| # taz.de -- Sozialwissenschaftlerin zur Spargelernte: „Er sagte: ‚Nirgendwo… | |
| > Spargelbauern holen Zigtausende Erntehelfer:innen nach Deutschland. | |
| > Oft herrschen katastrophale Bedingungen, sagt die Expertin Kateryna | |
| > Danilova. | |
| Bild: Harte Ernte: Spargelfeld in NRW | |
| taz: Frau Danilova, Sie werfen den deutschen Spargelbauern im | |
| [1][Jahresbericht der Initiative Faire Landarbeit] massive Ausbeutung ihrer | |
| Saisonarbeiter:innen vor. Wie sieht die aus? | |
| Kateryna Danilova: In unserem aktuellen Bericht liegt der Fokus vor allem | |
| auf den überteuerten und schlechten Unterkünften. Aber wir stellen noch | |
| viele andere Probleme fest, wie die Mindestlohnunterschreitung und eine | |
| extreme Ausdehnung des Arbeitstages. Hinzu kommt, dass die teils | |
| kriminellen Arbeitsvermittlungsstrukturen nicht reguliert sind. Aber wir | |
| bekommen auch immer mehr Hinweise auf sexualisierte Ausbeutung. | |
| taz: In welcher Form? | |
| Danilova: Es gibt bislang nur Hinweise, da die Betroffenen selbst die | |
| Vorfälle nicht melden. Wir erfahren das über ihre Kolleg:innen, durch | |
| Zufall, wenn wir in den Betrieben sind, um uns die Arbeitsbedingungen | |
| anzusehen. Meist nutzen den Schilderungen nach die festangestellten | |
| Vorarbeiter ihre Machtposition aus und zwingen die Beschäftigten zu | |
| sexuellen Handlungen. | |
| taz: Woher kommen Ihre Informationen? | |
| Danilova: Den Kern unseres Berichts macht aus, was wir in unserer | |
| Beratungspraxis und bei unseren Feldaktionen beobachten. Wir gehen an die | |
| Feldränder und sprechen dort mit den Saisonarbeiter:innen. Unsere | |
| Beobachtungen aus den direkten Gesprächen ergänzen wir durch | |
| wissenschaftliche Expertise. | |
| taz: Wer sind die Menschen, die als Saisonarbeiter:in schuften? | |
| Danilova: Das sind vor allem Menschen aus Rumänien, die hier im Rahmen | |
| einer kurzfristigen Beschäftigung arbeiten, das heißt | |
| sozialversicherungsfrei, auf drei Monate begrenzt – extrem prekär. Sie | |
| kommen auch aus anderen osteuropäischen Ländern und auch immer mehr aus | |
| Drittstaaten, zum Beispiel aus den zentralasiatischen Ländern oder sogar | |
| aus Indien oder China. | |
| taz: Um wie viele Menschen geht es? | |
| Im vergangenen Jahr hatten wir 241.000 Saisonarbeiter:innen, das ist | |
| knapp ein Drittel aller Beschäftigten in der Landwirtschaft. Ohne diese | |
| Menschen können Spargel und Erdbeeren nicht geerntet werden. Die | |
| Beschäftigten leisten einen unersetzbaren Beitrag – das haben wir [2][auch | |
| zu Corona-Zeiten gesehen] –, werden aber ausgebeutet. | |
| taz: Sie sprachen gerade von Unterschreitungen beim Mindestlohn. Der ist | |
| doch gesetzlich vorgeschrieben, liegt aktuell bei 12,82 Euro brutto pro | |
| Stunde. Wie kann es da zu Verfehlungen kommen? | |
| Danilova: Nicht alle gearbeiteten Stunden werden festgehalten und bezahlt. | |
| Jemand kann 12, 13 oder auch 14 Stunden pro Tag arbeiten und dann nur für 8 | |
| davon Lohn bekommen. Oder die Arbeitgeber holen sich ihr Geld über die | |
| Wohnkosten zurück. Die Saisonarbeiter:innen bekommen zwar die | |
| Unterkünfte vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt, aber zu sehr hohen | |
| Preisen. | |
| taz: Wie hoch? | |
| Danilova: Wir sprechen von Beträgen, die höher sind als in Metropolregionen | |
| in Deutschland, und das für Container in einem brandenburgischen Dorf. Drei | |
| bis vier Personen teilen sich ein Zimmer, manchmal aber auch bis zu 14. Ein | |
| rumänischer Saisonarbeiter, den wir in unserem Bericht zitieren, meinte: | |
| „Nirgendwo war es so schlimm wie in Deutschland.“ Er hatte zuvor in Italien | |
| auf der Baustelle und in Dänemark auf den Feldern gearbeitet. | |
| taz: Wie reagieren die Landwirt:innen auf Ihre Feldbesuche? | |
| Danilova: Manche lassen uns frei mit den Beschäftigten sprechen, andere | |
| fordern uns sofort auf, ihre Felder zu verlassen. Es kam auch schon vor, | |
| dass die Flyer, die wir verteilten, sofort von den Vorarbeitern wieder | |
| eingesammelt wurden. Meine Kolleginnen wurden nach der Aktion sogar mal mit | |
| einem Auto verfolgt. | |
| taz: Rechtfertigen sich die Landwirt:innen vor Ihnen? | |
| Danilova: Ein Landwirt meinte zu uns mal, die Menschen seien „nichts | |
| Besseres“ gewohnt und bei ihnen zu Hause sei alles „noch schlimmer“. Ein | |
| anderer sagte gar, die Saisonarbeit sei wie Urlaub für die Beschäftigten. | |
| Wir sprechen von einer schweren physischen Arbeit, die viel Präzision | |
| erfordert – viele Stunden pro Tag unter direkter Sonneneinstrahlung. | |
| taz: Verbessert sich denn auch etwas in den Betrieben? | |
| Danilova: Bei manchen Betrieben konnten wir in den letzten zwei Jahren | |
| Verbesserungen feststellen. Von systematischen Verbesserungen in dieser | |
| Branche sind wir aber immer noch weit entfernt. Seit Anfang dieses Jahres | |
| gibt es eine neue Regelung innerhalb der gemeinsamen Agrarpolitik der EU, | |
| nach der Subventionen nun an die Einhaltung gewisser Standards geknüpft | |
| sind. Da werden wir aber erst in diesem Jahr beobachten, ob das auch einen | |
| Einfluss auf die Arbeitsbedingungen hat. | |
| taz: Es scheint viele Betroffene zu geben. Wieso wehren sich nicht mehr | |
| Menschen gegen die Ausbeutung? | |
| Danilova: In der Regel bekommen die Saisonarbeiter:innen ihre Löhne | |
| als einmalige Barzahlung am Ende der Saison. Sie verlassen ihre Unterkunft, | |
| und da steht schon der Bus bereit, der sie zurück nach Rumänien bringt. Es | |
| sind vielleicht 1.000 Euro weniger, als sie erwartet haben – aber sie | |
| können nichts mehr tun. Eine Klage ist sehr schwierig, die Menschen | |
| sprechen meist kein Deutsch, kennen das bürokratische System nicht. Für | |
| Verhandlungen vor Gericht müssten sie immer wieder nach Deutschland kommen, | |
| [3][was ins Geld geht]. Wir als arbeitsrechtliche Beratungsstellen | |
| versuchen, die Menschen zu empowern und Löhne außergerichtlich | |
| einzufordern. Gleichzeitig hat die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt | |
| eine spezielle Mitgliedschaft für Saisonbeschäftigte, die ihnen zu | |
| begünstigten Bedingungen Rechtsschutz gewährt. | |
| taz: Was kann die Politik tun? | |
| Danilova: Der Mindestlohn muss fortbestehen, aber auch tatsächlich | |
| ausgezahlt werden. Außerdem müssen die Unterkunftspreise gedeckelt und die | |
| Arbeitsvermittlung reguliert werden. Die Saisonbeschäftigten verdienen mehr | |
| für ihre Arbeit. | |
| 23 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Yelizaveta Landenberger | |
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