| # taz.de -- „Chippers“ in Irland: Fish and Chips? Pesce e pattatine fritte! | |
| > Frittierter Fisch mit Pommes, Essig und Salz gilt als Leibspeise in | |
| > Irland. Dabei waren es Italiener, die das Gericht dort verbreitet haben. | |
| Bild: Schön knusprig, heiß und fettig. Fish and Chips verbreiteten sich ab En… | |
| Fast alle Tische sind an diesem Samstagabend in Romano Morellis Restaurant | |
| besetzt. Das italienische Lokal auf der Dubliner Capel Street ist schmal, | |
| aber lang. Kaum etwas erinnert noch daran, dass hier Morellis Familie über | |
| 40 Jahre lang Fisch und Pommes verkauft hat; als der Laden noch ein chipper | |
| war. | |
| So heißen die Imbisse, die die irische Leibspeise Fish and Chips anbieten. | |
| Ein Gericht, das die meisten wohl nicht mit Italien verknüpfen würden, | |
| dabei hat die italienische Einwanderung nach Irland im 19. und 20. | |
| Jahrhundert es maßgeblich geprägt. | |
| Morellis Großvater war einer der letzten Fish-and-Chips-Verkäufer, die mit | |
| der ersten Einwanderungswelle von Italien nach Irland kamen. 1948 habe er | |
| den Laden gekauft, damals ein Schnellimbiss mit Spielautomaten im Keller, | |
| erzählt Romano Morelli. Bis heute sehen die chipper nahezu identisch aus: | |
| Meist handelt es sich um einen kahlen Raum, der durch Vitrinen und | |
| Fritteusen in zwei Hälften geteilt ist. | |
| Auf der einen Seite wartet die Kundschaft auf die fettige Ware, die die | |
| andere Seite hektisch zubereitet. Oftmals wird in diesen Läden Italienisch | |
| gesprochen. Über ihren Eingangstüren hängen die Namensschilder der | |
| Eigentümer: Macari, Borza, Coffola, Fusco, De Vito, Cassoni, Caprani. | |
| Diese Familien oder ihre Vorfahren stammen fast alle aus Casalattico, einer | |
| Gemeinde in der mittelitalienischen Provinz Frosinone. Mehr als 2.400 | |
| Menschen, deren Familien ursprünglich aus dieser Ortschaft kommen, leben in | |
| Irland. Noch heute feiern die rund 800 Einwohner von Casalattico jedes Jahr | |
| diese Bande und veranstalten zum irischen Nationalfeiertag, dem St. | |
| Patrick’s Day, [1][am 17. März ein Fest] mit Musik, Tanz, irischen Fahnen | |
| sowie mit Fisch und Pommes (und natürlich mit Essig und Salz). | |
| Die Verbindung zwischen der Gemeinde und Irland nahm angeblich mit Giuseppe | |
| Cervi 1885 seinen Anfang, der das Schiff, mit dem er eigentlich in die USA | |
| wollte, versehentlich in Irland verließ. Er verdingte sich in Dublin als | |
| Hilfsarbeiter, bis er genug Geld verdient hatte, um sich einen Kohleherd | |
| und einen Handwagen zu kaufen, mit dem er Fisch und Pommes vor den Pubs | |
| verkaufte. Die Geschäftsidee kam aus Nordengland, wo die Mahlzeit vor den | |
| Fabriktoren verkauft wurde. | |
| Dass dieser Teil der Geschichte wirklich so stattgefunden hat, bezweifelt | |
| Breen Reynolds, ehemals Geografie-Dozent am Trinity College Dublin in einem | |
| Interview im irischen Fernsehen. Verbürgt ist aber, dass Cervi bald genug | |
| Geld hatte, um einen Laden zu mieten. Den betrieb er mit seiner Frau Palma, | |
| auf die der Ausdruck „one and one“ zurückgehen soll, der heute noch in | |
| Dublin für Bestellungen verwendet wird. Sie zeigte stets auf die | |
| Speisekarte und fragte: „Uno di questo, uno di quello?“, also „eins von | |
| diesem und eins von jenem?“ Der Kunde musste nur nicken. | |
| Bald sprach sich der Erfolg der Cervis in der Heimat herum, viele folgten | |
| ihnen nach Irland. 1909 gab es in Dublin 20 Fish-and-Chips-Läden, die von | |
| Italienern betrieben wurden. Die Einwanderungswelle endete jedoch vor dem | |
| Ersten Weltkrieg. | |
| ## Boom von Frittenbuden in Irland | |
| „Mein Opa väterlicherseits war die Ausnahme“, sagt Romano Morelli, ein | |
| kleiner, schlanker 73-Jähriger. „Er kam erst 1916 aus Casalattico nach | |
| Dublin, er war 16 Jahre alt und sprach kaum Englisch.“ Bald aber verließ er | |
| Irland schon wieder und ging nach England. „Er hielt die Iren für verrückt, | |
| weil es in der Dubliner Innenstadt dauernd zu Schießereien kam“, erzählt | |
| Morelli. Der Großvater wusste nicht, dass er [2][in den Osteraufstand] | |
| geraten war, der das Ende der englischen Herrschaft in Irland einläutete. | |
| Morelli, der seine Brille über die Mütze geschoben hat, redet mit Dubliner | |
| Akzent, er ist in der Stadt auf die Welt gekommen. Als Teenager sprach er | |
| fließend Italienisch, inzwischen ist es etwas eingerostet. Seine drei | |
| Kinder beherrschen die Sprache besser als er, weil sie öfter die Heimat | |
| ihrer Vorfahren besuchen. Immer noch besitzt die Familie ein Haus in | |
| Casalattico; Morelli war das letzte Mal 2018 zur Hochzeit der Tochter dort. | |
| „Mein Opa kaufte in Kent Anteile an einer Imbissbude“, sagt Morelli. | |
| „Später erhielt er die britische Staatsbürgerschaft.“ Doch dann kam der | |
| Zweite Weltkrieg, die Engländer internierten alle Italiener, auch wenn sie | |
| englische Pässe hatten. Sie kamen in ein Gefangenenlager auf der Isle of | |
| Man. Nach ein paar Wochen verlegte man viele von ihnen auf ein Schiff, das | |
| sie nach Kanada bringen sollte. | |
| „Mein Opa war nicht dabei, er blieb bis Kriegsende in England in | |
| Gefangenschaft, und das war sein Glück“, erzählt Morelli. „Das Schiff wur… | |
| von einem deutschen Torpedo versenkt.“ Nach dem Krieg kam sein Großvater | |
| frei, statt nach England sei er zurück nach Dublin gegangen und habe den | |
| Laden gekauft. | |
| Morellis Großvater mütterlicherseits hatte bis zum Zweiten Weltkrieg in | |
| einem Imbiss in Portrush in Nordirland gearbeitet, dieser Teil der Familie | |
| war schon Anfang des 20. Jahrhunderts aus Casalattico eingewandert. Dann | |
| warnte ihn jemand: Er solle alles zusammenpacken und mit der Familie über | |
| die Grenze in die neutrale Republik Irland flüchten, denn die britische | |
| Armee verhafte auch in Nordirland alle Deutschen und Italiener. „So landete | |
| er in Bray südlich von Dublin und bekam einen Job im chipper seines | |
| Cousins“, sagt Morelli. | |
| Dem Zweiten Weltkrieg folgte eine weitere Migrationswelle. Casalattico lag | |
| auf der quer durch Italien gezogenen Gustav-Linie, auf die sich die | |
| deutsche Wehrmacht zurückgezogen hatte, nachdem die Alliierten im September | |
| 1943 in Süditalien gelandet waren. „Die Bewohner versteckten sich in den | |
| Wäldern“, sagt Breen Reynolds. „Als sie schließlich in ihr Dorf | |
| zurückkehrten, war ihr Vieh tot und der Boden ruiniert.Sie mussten | |
| weggehen, sie hatten gar keine andere Wahl.“ | |
| ## Verbindung zwischen den Auswanderern und Italien blieb | |
| Sie gingen zu ihren Verwandten nach Irland. Die Verbindungen der neuen | |
| Einwanderer in die alte Heimat blieben aber bestehen. Einer der Auswanderer | |
| wurde 1955 sogar zum Bürgermeister von Casalattico gewählt, obwohl er | |
| längst in Irland lebte. | |
| Der Zustrom führte ab den späten 1940er Jahren zu einem Boom von | |
| Frittenbuden in ganz Irland. Die Italiener seien freundlich aufgenommen | |
| worden. „Es war ein Knochenjob mit langen Arbeitszeiten“, sagt Reynolds. | |
| Wie bei einem landwirtschaftlichen Subsistenzbetrieb musste jedes | |
| Familienmitglied mithelfen. Daher blieben die italienischen Familien meist | |
| unter sich. Seit 1987 gibt es den „Club Italiano Irlanda“ im Süden | |
| Dublins, der kulturelle und soziale Aktivitäten für die italienische | |
| Gemeinschaft organisiert. | |
| „Meine Eltern arbeiteten hier, bis sie 1980 in Rente gingen und mir den | |
| Laden überschrieben“, erzählt Morelli. „Ende der achtziger Jahre habe ich | |
| ihn dann zu einem italienischen Restaurant umgebaut.“ Die Entscheidung | |
| damals war ungewöhnlich. Die meisten Iren hatten Ende der Achtziger kein | |
| Geld, um essen zu gehen, und es gab nur wenige italienische Restaurants. | |
| Doch Morelli ist zufrieden: „Das Risiko hat sich gelohnt.“ | |
| 10 May 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.facebook.com/irishfestcasalattico/ | |
| [2] /100-Jahre-Osteraufstand-in-Irland/!5289583 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Sotscheck | |
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