# taz.de -- Essen On the Road: Im Hintergrund läuft Radio Energy | |
> Auch wer unterwegs ist, muss essen. Und landet dabei an kulinarischen | |
> Nicht-Orten, austauschbar und doch speziell. Tagebucheinträge aus dem | |
> Transit. | |
Bild: Zwischen den vorbeidonnernden Lastwagen hört man aus der Küche Geräusc… | |
Das flimmernde Bild einer Tankstelle in der Ferne. Eine Imbissbude am Rand | |
einer Landstraße. Ein Schild mit einem Bestecksymbol an der | |
Autobahnausfahrt. Essen, Snacken, Kaffee trinken, wo der Zufall es will. An | |
Orten, an denen man sich fühlt wie in einem Roadmovie und an die nur wenige | |
Gäste ein zweites Mal kommen. In den vergangenen zwei Jahren haben wir | |
diese Momente auf unseren Reisen eingefangen, in Worten und Bildern. | |
## Bar Restaurant Routier Les Corbières. Frankreich, Département Aude. 30. | |
August 2023 | |
Wir sind zu Besuch bei Naïmas Familie in Frankreich. Mit dem Fahrrad machen | |
wir einen Ausflug zur Font Estramar, einer Karstquelle, die uns eiskaltes | |
türkises Wasser verspricht. Doch als wir auf der gelben, heruntergekommenen | |
Fassade eines Landhauses die Wörter „Restaurant“ und „Hotel“ sehen, ma… | |
wir eine Pause. | |
Hier wachsen neben den Mülltonnen Feigenbäume. Auf einem Klappschild vor | |
der Tür steht „Stop! Formule Express Steak Frites Salade“. Es riecht nach | |
Fleisch. Zwischen den vorbeidonnernden Lastwagen hört man aus der Küche | |
Geräusche: das Zischen des Fleisches auf der heißen Platte, das regelmäßige | |
Tack-tack-tack eines Messers auf einem Holzbrett. Zwei Motorradfahrer | |
trinken Espresso und rauchen im Schatten einer Laube. Sie unterhalten sich | |
auf Katalanisch. Spanien ist knapp eine Stunde entfernt. | |
Drinnen sind die Tische mit bunten Wachstischtüchern gedeckt. Essig und Öl | |
stehen wie Vasen auf jedem Tisch, ein Salatbuffet wartet unter einer | |
Plastikhaube. Um uns herum sitzen Männer, Paare und Familien, durch die | |
Fenster fällt rötliches Licht. Kühlschränke und Ventilatoren brummen. Ein | |
Fernseher läuft stumm. Die zerrissenen Spitzenvorhänge an den offenen | |
Fenstern bewegen sich an diesem Spätsommermittag kein bisschen. | |
Ein Körbchen mit Brot und kaltem Wasser wird mit unserem Menü ohne Steak | |
gebracht. Dazu bestellen wir Rotwein. Zum Dessert gibt es Eis – und den | |
Wunsch nach einer Siesta. | |
## Cindy’s Diner. Autobahnraststätte „Am Fichtenplan Nord“, Brandenburg. | |
15. September 2023 | |
Wir tragen Overalls, als würden wir in einer Autowerkstatt arbeiten, aber | |
in Wirklichkeit sind wir bloß so begeistert von unserem kleinen Roadtrip, | |
dass wir uns extra dafür gekleidet haben. Wir fahren ein geliehenes rotes | |
Auto aus den 90er Jahren, um Kram von Berlin nach Leipzig zu | |
transportieren. An einer Raststätte bitten wir ein älteres Ehepaar, ein | |
Bild von uns zu schießen. Auf dem Handyfoto ist der Daumen des Mannes zu | |
sehen – eines unserer Lieblingsbilder der Reise. | |
Drinnen finden wir [1][ein Diner wie aus den 1960er Jahren in den USA]. | |
Zumindest so, wie man es aus den Filmen kennt: schwarz-weiß karierter | |
Boden, eine Jukebox und an den Wändern Blechbilder von James Dean, Marilyn | |
Monroe, Elvis Presley und dem Logo der Route 66. Es gibt Billardtische, | |
hängende Deckenlampen und CDs zu kaufen – Schlager und | |
Rock-’n’-Roll-Klassiker für unterwegs. Allerdings kommt keine Kellnerin mit | |
Schürze, die Filterkaffee ausschenkt. Und es gibt kein [2][Frühstück mit | |
Eiern, Bohnen und Würstchen], nur Fastfood: Burger, Chicken Wings, | |
Zwiebelringe, Wedges, Softeis zum Nachtisch. | |
Da die fleischlosen Optionen gering sind, fällt uns die Auswahl leichter. | |
Wir entscheiden uns für vegetarische Burger mit Pommes und Coca Cola – | |
natürlich aus der Glasflasche. Es schmeckt nach Kindheit. | |
## Shop Inside Diner an der OIL!-Tankstelle. Kemberg, Sachsen-Anhalt. 16. | |
September 2023 | |
Würstchen oder Bockwurst mit Brötchen, Buletten, Knacker und Tagessuppe, | |
auch mit Würstchen, stehen zur Auswahl. Auf der Rückfahrt mit dem roten | |
Auto von Leipzig nach Berlin bestellen wir nur Filterkaffee, der aus der | |
Thermoskanne gepumpt wird, und setzen uns ans Fenster. | |
Der Kaffee schmeckt wässrig, lässt sich aber mit viel Zucker trinken, und | |
sein Geschmack verstärkt mein Gefühl, „on the road“ zu sein. Die Stühle | |
sind aus gelbem und grünem Kunstleder. Durch die Jalousie dringt die Sonne | |
und beleuchtet den Kaffeedampf sowie die Gegenstände auf dem Tisch: unsere | |
Analogkamera, die Autoschlüssel, einen Plastik-Kaktus und eine | |
Lokalzeitung, die schon dort lag. Im Hintergrund läuft Radio Energy und | |
stumm, über dem Kopf der Kassiererin, auch der Fernseher. Zwei Gäste | |
unterhalten sich mit ihr. „Schön hier“, sagt der Mann, der den Motorradhelm | |
am Arm trägt und Camouflagehosen anhat. Der andere, der mit dem | |
Deutschland-Cappy, nickt. | |
## Petrol-Restaurant. Thailand, Provinz Mae Hong Soon. 15. Februar 2024 | |
Die Frau lacht, als sie das Benzin aus einer Flasche in den Tank unseres | |
Rollers füllt. Wir wissen nicht, warum. Neben dem kleinen Häuschen für die | |
Benzinausgabe gibt es ein Restaurant, in dem Hunde und Katzen Siesta | |
halten, auf Tischen, Stühlen, Hängematten. In Thailand sind wir, [3][um | |
Muay Thai zu trainieren], doch möchten wir zumindest eine der | |
Sehenswürdigkeiten in der Umgebung unseres Box-Camps anschauen: die | |
Mo-Paeng-Wasserfälle. Weil uns die Frau mit ihrem Lachen sympathisch | |
erscheint, entscheiden wir uns für ein spätes Frühstück und nehmen Platz. | |
Mobiles aus Muscheln hängen von den Balken und klingen im Wind. An der Wand | |
hängt ein Kalender mit [4][dem thailändischen König], er ist gekleidet wie | |
ein Cowboy. Es gibt auch ein Porträt des Dalai Lama und ein unscharfes | |
Foto, das an einem Flughafen aufgenommen wurde – man weiß nicht, ob die | |
Menschen darauf ankommen oder sich verabschieden. Auf dem Tisch gegenüber | |
stehen sechs ungeöffnete Bierflaschen, weitere sechs sind schon leer. Zwei | |
Männer und zwei Frauen unterhalten sich dort auf Chinesisch. Sie hören | |
Radio. Einer der Männer hält die zwei Frauen fest in den Armen. Bald fangen | |
im fünf Kilometer entfernten, größtenteils von Chines:innen bewohnten | |
Dorf Santichon [5][die Neujahrsfeiern an], erklärt uns die | |
Benzinverkäuferin. | |
Die Männer am Nebentisch werden immer betrunkener. Der mit den zwei Frauen | |
geht im Garten pinkeln, während die anderen kichern. Wir essen unser | |
Reisgericht mit Mango auf und gehen. Auch die andere Gruppe fährt davon, in | |
einem Pick-up. Erst jetzt sehen wir das Eingangsschild: „Small Business, | |
Big Heart“. | |
## Essensausgabe der Scandlines-Fähre. Zwischen Rostock und Gedser, | |
Dänemark. 28. Juni 2024 | |
Nach einer kalten Nacht im Flixbus geht im Hafen in Rostock die Sonne auf. | |
Wir sehen Möwen und Kräne und eine Familie, die sie beobachtet. Ich bin zum | |
dritten Mal auf dem Weg nach Kopenhagen, Naïma war noch nie dort. Ich | |
möchte ihr die Stadt zeigen, weil sie mir so gut gefällt. | |
Als unser Schiff sich in Bewegung setzt, läuft Radiomusik im Hintergrund. | |
„Willkommen zum All-Inclusive-Buffet“ steht am Eingang des Essbereiches, | |
daneben hängen die deutsche und die dänische Flagge. Gerade läuft noch die | |
Fußball-EM. Wir reden darüber, eines Tages den Ozean mit einem Schiff zu | |
überqueren, und über Titanic – nicht nur das reale Schiff, sondern auch den | |
Film, den ich kurz zuvor zum ersten Mal gesehen habe. Irgendwo zerbricht | |
ein Teller. Teenager in Hoodies, das Kinn in den Händen vergraben, schauen | |
auf den Hafen, der immer weiter in die Ferne rückt. Die Bewegung des | |
Schiffes ist sanft, fast unbemerkbar. Die Sonne scheint durch die noch | |
beschlagenen Fenster. | |
Der Raum ist wie ein Diner dekoriert und, weil die Fähre „Berlin“ heißt, | |
auch mit Abbildungen vom Alexanderplatz. Es gibt eine Greifmaschine mit | |
Plüschtieren. Einige Leute schlafen auf den Sitzen, andere sitzen in den | |
dunkelsten Ecken und blicken misstrauisch umher. Wieder andere wagen sich | |
hinaus auf das nasse Deck und lehnen sich über die Reling. Sie bekommen den | |
Wind ins Gesicht. Wir trinken Kaffee und Orangensaft und essen Croissants. | |
„Less is more“ steht auf den Pappbechern. | |
## Área de Servicio Oiartzun. Spanien, Provinz Gipuzkoa. 27. Dezember 2024 | |
Um 19.30 Uhr verlässt unser Bus mit Verspätung Paris-Bercy. Unser Ziel ist | |
Bilbao, für einen kurzen Zwischenstopp, bevor es weiter nach Madrid geht. | |
Die Nacht im Bus ist eiskalt und so unbequem, dass uns Flixbusse plötzlich | |
gemütlich vorkommen. Gegen 5 Uhr morgens halten wir auf einem Parkplatz. | |
Wir vermuten, dass die Fahrer*innen bloß wieder die Schicht wechseln, | |
doch dann ertönt eine Durchsage auf Spanisch und Portugiesisch: „Fünfzehn | |
Minuten Pause.“ Draußen ist Nebel, doch auf einem Hügel erkennen wir eine | |
Área de Servicio, eine Raststätte. Die Fahrgäste, die nicht rauchen, | |
strömen dorthin. Auf der anderen Seite des Busses liegt pure Dunkelheit, | |
und ich bilde mir ein, das Meer riechen zu können. | |
In der Área de Servicio ist die Schlange lang – ich bin wohl nicht die | |
Einzige, die einen heißen Kaffee dringend braucht. Die | |
Mitarbeiter*innen rufen ständig zwei Dinge: „Der Nächste, bitte!“ und | |
„Nur to go, wir haben keine Tassen mehr.“ Die Becher, die sie noch haben, | |
sind winzig, eigentlich für Espresso gedacht. Also bestelle ich zweimal | |
Espresso Macchiato und geselle mich an einen Stehtisch zu den | |
Fahrer*innen, die gerade ein Schinkensandwich essen. „Sind wir am Meer?“ | |
frage ich, und beide lachen sich kaputt. „Nein, nein, erst in San Sebastián | |
– noch zwanzig Kilometer“, antwortet er, dann redet er mit seiner Kollegin | |
auf Portugiesisch weiter. | |
## Busbahnhof Lerma. Spanien, Provinz Burgos. 28. Dezember 2024 | |
Am darauffolgenden Nachmittag sind wir auf dem Weg nach Madrid, wo wir mit | |
Freundinnen die Silvesternacht verbringen wollen. „Estación de Autobuses | |
de Lerma“ steht riesig an einer Wand des Busbahnhofes, neben dem Wappen der | |
Stadtverwaltung und dem der Region. Die Sonne scheint auf einen | |
verlassenen Plastikstuhl am Eingang des Bahnhofs und auf die einfachen | |
Häuser am Ortsrand. Der mittelalterliche Altstadtkern ist zehn Minuten | |
entfernt, wird man uns später erzählen. | |
Ein rotes Auto – dieses stammt aus den 70er Jahren – biegt um die Ecke, | |
eine Nonne geht betend vorbei. Draußen ertönt „Feliz Navidad“, drinnen | |
„Mamma Mia“ von Abba. An der Kasse stehen eine Krippe mit goldenen Heiligen | |
Drei Königen und ein Weihnachtsbaum, an dem die Namen der Busunternehmen | |
hängen. Es wird Schmuck verkauft, es gibt Spielautomaten und gefühlt | |
Hunderte Sandwiches, die bereits auf einem Tresen sortiert bereitliegen: | |
„Salami“, „Käse und Schinken“, „Hähnchen“. Bei der Tortilla an de… | |
warnen Schilder: „Por favor no tocar“. Bitte nicht anfassen. | |
Die Fahrer essen in einer Ecke Rindfleischragout mit Kartoffeln. Ich nehme | |
einen Kaffee mit Milch, einen Ananasjoghurt und eine Birne, sie ist in | |
Zellophan eingewickelt. Bald gehen wir zurück zum Gleis 4. „Vamos, que nos | |
vamos!“, ruft unser Fahrer, Beeilung!, und der Bus fährt los. Nach ein paar | |
Minuten sind wir auf der Landstraße. Wieder in Bewegung. | |
3 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Luciana Ferrando | |
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