# taz.de -- Umgang mit AfD im ÖRR: Quoten über alles? | |
> Niemand im öffentlich-rechtlichen Rundfunk muss der AfD eine Bühne | |
> bieten. Wann werden sich die Kolleg:innen endlich ihrer Verantwortung | |
> bewusst? | |
Bild: Hätte er hier unbedingt sitzen müssen? Studio für das ARD-Sommerinterv… | |
Seit dem 2. Mai stuft das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD als | |
[1][„gesichert rechtsextremistisch“] ein. Der Spiegel konnte [2][die 1.108 | |
Seiten Bericht auswerten]. Der Verfassungsschutz sieht vor allem den | |
„ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff“, der in der AfD vorherrsche, a… | |
problematisch an. Er sei nicht mit [3][Artikel 1 Absatz 1 des | |
Grundgesetzes], also der Menschenwürde, vereinbar. In einem laufenden | |
Rechtsstreit hat das BfV allerdings inzwischen eine sogenannte | |
Stillhaltezusage [4][abgegeben]. Das bedeutet: Bis zu einer | |
Gerichtsentscheidung im Eilverfahren wird die AfD öffentlich nicht mehr als | |
„gesichert rechtsextremistisch“ bezeichnet. Und doch ist die alte Debatte | |
aktuell: Wie sollen Medien es mit der AfD halten? | |
In den politischen Leitformaten wie „Caren Miosga“, „Markus Lanz“ oder | |
„Hart aber fair“ der öffentlich-rechtlichen Sender (ÖRR) sind | |
AfD-Vertreter:innen regelmäßig präsent. AfD-Chefin Alice Weidel wurde von | |
Caren Miosga im Februar gefragt, welches Deutschland sie will, [5][und | |
bekam dabei Raum, zum Auschwitzgedenken die Augen zu verdrehen.] Noch am | |
Tag der Einstufung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz war der | |
Bundesvorsitzende der AfD, [6][Tino Chrupalla, zu Gast im „Brennpunkt“], um | |
zu erläutern, wie es zu der Einschätzung gekommen sei. Spoiler: Er ist kein | |
Fan. | |
Die AfD ist so stark wie nie und verbreitet ihre Positionen auf allen | |
Plattformen. Umso wichtiger wäre es, ihr nicht auch noch zusätzliche Bühnen | |
zu bieten. Denn die mediale Strategie der Partei ist immer: Überwältigung | |
und Ablenkung. Eindrücklich zu sehen bei Markus Lanz am 5. Februar 2025: | |
Auf die Frage, ob er sich von Höckes rechtsextremen Aussagen distanzieren | |
wolle, wich Chrupalla aus – und verwies darauf, dass Lanz sich ja auch | |
nicht von Jan Böhmermann distanziert habe. | |
Der eigentliche Punkt geht verloren, auch durch Chrupallas ständiges | |
Unterbrechen. Allein das ist fatal. Gleichzeitig bringt die AfD in vielen | |
Formaten ihre Narrative unter: Migration als Feindbild, Verachtung von | |
etablierten Medien, Kritik an staatlichen Institutionen als einer | |
vermeintlichen politischen Elite. | |
Weidel nutzte im Wahlkampf den rassistischen Kampfbegriff „Remigration“, | |
der danach Talkshows und Zeitungsseiten prägte. Wo andere differenzieren, | |
schürt die Partei Ressentiments. Wer einlädt, muss wissen, wie man einer | |
solchen Diskursverschiebung begegnet. Zu oft geht das schief, es mangelt an | |
direkten Faktenchecks, guter Moderation und Einordnung. | |
Ein Ausschluss aus Talkshows wäre da ein guter Start. Denn [7][die | |
politischen Meinungsformate der ARD und ZDF erreichen bei zwar rückläufigen | |
Einschaltquoten täglich immer noch ein Millionenpublikum] und werden auch | |
im Nachgang im medialen Diskurs breit diskutiert; und es geht um Formate, | |
die sich besonders zur Selbstinszenierung eignen. Doch wie sollte ein | |
Ausschluss aussehen? Einige argumentieren, man könne die AfD nicht | |
ausladen, da der Medienstaatsvertrag, der Rechte und Pflichten der | |
Rundfunk-, Digitale-Dienste- und Telemedienanbieter in Deutschland regelt, | |
eine ausgewogene und „angemessene“ Darstellung aller Parteien vorschreibe. | |
Was allerdings „angemessen“ bedeutet, ist Auslegungssache. Eine prominente | |
Stimme gegen die Einladung der AfD ist WDR-Moderator und | |
Rechtswissenschaftler Georg Restle. Gemeinsam mit [8][Andreas | |
Fischer-Lescano] zeigte er schon 2021 im Verfassungsblog: Ein rechtlicher | |
Anspruch der AfD auf Sendezeit existiert nicht. Zwar müsse über alle | |
Parteien gemäß ihrer Größe berichtet werden, allerdings obliegt es den | |
Redaktionen zu entscheiden, wie sie das tun. | |
## Grundlage für Kurswechsel | |
Oft heißt es auch, die AfD sei bei der letzten Bundestagswahl [9][von gut | |
10 Millionen Menschen gewählt worden,] man könne sie also nicht ignorieren. | |
Doch [10][laut Medienstaatsvertrag] soll der ÖRR „die demokratischen, | |
sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft“ erfüllen. Einer | |
Partei, die die Demokratie gefährdet, eine Bühne zu geben, ist damit schwer | |
vereinbar. Auch Restle sieht sich durch die Einschätzung des | |
Verfassungsschutzes bestätigt und schreibt: „Eine ‚Gleichbehandlung‘ von | |
Rechtsextremisten verstößt gegen den Programmauftrag.“ [11][Auch wenn | |
Medien Behördenurteilen und -veröffentlichungen nicht blind folgen sollten, | |
bietet die Verfassungsschutzeinstufung eine tragfähige Grundlage für einen | |
Kurswechsel.] | |
Redaktionen können also entscheiden, die AfD nicht mehr einzuladen. Diese | |
Entscheidung sollten ARD und ZDF unabhängig treffen – nicht unter | |
politischem Druck, sondern aus ihrer demokratischen Verantwortung heraus. | |
Ausschlaggebend können journalistische Kriterien sein: Relevanz, Sachbezug, | |
Gesprächsfähigkeit. | |
Die AfD sollte nicht aus der Berichterstattung verschwinden. In | |
Nachrichten, Dossiers oder Reportagen kann sie analysiert und bei Bedarf | |
auch befragt werden. Dort bestimmen Redaktionen die Regeln – | |
Kontrollverlust ist weniger wahrscheinlich. Gleichzeitig böte eine eigene | |
Themensetzung die Chance, wieder stärker gegen die AfD auf Social Media zu | |
bestehen und sie dort herauszufordern, wo sie schwach ist. Wie wäre es zum | |
Beispiel, wieder mehr über hohe Mieten, fehlende Kitaplätze und den | |
Pflegenotstand zu sprechen? | |
Bislang äußern sich die Sender nur vage zu möglichen Konsequenzen aus der | |
Einstufung. [12][Laut einer Correctiv-Anfrage] prüft das ZDF, „in welchem | |
Rahmen Vertreter:innen der AfD zu Wort kommen“. Die ARD teilte der taz | |
mit, in ihrer „politischen Berichterstattung an geeigneter Stelle darauf | |
hinzuweisen, dass es sich bei der AfD um eine Partei handelt, die als | |
gesichert rechtsextremistisch eingestuft ist“. Zugleich betont sie ihre | |
Pflicht zur Abbildung einer demokratisch gewählten Partei – wobei die | |
Partei abbilden ja gerade eben nicht bedeuten müsste, sie in Talkshows | |
einzuladen. Ob sich der Umgang nach der Einschätzung des BfV tatsächlich | |
ändert, werde noch geprüft, so die ARD weiter. | |
Das klingt nach Stillstand und nach Mutlosigkeit, nach Angst, bei einer | |
solchen Entscheidung Kritik ausgesetzt zu sein: von der AfD, die wie immer | |
eine Opferrolle einnehmen wird, aber auch von anderen Stellen, die dem ÖRR | |
eine Parteinahme vorwerfen werden. Wer mit Blick auf Quote oder | |
Staatsauftrag behauptet, nichts ändern zu können, verkennt: Die AfD | |
profitiert längst vom Status quo. Jeder Auftritt verstärkt das Bild, sie | |
sei eine Partei wie jede andere. Und wer den demokratischen Diskurs | |
schützen und sich eben keiner Parteinahme schuldig machen will, muss das | |
ernst nehmen. | |
Talkshows sind keine Pflichtveranstaltungen. Sie sind Teil politischer | |
Öffentlichkeit – gestaltet von Redaktionen, von konkreten Personen, die | |
Verantwortung tragen. Deshalb: Es reicht beim nächsten Mal vielleicht, die | |
Statements der Weidels und Chrupallas vor der Sendung aufzuzeichnen und | |
jeder Frage voranzustellen: Was sagen Sie als Mitglied einer „gesichert | |
rechtsextremistischen“ Partei zu …? | |
10 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Verfassungsschutz/!6085512 | |
[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-gutachten-des-verfassungssch… | |
[3] https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/75-jahre-grundgesetz/ar… | |
[4] /Hochstufung-der-Afd-vorlaeufig-ausgesetzt/!6086868 | |
[5] https://www.ardmediathek.de/video/caren-miosga/was-fuer-ein-deutschland-wol… | |
[6] https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1462646.html | |
[7] https://www.progressives-zentrum.org/wp-content/uploads/2023/02/Studie_Die-… | |
[8] /Debatte-ueber-ein-AfD-Verbot/!6051384 | |
[9] /Diskussion-um-AfD-Verbot/!6083505 | |
[10] https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/Rechtsgrundlagen/… | |
[11] https://bsky.app/profile/georgrestle.bsky.social/post/3lo6gzu5oac2q | |
[12] https://correctiv.org/aktuelles/debatte-um-afd-verbot/2025/05/07/afd-als-g… | |
## AUTOREN | |
Ann-Kathrin Leclere | |
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