# taz.de -- Britisches Frühstück in London: Der Sound des fettigen Löffels | |
> „Set Breakfast Egg and Bacon!“, tönt es: Das altgediente Regency Cafe in | |
> London ist auch ein Klangereignis. Unsere Autorin hat genau hingehört. | |
Bild: Stimmgewaltig: Claudia Perotti, Betreiberin des Regency Cafe | |
Vieles ergibt einen Rhythmus, wenn es über einen gewissen Zeitraum | |
fortgeführt wird. Hier, im Regency Cafe im Londoner Bezirk Westminster, | |
sind es die Tassen und Teller, die angestoßen werden, das Klirren und | |
Scheppern, das dadurch erzeugt wird. Dazu hört man Gemurmel von Menschen | |
aus verschiedensten Ländern dieser Welt. Wobei ein Großteil der | |
Besucher:innen doch offenbar heimisch ist: die Arbeitskleidung – | |
Bauarbeiter oder Business – weist darauf hin. | |
Kurze Appelle durchbrechen plötzlich den Soundteppich: | |
„Set Beans! Set Beans and Hashbrowns!“ | |
Eine dunkle Stimme ruft Kombinationen der Grundeinheiten britischen | |
Frühstücks durch den Raum. Sie gehört Claudia Perotti, der Betreiberin des | |
Regency Cafe. Perotti ist nicht sehr groß, trägt kurzes Haar und Brille. | |
Sie nimmt am Tresen Bestellungen auf, vor allem aber ruft sie sie mit | |
bemerkenswerter Präsenz aus. [1][Im United Kingdom] nennt man diese Art von | |
Lokal „Greasy Spoon“, fettiger Löffel – ein Ort, an dem kräftiges Essen, | |
meist British Breakfast, ohne jegliche Verkünstelung serviert wird. | |
Während auf der einen Seite Bestellungen aufgenommen werden, gehen zur | |
anderen Seite schon wieder welche heraus. Das alles simultan und über | |
Kreuz. Und doch gibt es diesen Augenblick, in dem die Aufmerksamkeit | |
Claudia Perottis ganz auf einem liegt. Kurz bleibt Zeit, um jene Fragen zu | |
stellen, die Tourist:innen und seltene Gäste eben so stellen. Dann redet | |
die berühmteste Ruferin des Regency Cafe plötzlich in einer ausgewechselten | |
Stimmlage ganz vertraulich, beseitigt Unsicherheiten, und trägt im selben | |
Moment Sorge, dass du den Betrieb nicht zu sehr aufhältst. | |
Nach Aufgabe der Bestellung folgt eine kurze Wartezeit. Man hört wieder | |
hin: | |
„Set Breakfast Baked Beans! Eggs, Bacon and Sausage! Sausage and Hash | |
Browns!“ | |
Monty Python haben der Kombinatorik des britischen Frühstücks einst mit | |
[2][dem berühmten „Spam“-Sketch] ein Denkmal gesetzt; auch hier wird | |
ähnlich laut gerufen und deftig gegessen, doch haben Lokal und | |
Mitarbeiter:innen in der Regency Street ansonsten keinerlei | |
Ähnlichkeit mit dem grobschlächtigen Personal der Komikergruppe seinerzeit. | |
„Set Breakfast Egg and Bacon! Cornbeef Egg and Chips! Set Breakfast!“ | |
Bei der richtigen Kombination aufspringen, abholen und wieder hinsetzen. | |
Ist man gerade an der Reihe, werden auch schon die nächsten Bestellungen | |
aufgerufen. | |
Eröffnet hat das Regency Cafe im Jahr 1946. Viel hat sich seitdem nicht | |
verändert, auch wenn man inzwischen sogar eine Webseite unterhält. Drinnen | |
findet man dieselben Fliesen, die vermutlich schon vor knapp acht | |
Jahrzehnten die kompletten Wände kachelten. Ebenso dieselben Mini-Tischchen | |
mit blassgrünem Flechtmuster auf der weißen Resopalplatte, im Boden fest | |
installiert und mit ebenso fest verankerten Stuhlreihen. Auf den Tischchen | |
eine genau festgelegte Auswahl Fläschchen und Streuer: Zucker, Salz, | |
Pfeffer, Ketchup, Senf, Essig. | |
Restlos aus der Zeit gefallen, zumal in dieser Stadt, erscheinen auch die | |
Preise für ein ordentliches Essen, das heute wie damals im Akkord über die | |
Theke geht. Schlicht bis opulent, je nach Appetit und wohl auch Maß der | |
körperlichen Arbeit. Das Menü angeschlagen mit Acrylbuchstaben an der | |
Stecktafel: Ei und Speck: 3,45 Pfund, Ei, Speck und Würstchen, die typisch | |
britischen „Bangers“, für 4,50 Pfund. Baked Beans auf zwei Toasts – 3,60 | |
Pfund. Dazu gebratene Tomaten, Pilze, Corned Beef, Hash Browns. Oder Bubble | |
and Squeak, traditionell ein Resteessen mit allem, was die Küche hergibt. | |
Ein komplettes Frühstück, dazu eine Tasse englischen Tee mit viel Milch, | |
kostet knapp 7 Pfund, ein Mittagsgericht oft noch weniger. | |
Die schiere Menge der Speisen, die täglich über die Theke gehen, ist sicher | |
hilfreich für die Preisstabilität. Nicht nur Claudia Perotti, auch die | |
Köch:innen und Küchenhilfen arbeiten im eingespielten Schnelldurchlauf. | |
An den Zutaten wird offenbar aber auch in Inflations- und Postcovidzeiten | |
nicht gespart. | |
„Set Breakfast Sausage Hash Browns! (leiser, jetzt beinahe zart:) Yes, | |
madam?“ | |
Man könnte sich eine fortlaufende Tonspur vorstellen, eine mehrere | |
Jahrzehnte umspannende Oral History, in der zum beruhigend geschäftigen | |
Sound von Tellern und Tassen an den kleinen Tischchen auf wechselnde | |
Regierungen geflucht, Tagespolitik und Alltag besprochen wird. | |
Allerdings hätte dieser Soundtrack regelmäßige Unterbrechungen; das | |
[3][Prinzip des 24-Stunden-Lokals] gibt es in Großbritannien kaum. | |
Pünktlich am frühen Nachmittag werden die Türen des Regency Cafe wieder | |
geschlossen. Anders als ein paar Stunden wäre dieser Job schon stimmlich | |
wohl kaum zu machen. | |
„Set Breakfast Sausage Hash Browns! Bubble Two Times.“ | |
Das Regency treibt seinen Rhythmus vor sich her. Einmal drin, muss man kurz | |
darauf schon wieder aussteigen: Andere wollen auch noch was essen. Hinaus | |
geht es, kluge Wegführung, über einen seitlichen Ausgang. Wieder draußen | |
auf der Straße ist es dann plötzlich sehr, sehr leise. | |
24 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Essen-nach-dem-Brexit/!5659050 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=anwy2MPT5RE | |
[3] /Saufen-in-der-Stadt/!5853929 | |
## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
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