# taz.de -- Die Wahrheit: Goten und andere Idioten | |
> Lernen aus der Geschichte: Ein weit zurückschauender Altertumsforscher | |
> gibt wichtige Hinweise für das heutige Miteinander von Ost und West. | |
Bild: Barbaren schauen sich zwischen Ost und West aus schier unüberbrückbarer… | |
Ossis und Wessis – es sagt sich so leicht. Und doch spüren alle, dass sich | |
hinter dem problematischen Verhältnis zueinander ein dunkeldeutsches | |
Familiengeheimnis verbirgt, nicht unähnlich jenem, das am Ende jedes | |
Fernsehkrimis zutage tritt. | |
Ein solches Geheimnis zu entschlüsseln, hat sich nun mit Professor | |
Willibald Molke ein Altertumsforscher von der Meeresuniversität Haithabu | |
zum Ziel gesetzt. Sein hochanalytisches Buch („Die Idioten der Goten“, | |
Histo Verlag 2024, 965 Seiten, 58 Euro) dürfte auch im Hinblick auf die | |
anstehenden Wahlen im Osten der Republik von erheblicher Brisanz sein. Denn | |
zu verstehen ist alles nur, wenn man in der Geschichte weit zurückgeht und | |
sich den Werdegang der Goten vor Augen führt … | |
Das hat übrigens schon einmal ein Mann namens Cassiodorus getan, der im | |
Auftrag des Ostgotenkönigs Theoderich eine „Historia Gothorum“ verfasste | |
und gleich zu Beginn ein entscheidendes Ereignis schildert. Es war wohl | |
nach ihrem Aufbruch aus der Gegend an der Weichsel und der Donau eine | |
Brücke, die zum Schicksal der zunächst noch vereinten Goten wurde. Der | |
vordere Teil des Trecks kam noch heil über sie hinweg, dann krachte sie | |
zusammen und der hintere Teil blieb zurück. | |
Erinnert das nicht schon sehr an die deutsch-deutsche Trennung nach 1945? | |
Standen nicht auch damals Brücken im Vordergrund der Ereignisse? Die Brücke | |
von Remagen? Die Brücke am Kwai? Bernhard Wickis Film „Die Brücke“? | |
## Schicksalhafte Trennung | |
Jedenfalls zieht Professor Molke bereits hier ein Zwischenfazit für die | |
Ossis und Wessis von heute. Auch sie hätten sich niemals von dieser | |
schicksalhaften Trennung erholt. Beide Teile seien immer noch | |
orientierungslos wie Kröten bei ihrer Jahreswanderung, wenn sie keine | |
eigens für sie erbaute Krötenbrücke vorfinden. | |
Vermutlich war bereits der Aufbruch der Goten weniger rational als durch | |
Hummeln im Hintern ausgelöst. Daher kommt übrigens die altgotische | |
Begrüßung der Nordgoten „Hummel, Hummel, Mors, Mors“. Wobei „Mors“ die | |
morastigen Südgoten verspotten soll. | |
Im Laufe der Geschichte setzten sich die Teilvölker in unterschiedliche | |
Richtungen in Bewegung, ohne dass sie bereits wussten, wer von ihnen einmal | |
die West- und wer die Ostgoten sein würden. Zu groß war das Durcheinander | |
der Völkerwanderung, mittendrin tauchten auch Vandalen und Alanen auf. | |
Molke geht sogar so weit, das berühmte Diktum Theodor Fontanes vom „weiten | |
Feld“ auf diese Zeit zurückzuführen, denn auf ihrem Zug nach Südeuropa | |
müssen die Goten auch durch die Mark Brandenburg gekommen sein und dort die | |
berühmte Markklößchensuppe erfunden haben. | |
Niemand, nicht einmal der Altertumsforscher Molke, kann erklären, warum es | |
die Westgoten bis nach Toledo in Spanien und die Ostgoten nach Ravenna an | |
die Adria verschlug – vergleichbar den Reisezielen von heute: Mallorca und | |
Rimini. Manche wie Molke behaupten, die Fiesta von Pamplona und das | |
Schlagerfest von San Remo seien urgotisch. | |
## Inniges Verhältnis | |
Ob die beiden Stämme wenigstens schriftlich im Kontakt blieben? Darüber | |
allerdings schweigt sich Professor Molke in gotischer Schrift aus. Klar ist | |
nur, dass das einst so innige Verhältnis der Goten untereinander einer | |
Rivalität gewichen war, die eigentlich nur mit dem Parteienbild in der | |
aktuellen Bundesrepublik zu vergleichen ist, wo unversöhnliche Gefühlslagen | |
aufeinanderprallen. Wie sonst ist zu erklären, dass man in der Schlacht auf | |
den Katalaunischen Feldern 451 die West- und Ostgoten auf unterschiedlichen | |
Seiten kämpfen sah und der Westgotenkönig Theoderich I. durch den Speer des | |
Ostgoten Adages starb? | |
Überhaupt diese Theoderiche! Später kam ja noch Theoderich der Große dazu, | |
der aber plötzlich Ostgotenkönig war! Im Verhältnis der beiden Gotenreiche | |
herrschte offenbar ein völliges Durcheinander. Praktisch keiner wusste mehr | |
so recht, wer wer war. Und so geht heute unter den Ossigoten die | |
Trennungslust unvermittelt weiter. Schon haben sie sich in Rechts-, Links- | |
und Sahragoten aufgeteilt. | |
Die Führerin des Stamms der ostgotischen Wagenknechte aber ist verheiratet | |
mit Theoderich Lafontaine, einem Spalterfürsten vor dem Herrn, der sich am | |
anderen, westlichen Ende des gotischen Stammesgebiets niedergelassen hat | |
und von dort aus genüsslich die Zerstörung von Brücken anordnet. Die | |
Warnungen von Professor Willibald Molke aber verhallen im Nebel der | |
Geschichte. | |
21 Aug 2024 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Umbach | |
## TAGS | |
Geschichte | |
Ost-West | |
Sahra Wagenknecht | |
Volkswagen | |
FDP | |
Klara Geywitz | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Verbrennertränen | |
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit. Heute darf sich die geneigte | |
Leserschaft an einem Poem über Autos auf der Roten Liste erfreuen. | |
Die Wahrheit: Gelbe Autowende | |
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit. Heute darf sich die geneigte | |
Leserschaft an einem Poem über Geistesblitze der FDP erfreuen. | |
Die Wahrheit: Raus aufs Land! | |
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit – heute darf sich die | |
Leserschaft an einem Poem über die Initiative der Bundesbauministerin | |
erfreuen. | |
Die Wahrheit: En marche im Arsch | |
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit – heute darf sich die werte | |
Leserschaft an einem Poem über eine Grande Nation am Abgrund erfreuen. |