| # taz.de -- Ausstellung „Wikingerdämmerung“: Fakten statt Legenden | |
| > Eine Ausstellung auf Schloss Gottorf zeigt, dass Wikinger ursprünglich | |
| > ein Beruf war. Und dass deren aktive Zeit mit Haithabus Untergang endete. | |
| Bild: Erlesen: Schmuck aus Haithabu in spätwikingerzeitlichen Tierstilen des 1… | |
| Wer hat den Wikingern die Hörner an die Helme geschraubt? Ganz einfach: Die | |
| Oper war’s. In der Uraufführung von Richard Wagners „Nibelungen“ 1876 | |
| trugen die Nordmänner Kopfbedeckungen mit Horn, seither ist das Bild in der | |
| Welt. Diese Information steht am Ende der Ausstellung „Wikingerdämmerung“, | |
| die derzeit das Landesmuseum Schloss Gottorf zeigt. | |
| Der Titel klingt nach mythenschwerem Schlachtenlärm, tatsächlich aber | |
| fließen in der Schau die Ergebnisse von gleich drei Forschungsprojekten aus | |
| vier Instituten ein. Wer am Ende des Rundgangs bei Wagners | |
| Pseudo-[1][Nibelungenschatz] aus Messing angekommen ist, hat zahlreiche | |
| Fundstücke aus Häusern und Schlachtfeldern gesehen, darunter Münzen und | |
| Schmuckstücke, die teilweise zum ersten Mal zu sehen sind. Die rund 2.000 | |
| Exponate geben einen Einblick in mittelalterliche Handels- und | |
| Machtbeziehungen. Daneben zeigt die Ausstellung, wie sich das Bild der | |
| Wikinger verändert hat. | |
| Zeitlicher Dreh- und Angelpunkt der Schau ist das Jahr 1066. Damals fiel | |
| der Normanne Wilhelm, der spätere „Eroberer“, mit seinem Heer in England | |
| ein und besiegte in der Schlacht von Hastings die Truppen des Königs | |
| Harald. Für Nordeuropa ähnlich bedeutsam war aber ein anderes Ereignis | |
| dieses Jahres: die Zerstörung des Handelsplatzes [2][Haithabu] durch ein | |
| slawisches Heer. Die Menschen von Haithabu verließen die niedergebrannte | |
| Stadt und gründeten auf der anderen Seite der Schlei das heutige Schleswig. | |
| Dieser Ortswechsel markiere eine Zeitenwende, sagt Thorsten Lemm, einer der | |
| Kuratoren der Schau und Ur- und Frühgeschichtler am Schleswiger | |
| Leibniz-Zentrum für Archäologie, das gemeinsam mit dem Museum Schloss | |
| Gottorf, der Kieler Christian-Albrechts-Universität und der Universität | |
| Göttingen die Ausstellung vorbereitet hat. In gewisser Weise endete die | |
| „Wikingerzeit“ mit Haithabu, sagt Lemm. Die Stadt sei so wichtig gewesen, | |
| dass man die ganze Epoche auch „Haithabu-Zeit“ nennen könnte. | |
| Denn mit dem Begriff „Wikinger“ sind Lemm und seine Kolleg:innen gar | |
| nicht glücklich: „Es gibt kein Volk der Wikinger“, steht an einer Vitrine. | |
| Für die Menschen der Wikingerzeit, die in etwa vom achten bis zum elften | |
| Jahrhundert dauerte, bedeutete „Wikinger“ eher eine Tätigkeit als eine | |
| Ethnie oder Herkunftsregion: „Wikinger“ war, wer sich an einem Raubzug, | |
| einer Eroberungsfahrt beteiligte. „Wenn Menschen die Ausstellung verlassen | |
| und diese Information mitnehmen, dann bin ich sehr zufrieden“, sagt Lemm. | |
| ## Sinnbild des nordisch-„arischen“ Menschentypus | |
| Den Macher:innen der Ausstellung ist klar, dass sie gegen eine starke | |
| Bilderflut antreten. Um die „Wikinger“ rankten sich bereits früh Legenden. | |
| Isländische Sagas schildern sie als Haudraufs, teils Helden, teils brutale | |
| Unsympathen. In der Romantik wurden die „Wikinger“ zum Sinnbild des | |
| nordisch-„arischen“ Menschentypus. Die Anhänger:innen des | |
| „Skandinavismus“, einer Strömung des 19. Jahrhunderts, glaubten an ein | |
| skandinavisches Großreich, dessen Wurzeln sie in der Wikingerzeit | |
| verorteten. Und in der [3][NS-Zei]t ließ sich die Legende der rauflustigen | |
| Vorfahr:innen propagandistisch ausschlachten. | |
| Beteiligt war daran der Archäologe Herbert Jankuhn, Direktor des „Museums | |
| vorgeschichtlicher Altertümer“ in Kiel, dem in der Ausstellung ebenfalls | |
| eine Vitrine gewidmet ist. Er erforschte 1941 im Auftrag des SS-Ahnenerbes | |
| den [4][Teppich von Bayeux], der in etlichen Bildern die Schlacht von | |
| Hastings erzählt. In Schleswig ist eine Kopie des Teppichs zu sehen. Heute | |
| prägen Fernsehserien wie „Vikings“ das Bild. | |
| ## Christianisierung sichert Macht | |
| Die Schau konzentriert sich auf die Bereiche Macht, Wirtschaft und | |
| Religion. Besonders bei der Religion ist der Wechsel sichtbar: Am Ende der | |
| Wikingerzeit hat sich das Christentum weitgehend durchgesetzt. Eine | |
| wichtige Rolle spielte dabei Harald Blauzahn, der sich zu Jesus bekannte. | |
| Das könnte machtpolitische Gründe haben, glaubt Lemm: „Wenn es nur einen | |
| Gott gibt, lässt sich daraus die Herrschaft eines Königs ableiten.“ | |
| Tatsächlich entstanden im Verlauf der rund 400-jährigen Wikingerzeit in | |
| Teilen Skandinaviens und des heutigen Norddeutschlands aus den ursprünglich | |
| räumlich begrenzten Stämmen größere Reiche. Wo es Königsmacht gab, drückte | |
| sie sich in ähnlichen Strukturen aus: Orte namens „Huseby“ oder „Husby�… | |
| übersetzt „Häuserdorf“, entstanden – hier befanden sich Königssitze, d… | |
| der König und sein Gefolge regelmäßig aufsuchten. | |
| Die Vertrauten des Königs waren alle ähnlich ausgestattet, bis hin zu | |
| Steigbügeln und Trensen für ihre Pferde. „Uniformierte Reiter“, sagt | |
| Thorsten Lemm. Er ist besonders stolz auf die Momente der Schau, in denen | |
| sich die archäologischen und geschichtlichen Forschungen ergänzen, etwa ein | |
| Dokument, das die Reise eines königlichen Gefolgsmanns beschreibt, und | |
| Fundstücke, die durchaus von dieser Reise stammen könnten. | |
| 13 Jul 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ring-des-Nibelungen-in-Berlin/!5812369 | |
| [2] /Streit-um-NS-Archaeologie/!5071680 | |
| [3] /Streit-um-Archaeologie-im-Dritten-Reich/!5072163 | |
| [4] /Der-Fetzen-von-Bayeux/!6074164/ | |
| ## AUTOREN | |
| Esther Geißlinger | |
| ## TAGS | |
| Schleswig-Holstein | |
| Ausstellung | |
| Mittelalter | |
| NS-Ideologie | |
| Geschichte | |
| Archäologie | |
| Kulturpolitik | |
| Geschichte | |
| Kiel | |
| Volkskunde | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Bayeux-Teppich in diplomatischer Mission: Echter Stoff für eine Kränkung | |
| Die Kritik steigt an Macrons Plan, den fast 1.000 Jahre alten Teppich von | |
| Bayeux ins British Museum reisen zu lassen. Warum es trotzdem gut wäre. | |
| Die Wahrheit: Goten und andere Idioten | |
| Lernen aus der Geschichte: Ein weit zurückschauender Altertumsforscher gibt | |
| wichtige Hinweise für das heutige Miteinander von Ost und West. | |
| Forschung an Nord- und Ostsee: Gischt klärt den Blick | |
| Wenn man Gischt-Effekte herausrechnet, lassen sich archäologische Funde | |
| exakter datieren. Wie das gehen könnte, wird in Kiel erforscht. | |
| Neues „Jahr100Haus“ in Molfsee: Die Spitzhacke aus dem Atombunker | |
| Ein neues „Jahr100Haus“ bietet eine zeitgemäße Ergänzung zum | |
| Freilichtmuseum im schleswig-holsteinischen Molfsee. Das Konzept ist | |
| eindrucksvoll. |