# taz.de -- Pride in Budapest: Die Brücke der Freiheit ist gesperrt | |
> Die Orbán-Regierung hatte die Budapester Pride verboten – sie wurde | |
> größer denn je. Unterwegs mit einem, für den die Parade mehr ist als eine | |
> Party. | |
Bild: Würde ihm stehen: ein Demonstrant trägt in Budapest am 28. Juni eine Vi… | |
Budapest taz | Emmett Hegedűs wippt nervös nach vorn und hinten. Immer | |
wieder rollt er sich auf die Zehenspitzen und blickt sich um, über die | |
Köpfe von Zehntausenden Menschen hinweg. „Ich fasse es nicht, wie viele | |
Leute hier sind“, sagt er. „Ich hab’ noch nie so viele Leute gesehen.“ | |
Hegedűs, raspelkurze dunkelblonde Haare, Piercing in der Augenbraue, ist 21 | |
Jahre alt und trans. Er ist einer von rund 200.000 Menschen, die an diesem | |
Samstagnachmittag bei strahlendem Sonnenschein durch Budapest ziehen und | |
für die Rechte queerer Menschen demonstrieren. Bei der letzten Pride-Parade | |
im Jahr zuvor waren es noch 35.000 Teilnehmer*innen. Dass es heute gut | |
sechsmal so viele sind, liegt daran, dass diese Parade eigentlich verboten | |
ist. Die rechtsautoritäte Regierung von Viktor Orbán hatte [1][eigens die | |
Verfassung geändert], damit Emmett und die anderen hier heute nicht laufen | |
können. Jetzt sind sie doch da, und sie sind viele. | |
Für Emmett ist das auch deswegen so überwältigend, weil ihm die letzten | |
Monate noch in den Knochen stecken. Jeden Donnerstag hatte die Community | |
zuletzt gegen das Pride-Verbot demonstriert. Anstrengend sei das gewesen. | |
„Ich habe immer gesagt, die Situation für uns kann nicht schlimmer werden. | |
Aber dann wurde es schlimmer.“ Für Emmett sind die Rechte, die queere | |
Personen in Ungarn haben, ein Witz: keine gleichgeschlechtliche Ehe, kein | |
Adoptionsrecht, seit 2020 dürfen trans-Personen nach der Transition nicht | |
mehr ihren Namen ändern. Für seine Hormonbehandlung muss Emmett Hegedűs | |
inzwischen nach Österreich fahren, weil seine letzten beiden Ärztinnen | |
verhaftet wurden, erzählt er. | |
Mit ihm auf der Pride läuft seine ganze Familie, selbst die 77-jährige | |
Großmutter ist dabei. Maté, Emmetts Bruder, hat die Pride mitorganisiert. | |
Emmett selbst ist einer der wenigen bekannten trans-Aktivisten des Landes. | |
In den Medien [2][spricht er offen] über seine Transition, für seine | |
Brustentfernung hat er im Internet Geld gesammelt. In dem Budapester Kino, | |
in dem er arbeitet, veranstaltet er queere Filmabende, trotz der immensen | |
Beschränkungen, die das sogenannte Kinderschutzgesetz 2021 im kulturellen | |
Bereich erlassen hat. | |
## Von der Orbán-Anhängerin zur Pride-Aktivistin | |
Inmitten der Pride-Menge holte Emmetts Schwester einen Stift in | |
Regenbogenfarben aus der Tasche und bemalt damit die Wangen seiner Freunde. | |
„Ah, ihr seht alle so toll aus!“, ruft die Großmutter dazu. Extra für heu… | |
hätte sie sich den „trans-hat“ aufgezogen, ein Hut in den Farben der | |
Transflagge – hellblau, weiß, rosa. Sie nimmt ihren Enkel am Arm, als sich | |
der Zug bewegt und klatscht mit. „Jeder, der eine Seele hat, ist heute | |
hier“, flüstert sie zu Emmett. Es ist kaum fünf Jahre her, da hat die | |
Großmutter noch für die Fidesz-Regierung von Orbán gestimmt Seit den | |
Outings von Emmett und seinem Bruder haben sie viele Gespräche mit ihr | |
geführt. Wo sie am Anfang kein Verständnis für queere Lebensrealitäten | |
hatte, streitet sie heute auch online mit Verfassern von Hasskommentaren, | |
erzählt sie. | |
„Das war ein langer Weg“, sagt Emmett, „und meine Situation, mit einer so | |
toleranten Familie, ist nicht repräsentativ für die Community, das weiß | |
ich“. Aber dennoch ist nicht nur Emmetts Familie auf der Pride – die ganze | |
Parade ist gefüllt mit Familien, Teenagern, Rentner*innen und jungen | |
Queers. Sie schwenken Prideflags, halten Schilder und Plakate in die Luft, | |
auf denen steht „Arrest me, Moscow“ und „I can’t event think straight�… | |
den elf Lautsprecherwagen legen DJs auf, Bands spielen. Teilweise sind die | |
Straßen so überfüllt, dass es nur im Schritttempo vorangeht. | |
Seit 1997 findet die Pride in Budapest statt. Höhepunkt der einmonatigen | |
Feier für queere Rechte ist ein Umzug durch die Stadt. Doch in diesem Jahr | |
sollte der Umzug zum ersten Mal verboten werden. Die Orbán-Regierung hatte | |
dafür im März eigens die Verfassung geändert: Versammlungen und | |
Veranstaltungen können nun [3][mit dem Verweis auf Kinderschutz verboten | |
werden] – und das traf prompt die diesjährige Pride. Mitte Juni hatte die | |
Polizei die Parade verboten. Viktor Orbán drohte allen, die dennoch | |
teilnehmen würden, mit Gesichtserkennungssoftware und Geldstrafen. Doch der | |
liberale Bürgermeister Gergely Karácsony von Budapest labelte die | |
Veranstaltung kurzerhand zum Stadtfest um. | |
Am Tag vor der Pride hat der Bürgermeister Karácsony zur Pressekonferenz | |
geladen. Mit Karácsony auf dem Podium sitzen der Bruder von Emmett und | |
Pressesprecher der Pride, Máté Hegedűs, die EU-Kommissarin für | |
Gleichstellung, Hadja Lahbib, sowie der Vizepräsident des Europäischen | |
Parlaments, Nicolae Bogdanel Ştefănuţă. „Wenn eine Pride-Veranstaltung in | |
einem Europäischen Land verboten wird, dann dauert es nicht mehr lange, bis | |
die anderen Länder ebenfalls um ihre Prides fürchten müssen“, sagt der | |
Budapester Bürgermeister mit Nachdruck. | |
## Europa schaut zu | |
Auf die Frage, was er davon hält, dass ihm der ungarische Justizminister | |
Bence Tuzson bis zu einem Jahr Haft angedroht hatte, sollte er die | |
verbotene Pride-Parade stattfinden lassen, reagiert Karácsony mit einem | |
Lachen. „Unser Justizminister weiß genau so wie ich, dass dies gegen | |
geltendes Recht verstößt. Ich könnte höchstens meinen Job verlieren und | |
sollte das passieren, dann freue ich mich, endlich wieder mehr Zeit mit | |
meinen Kindern verbringen zu können“, so Karácsony. | |
Was bei Karácsony am Vortag der Pride noch so leicht klingt, hat einen | |
ernsten Hintergrund. Auch deswegen sitzt der Bürgermeister hier mit so viel | |
EU-Personal: Den Beteiligten geht es darum, ein Zeichen in die Welt zu | |
senden, dass Viktor Orbáns Politik weder die Werte Ungarns noch die der | |
Europäischen Union widerspiegelt. Denn, da sind sich auf diesem Podium und | |
auch auf der Pride einen Tag später viele einig: Der Kampf um die | |
Budapester Pride ist längst keine rein ungarische Angelegenheit mehr. Hier | |
spitzt sich zu, wie weit Europa nach rechts rückt. Wie viel Macht Europa | |
hat, wenn es darum geht, Minderheitenrechte und damit letztlich auch die | |
liberale Demokratie zu verteidigen. | |
Auch deswegen sind zur Pride viele Besucher*innen aus dem Ausland | |
angereist. Aus mehreren europäischen Städten waren [4][Busse gekommen], | |
dazu 70 Europaparlamentarier und Vertreter*innen internationaler NGOs. | |
Die ungarische Regierung sieht darin eine unrechtmäßige Einmischung in | |
innenpolitische Angelegenheiten. Nach der Parade sprach die Regierung von | |
einer Kundgebung „auf Brüssels Befehl“. Ungarns Souveränität sei verhöh… | |
worden und es sei mit ausländischer Unterstützung versucht worden, „uns die | |
woke-Kultur aufzuzwingen“, erklärte der Regierungssprecher Zoltan Kovacs. | |
Von den Veranstalter*innen war geplant, die Demo-Route über die als | |
Budapester Wahrzeichen geltende Szabadság híd, zu deutsch Freiheitsbrücke, | |
laufen zu lassen. Als rund 20 Anhänger der rechtsextremen Partei Mi Hazánk | |
Mozgalom versuchen, die Brücke zu besetzen, wird der Demonstrationszug über | |
die Elisabethbrücke umgeleitet. Von der Spitze des Gellértbergs aus, | |
welcher am Fuße der Brücke liegt, ist das Ende der Menschenmenge nicht zu | |
erkennen. Als der erste Wagen das Ende der Brücke auf der Buda Seite | |
erreicht, ist der letzte Block der Pride noch nicht einmal losgefahren. | |
## Fehlender Mut in Ungarn | |
Wenig Sprechchöre sind aus den Reihen der Teilnehmer*innen zu hören. | |
„Ich fände ein bisschen lauter schon gut“, sagt Emmett etwas enttäuscht. | |
Als wir auf der Elisabeth-Brücke sind, schreien er und seine Familie den | |
Pride-Slogan „Itt hon vagyunk“ – auf Deutsch „Wir sind hier zuhause.“… | |
Menschen um uns stimmen nicht ein, sie klatschen bloß leise und lächeln. | |
„Die Leute sind nicht mutig genug in Ungarn“, sagt Emmett, als er die Arme | |
wieder senkt. Er würde sich wünschen, dass die Ungar*innen überzeugter | |
davon wären, dass ihr Protest etwas bringt. Viele seiner Freund*innen | |
sind vor zwei Jahren, direkt nach dem Abitur, weggezogen. Es wäre | |
einfacher, sich die Zukunft woanders vorzustellen, aber natürlich nicht | |
einfach, zu gehen. „Wenn Fidesz nächstes Jahr nochmal gewinnt, werde ich | |
ziemlich wahrscheinlich wegziehen“, sagt Emmett. | |
Seit die rechtskonservative Fidesz-Regierung vor 15 Jahren an die Macht | |
kam, sind viele Ungar*innen ins Ausland abgewandert. Die Schätzungen | |
variieren zwischen 370.000 und einer halben Million emigirerter | |
Ungar*innen. Viele von ihnen ziehen nach Österreich und für trans Personen | |
wie Emmett geht es dabei um mehr als die berufliche Zukunft. In der | |
Apotheke in Wien, wo er sein Rezept für die Hormone abgibt, hängen | |
Pride-Flags an der Fassade, erzählt er. | |
Als sein Vater letztes Mal mit ihm dort gewesen sei, habe er den Apotheker | |
gefragt, wie viel die Flaggen kosten und dann drei Stück mitgenommen. Aber | |
neben der anfänglichen Euphorie für eine Offenheit gegenüber queeren | |
Menschen, schwang auch eine Bedrücktheit mit. „Mein Vater fand es ziemlich | |
traurig, dass wir bei 10 von 15 Begegnungen auf Leute aus Ungarn treffen“, | |
erzählt Emmett Dass also so viele Ungar*innen nicht mehr in ihrem Land | |
leben. | |
Die Pride endet auf der Buda-Seite der Stadt, direkt am Wasser mit einer | |
großen Bühne. Viele, die heute auf der Straße sind, erzählen uns, sie sind | |
hier nicht allein für die Rechte von LGBTQIA+ Personen, sondern vor allem, | |
weil sie die Politik von Orbán und 15 Jahren Fidesz Regierung satt haben. | |
„Ah, da bist du!“, sagt Emmett, als er seinen Vater sieht. Der Zug war so | |
lang gewesen, dass sie sich während der Demo nicht finden konnten. „Ich bin | |
müde, weil ich so alt bin“, sagt sein Vater und lacht. In der Hand hält er | |
die Pride-Flagge aus der Wiener Apotheke. | |
29 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Queer-Feindlichkeit-in-Ungarn/!6091776 | |
[2] https://www.facebook.com/watch/?v=278846400887703 | |
[3] /Ungarn-auf-Abwegen/!6076711 | |
[4] /Anreise-zur-Budapest-Pride/!6092973 | |
## AUTOREN | |
Julian Csép | |
Yasemin Said | |
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