-Kämpfer, die die bosnische Armee unterstützten und die
Muslime radikalisieren wollten. Sie wollten den Frauen verbieten, kurze
Röcke zu tragen.
Als Teil der Militärpolizei ist er dazwischengegangen. „Ich meine, wie
hätte das ausgesehen? Ich singe Liebeslieder und sehe nur zu, wenn man den
Frauen Vorschriften macht, wie sie sich zu kleiden haben?“, fragt er und
schüttelt den Kopf.
Während des Krieges singt Keze für die Soldaten der
bosnisch-herzegowinischen Armee, in der überwiegend Bosniaken, aber auch
Serben und Kroaten dienen. Nach dem Krieg siedelt Keze mit seiner Frau nach
Zagreb um, weil er dort die Chance erhält, in einem Restaurant ein
regelmäßiges Gesangsprogramm aufzubauen.
Ein regionaler Fernsehsender nimmt wöchentlich eine Show mit ihm auf.
Ex-Jugoslawen, die in alle Welt geflohen sind und die Sendung via Satellit
empfangen, rufen an und äußern Musikwünsche. Keze interpretiert sie.
Er erlangt einige Berühmtheit mit der Fernsehshow und zahlreichen
Radioauftritten. Keze gilt als ein kultureller Vermittler zwischen Kroatien
und Bosnien-Herzegowina, wird auf Hochzeiten und Geburtstagsfeiern gebucht.
## Stelle als Bauarbeiter
Er nimmt ein Album auf, das in Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro,
Kosovo und Mazedonien verkauft wird. Es scheint, als ob Kezes Karriere
Fahrt aufnimmt. Doch dann ziehen die mittlerweile erwachsenen Söhne 2014
nach Berlin, woraufhin Sejda in eine Depression stürzt.
„Irgendwie kam ich ohne meine Kinder nicht klar. Ich meine, wir haben sie
immer behütet, standen Todesängste unter dem Granatbeschuss aus. Ich weiß,
meine Söhne sind längst Männer geworden. Ich kann sie nicht mehr
beschützen. Trotzdem will ich in ihrer Nähe sein“, sagt sie. Keze ist sehr
still, wenn seine Frau spricht.
In der deutschen Hauptstadt gibt es für einen bosnischen Sänger nicht so
viele Möglichkeiten, Geld mit seiner Kunst zu verdienen. Keze nimmt eine
Stelle als Bauarbeiter in einer brandenburgischen Firma an.
Einige Jahre lang versucht er, die Engagements in Zagreb
aufrechtzuerhalten. Jahrelang fährt er nach der Arbeit, noch in
Bauarbeiterkluft, mit dem Auto die rund 1.000 Kilometer nach Zagreb. Eine
12-Stunden-Fahrt, um am Samstag auf einer Feier aufzutreten.
„Auf der Rückbank meines Autos schlief ich ein paar Stunden, wusch mich in
einer Toilette, zog mich um, brachte mich in Stimmung. Wenn die Hochzeit
oder der Geburtstag sonntagmorgens zu Ende waren, fuhr ich nach Berlin, um
am Montag pünktlich in der Arbeit zu sein“, sagt Keze. Die Wochenendfahrten
macht er nicht mehr. Zu anstrengend.
Mit einem Schutzhelm auf dem Kopf steht er ein paar Tage später vor einer
Baugrube. Es regnet. Glücklich sieht er nicht aus zwischen der
aufgeworfenen Erde, den Rohren und dem Schacht, der sich vor ihm auftut.
„Es arbeiten viele Bosnier und Kroaten in dieser Firma. Die Firma kann gar
nicht so viele holen, wie sie braucht“, sagt er. Dann verabschiedet sich
Keze und klettert in die Baugrube hinab. Man hört, wie er singt: „Wein mit
mir, herbstlicher Regen, ich habe meine Liebe verloren, doch das Leben muss
weitergehen …“
29 Apr 2025
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## AUTOREN
Sead Husic
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