Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Politik der Zukunft: Was ist für Sie progressiv, Ricarda Lang?
> Progressiv klingt gut, ist aber längst ein Traditionsbegriff für eine
> Welt, die es nicht mehr gibt. Auf der Suche nach einer neuen Erzählung.
Bild: Langs streben ins „progressiven“ Zentrum der Gesellschaft
Die Grünen-Politikerin Ricarda Lang will die Partei nicht mehr im Zentrum
der Gesellschaft positionieren, wie Robert Habeck, Winfried Kretschmann und
Cem Özdemir es wollen. Lang will ins Zentrum des „progressiven“ Teils der
Gesellschaft, mehr noch, sie strebe „progressive Mehrheiten“ an. Das sagte
die Ex-Parteivorsitzende und mutmaßlich kommende Fraktionsvorsitzende
[1][unlängst in der taz].
Hurra. Jetzt müsste man eigentlich nur noch wissen, was „progressiv“ meint,
wenn es um die Zukunft von Europa, um Klima, Verteidigung und Digitales,
sprich um die zentralen Themen unserer Zeit geht; und sich angesichts des
Zeitgeistes dann die Frage stellen, wo und wie diese „progressiven
Mehrheiten“ zustande kommen sollen, europäisch und national.
Wer sollen denn die „progressiven“ Parteien in der Bundesrepublik sein? Die
SPD, eine fossile Partei aus dem 20. Jahrhundert? D[2][ie Tiktok-affine,
aber außenpolitisch nicht annähernd realitätstaugliche Linkspartei]? Oder
doch die Grünen, denen gerade von Restlinken reflexhaft vorgeworfen wird,
sie seien mittig, konservativ, „rechts“?
„Progressiv“ klingt gut, ist aber längst ein Traditionsbegriff geworden,
der aus einer Welt stammt, die es nicht mehr gibt. Diese Welt war eine, in
der die Bundesrepublik von amerikanischem Weltcheftum, russischem Gas,
sorgloser CO2-Emissionsproduktion und der Globalisierung profitierte.
In dieser Welt wollten staats- und gesellschaftskritische Progressive mehr
Umverteilung, mehr Freiheit, mehr Minderheitenrechte, mehr Chancen für
Benachteiligte, mehr Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll. Das Gegenwort war
konservativ, das schienen uns spießige und schlimme Mitmarschierer zu sein.
Dennoch schufen und bewahrten wir gemeinsam die Voraussetzungen für die
liberale Demokratie.
## Wo bleibt die gemeinsame Zukunftsgeschichte?
Im 21. Jahrhundert ist die Auseinandersetzung nun aber nicht progressiv
gegen konservativ oder links gegen rechts. Heute kämpfen offene,
postfossile Gesellschaften [3][gegen den autoritären oder
hyperindividualistischen fossilen Nationalismus]. Erstere sind in reine
Bewahrungsbeschwörung gerutscht. Zweiterer verspricht eine bessere Zukunft
(„great“), die an eine angeblich große Vergangenheit anschließt („again…
In dieser Lage sehen nicht nur gute, alte, fossile CDU- oder SPD-Kanzler
alt aus, sondern auch die nostalgischen Progressiven, die „progressiv“
heute weitgehend über eine nationale Sozialstaatsausweitung definieren.
Selbstverständlich ist bezahlbares Wohnen und Essen eine zentrale
Grundlage. Das wissen die Rechtspopulisten auch. Aber aus linker
Sozialpolitik und moralischer Abwertung von Andersdenkenden entsteht eben
keine gemeinsame Zukunftsgeschichte. Das ist einfach nur unambitioniertes
Retro-Denkbusiness.
Liebe Ricarda Lang: Ich würde den Begriff „progressiv“ zur künftigen
Gewinnung von Mehrheiten nicht verwenden. Erstens, weil er Gemäßigte
abschreckt. Zweitens, weil er inhaltlich leer ist. Auch würde ich keine
Opfernarrative in den Vordergrund stellen, sondern die zweite Phase unserer
großartigen Bundesrepublik entwickeln. Diese Zukunftsgeschichte sollte
weder an sozialem Elend aufgehängt werden (wie es Linkspartei oder
Linkssozialdemokratie versuchen) noch an einer fortschreitenden
Individualisierung.
Nach der Emanzipation des Bürgers (Konservative), des Arbeiters (SPD) und
des Individuums (Grüne) brauchen wir nun die Geschichte einer postfossilen,
europäischen, digitalen, gerechten Gesellschaft mit beträchtlichen Chancen
für Freiheit und Lebensqualität.
Nicht ganz einfach im Moment, okay. Aber das ist die Geschichte, mit der
wir gewinnen werden.
22 Apr 2025
## LINKS
[1] /Ricarda-Lang-ueber-Strategie-der-Gruenen/!6074555
[2] /Junge-Linkenwaehler-und-TikTok/!6068526
[3] /Trumps-Wirtschaftsstrategie/!6078341
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Kolumne Die eine Frage
wochentaz
Ricarda Lang
Friedrich Merz
Winfried Kretschmann
wochentaz
taz lab 2025
Ricarda Lang
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Bündnis 90/Die Grünen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Selbstverständnis einer Partei: Wie lösen wir die Probleme?
Manche Grüne wollen sich unbedingt „treu bleiben“: 1968, Anti-Politik,
Anti-Establishment. Das ist der falsche Ansatz – und eine gefährliche
Illusion.
Rückblick auf das taz lab 2025: Links vom Parlament
Das taz lab ist ein Raum für politische Diskussionen und Ideen. Mit Robert
Habeck, Saskia Esken und anderer Politprominenz klappte das schon ganz gut.
Ricarda Lang über Strategie der Grünen: „Die Schuldenlast tragen die Falsch…
Ricarda Lang, Ex-Parteichefin, fordert einen Strategiewechsel. Sie will,
dass die Grünen mehr Konflikte wagen und stärker auf soziale Themen setzen.
Habecks Dilemma mit der Gerechtigkeit: Robert und das Schulklo
Die Grünen und Robert Habeck setzen auf soziale Themen. Das verfängt, wenn
der Spitzenkandidat über Turnhallen und Dänemark spricht. Aber reicht das?
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug: „Jede Lockerheit ist verloren, un…
Sven-Christian Kindler hört auf, um ein besserer Vater zu sein. Nach 15
Jahren Bundestag klagt er aber auch: Social Media hat den Diskurs zerstört.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.