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# taz.de -- Neues „Jahr100Haus“ in Molfsee: Die Spitzhacke aus dem Atombunk…
> Ein neues „Jahr100Haus“ bietet eine zeitgemäße Ergänzung zum
> Freilichtmuseum im schleswig-holsteinischen Molfsee. Das Konzept ist
> eindrucksvoll.
Bild: Traditionelle Formen modern aufgegriffen: Neue Museumsgebäude in Molfsee
Molfsee taz | Zwei schräg zueinander gestellte, scheinbar nur aus
rostfarbenen Walmdächern bestehende Gebäude fordern zur Erkundung auf.
Zugleich ländlich scheunenhaft, doch auch wie eine archaische Großskulptur
und in dieser Reduzierung dann ganz modern, präsentiert sich das frisch
eingeweihte Eingangs- und Ausstellungsgebäude des schleswig-holsteinischen
Landesmuseums für Volkskunde im Dorf Molfsee bei Kiel.
Die Außenhaut besteht aus 2.300 Quadratmetern rostigem Corten-Stahl, innen
wird sie von einem kunstvollen Fachwerk aus 1,8 Kilometern Holzbalken
getragen. Die so entstandene, zwölf Meter hohe tennenartige Halle
beherbergt den Eingangsbereich mit Kasse, Shop, Bistro und Vortragssaal.
Eine lange Treppe führt in das versenkte Untergeschoss mit den
Ausstellungen. Erst hier werden Beton und Glas das vorherrschende
Bauelement, und die oberirdisch genau in die Landschaft eingepassten Häuser
mit ihrer Öffnung zum Freigelände entpuppen sich als Vierflügelanlage um
einen versenkten klosterartigen Lichthof.
Das Konzept ist eindrucksvoll. Doch es erschließt sich nicht ohne Weiteres,
wozu ein Freilichtmuseum mit mehr als 40 Hektar Gelände und über 60
historischen Gebäuden aus ganz Schleswig-Holstein und Südjütland einen
zusätzlichen Museumsneubau braucht.
Schon 2013 begann das komplexe Projekt mit der Neuausrichtung des Ganzen:
Damals wurde das seit seiner Eröffnung 1965 als Verein geführte Museum in
die Trägerschaft der Stiftung Landesmuseen Schleswig-Holstein überführt. Es
wurde das dritte große Landesmuseum nach dem Kunst und Kultur gewidmeten
auf Schloss Gottorf und dem archäologischen in Haithabu. Dafür wurde das
bisherige Volkskundemuseum in Schleswig geschlossen und seine Überführung
in ein Zentraldepot vorbereitet.
Nicht nur mit Blick auf die etwa in Berlin üblichen Kostenexplosionen ist
es bemerkenswert, dass das Projekt vom Beginn der Überlegungen bis zur
Fertigstellung nach acht Jahren tatsächlich zu einem guten Ende kam und im
geplanten Kostenrahmen blieb: gut 14 Millionen Euro samt aufwendig
ökologisch organisiertem Parkplatz und neuer Dauerausstellung.
Wurden bisher in Molfsee ganze Gebäude und Ensembles transloziert,
restauriert und teilweise rekonstruiert, ist dieses nun aus finanziellen
und räumlichen Gründen weitgehend abgeschlossen – nicht aber die ständige
aufwendige Pflege der Bausubstanz.
Weiter gesammelt werden aber Beispiele materieller Alltagskultur. Die lässt
sich leider nicht ohne Verfälschung der Kontexte für Objekt und Ort und mit
den notwendigen klimatischen Bedingungen in den historischen Häusern
zeigen, die zudem im Winterhalbjahr geschlossen bleiben müssen. Wenn
außerdem, wie bisher, die Sammlungen des Museums, die alten Häuser und die
materiellen Relikte des Landlebens von der Zeit um 1500 bis zum Ersten
Weltkrieg nicht hinausgehen, ist trotz aller Museumspädagogik eine gewisse
Gestrigkeit programmiert.
Das neue Museum hält dagegen: Es führt den Zeitrahmen um ein Jahrhundert
bis zur Gegenwart weiter – so kam es auch zum Namen „Jahr100Haus“; eine
wichtige Ergänzung. Denn das Freilichtmuseum bietet zwar einen idyllischen
Spaziergang in einer Landschaft mit alten Häusern. Es versteht sich darüber
hinaus aber auch als Lernort. Und da ist es wichtig, die Volkskunde nicht
dem einstigen völkischen Missbrauch zu überlassen, sondern als Wissenschaft
der Alltagskultur zu verstehen, die Vielfalt früherer und heutiger
Lebensweisen abbildend. „Den Hosenknopf solange polieren“, zitiert Direktor
Wolfgang Rüther ein altes Volkskundler-Bonmot, „bis die ganze Welt sich
darin spiegelt.“
Das beschreibt die Methode des Jahr100Hauses tatsächlich ganz gut: An
konkreten Objekten Systemisches aufzeigen und allgemeine Fragestellungen in
exemplarischen Dingen darstellen. Und so geht es vom mehrfach reparierten
Melkschemel über den Weihnachtsbaum aus Tauknoten, Draht und Restholz einer
U-Boot-Besatzung von 1939. Oder von einem mit Rädern versehenen Schlitten
von Ostflüchtlingen 1945 bis zur Olympischen Fackel der Olympischen
Segelwettbewerbe 1972 in Kiel. Anderswo liegt ein Molotow-Cocktail in der
Bierflasche einer bekannten norddeutschen Marke direkt neben dem
Festbierkrug zum Richtfest des AKW Brokdorf im Oktober 1983.
Bei all dem wird keine trockene Geschichtslinie visualisiert. Vielmehr
vertraut die Ausstellung auf die Erzählungen der 350 Objekte, die für die
unterschiedliche Bewältigung der großen Fragen stehen: Zeit und Rhythmus,
Mobilität, Beschäftigung, Konsum, Kommunikation und Beziehung oder
Sicherheit – immer mit lokaler Verankerung.
Medienstationen, ein Filmraum zu Menschen des Landes, wie Wattbriefträger
oder Kanalkapitän, fehlen ebenso wenig, wie die Integration der
BesucherInnen, die im letzten Raum eine Meinungs- und Fotostation
vorfinden und ihren eigenen Text und ihr Bild an der Museumswand
hinterlassen können.
Ergänzt wird die in sechs Schwerpunkte unterteilte neue Dauerausstellung
durch Sonderausstellungen. Den Beginn macht „Auf den Spuren des Kalten
Krieges“: Für die unter 35-Jährigen kaum noch lebendige Erinnerung, ist der
meist verdrängte Horror der geteilten Welt durchaus erklärungs- und
museumswürdig.
Neben Kriegsspielzeug und Friedensliedern, Grenzschildern zur DDR,
Sprengschachtdeckeln und Minen gibt es da ein Objekt, von dem man meinen
könnte, es hätte sich aus dem Freigelände hierher verirrt: eine Spitzhacke.
Sie stammt aus dem Inventar des Atomschutzbunkers in der Tiefgarage unter
dem nach der Zerstörung 1944 in den 1960er-Jahren modern wieder aufgebauten
Kieler Schloss. Besagte Hacke sollte den etwa 2.000 Menschen, für die hier
für zwei Wochen alles Notwendige eingelagert war, die Rückkehr an eine wie
auch immer dann aussehende Oberfläche ermöglichen.
Das Museum konnte sich außer solchen Lagerbeständen auch Teile des
Inventars dieser „öffentlichen Großschutzanlage“ sichern. Und wenn in ein…
dritten Raum dem Publikum die Frage gestellt wird, was von den noch im Land
verstreuten militärischen Überbleibseln dieser Zeit als Denkmal erhalten
werden soll, ist die aktuelle Volkskunde weit hinausgekommen über
Bauernmärkte, das Reparieren nordfriesischer Strohdächer und die Pflege
seltener Schafsorten.
21 Apr 2021
## AUTOREN
hajo schiff
## TAGS
Volkskunde
Freilichtmuseum
Schleswig-Holstein
Kalter Krieg
Zeitgeschichte
Deutsche Geschichte
Bauen
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