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# taz.de -- Ungarns Politik gegen queere Menschen: Zwischen Wut und Widerstand
> Ungarn hat die Rechte von Homosexuellen und trans Personen massiv
> eingeschränkt. Die Zivilgesellschaft wehrt sich.
Bild: Budapest im April: Protest gegen Ungarns Pride-Verbot
Die Stimme von Luca Dudits klingt ernst. „Viele Menschen sind wütend,
andere fühlen sich hoffnungslos und hilflos“, sagt die Aktivistin der
ungarischen LGBTIQ+-Organisation Háttér über die Verfassungsänderungen, die
am Montag vom Parlament in Budapest beschlossen wurden. In Dudits’ Worten
schwingt nicht nur Resignation: „Wir sind entschlossen, weiterhin auf die
Straße zu gehen. Auch viele Menschen, die selbst nicht betroffen sind,
sagen, dass dies ein Schritt zu weit war.“
Dieser „Schritt zu weit“ ist die inzwischen 15. Verfassungsänderung Viktor
Orbáns seit seinem Amtsantritt 2010. Während Ungarn mit wirtschaftlichen
Problemen und einem maroden Gesundheits- und Bildungssystem kämpft,
konzentriert sich der Premierminister erneut auf eines seiner
Lieblingsthemen: die Einschränkung von LGBTIQ+-Rechten.
Schon seit 2020 können trans Personen in Ungarn ihr Geschlecht rechtlich
nicht mehr ändern. Nun erhält dieses Verbot Verfassungsrang. Geschlecht ist
demnach als unveränderliche biologische Gegebenheit definiert, die Existenz
von trans und intergeschlechtlichen Personen wird ignoriert.
Die zweite, noch weitreichendere Änderung betrifft den sogenannten
Kinderschutz. Das Recht des Kindes auf Schutz und Fürsorge hat nun Vorrang
vor allen Grundrechten mit Ausnahme des Rechts auf Leben.
## Die Agenda von Orbán
Mit dieser Bestimmung kann die Regierung praktisch jede Versammlung der
LGBTIQ+-Gemeinschaft untersagen, indem sie behauptet, diese gefährde das
Wohlergehen von Kindern. Diese Verfassungsänderung liefert die Grundlage
für ein kürzlich beschlossenes Gesetz zum Verbot von Pride-Paraden.
Luca Dudits weist noch auf eine dritte Neuerung hin: Auch das
Gleichbehandlungsgesetz wurde geändert. Offiziell ist die
Geschlechtsidentität kein geschütztes Merkmal mehr, dessentwegen man nicht
diskriminiert werden darf, wenn es um Wohnraum, Dienstleistungen oder
Beschäftigung geht.
Die Änderungen passen [1][zu Orbáns Agenda] gegen die von ihm so
bezeichnete „Woke-Ideologie“. „Wir schützen die Entwicklung von Kindern,
bekräftigen, dass ein Mensch entweder als männlich oder weiblich geboren
wird, und stehen fest gegen Drogen und ausländische Einmischung“, sagte
Orbán nach der parlamentarischen Abstimmung. Auch Polizeibefugnisse wurden
ausgeweitet.
Doch es gibt Hoffnung auf rechtliche Gegenwehr. „Gemeinsam mit anderen
Organisationen haben wir uns an die EU-Kommission gewandt“, sagt Dudits.
Sie fordern einstweilige Maßnahmen, die schnell greifen könnten. Auch eine
Delegation von EU-Parlamentariern hat scharfe Kritik geübt und fordert
rechtliche Schritte gegen das Pride-Verbot. Die Abgeordneten riefen den
Europäischen Gerichtshof dazu auf, das Gesetz vorläufig auszusetzen.
## Proteste und Pride Parade
[2][Die Zivilgesellschaft lässt sich nicht einschüchtern.] In den
vergangenen sechs Wochen gab es zwei bis drei Proteste pro Woche, meist in
der Hauptstadt Budapest. Unmittelbar vor der Abstimmung im Parlament
versuchten Oppositionspolitiker*innen und Demonstrant*innen,
die Einfahrt zu einem Parlamentsparkhaus zu blockieren. Die Polizei
entfernte sie gewaltsam. Laut der liberalen Oppositionspartei Momentum
waren fast 1.000 Polizisten anwesend.
Die aktuelle Verschärfung kommt Luca Dudits zufolge nicht von ungefähr,
denn in einem Jahr finden in Ungarn Parlamentswahlen statt. Angesichts des
überraschenden Aufstiegs seines Herausforderers [3][Péter Magyar] greife
Orbán auf bewährte Strategien zurück: Er nehme eine verletzliche Minderheit
und stelle sie als Bedrohung für die Nation dar. In der Vergangenheit seien
das auch Obdachlose, Migrant*innen, Asylsuchende – und letzthin vor allem
die LGBTIQ+-Community gewesen.
Gleichzeitig inszeniere sich Orbán als Einziger, der Ungarn vor dieser
Bedrohung schützen könne. „Leider scheint diese Argumentation bei der
Kernwählerschaft des Fidesz recht gut zu funktionieren, die gegenüber
LGBTIQ+ voreingenommener ist als der Rest der Bevölkerung“, sagt Dudits.
Trotz aller Widrigkeiten bleibt der Widerstand ungebrochen. Die
Pride-Parade könnte sogar noch größer werden als in den Vorjahren. Sie soll
wie geplant am 28. Juni stattfinden. Die Verfassungsänderung könnte sich
für Viktor Orbán als politischer Bumerang erweisen.
18 Apr 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Florian Bayer
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