# taz.de -- Die Wahrheit: Kunden auf den Knien | |
> Die letzte Stufe des amerikanisch-europäischen Handelskriegs? | |
> Personalisierte Zölle für Verbraucher bis an die Supermarktkasse. | |
Also, ich denke, Präsident Trump macht einen wunderbaren Job“, behauptet | |
Anke Fechner an Kasse drei eines Discounters in einem Dorstener | |
Gewerbegebiet. Überzeugt klingt die Grundschullehrerin nicht. Deswegen wird | |
der Kundin auch nur ein sehr geringer Nachlass auf ihren Einkauf gewährt. | |
Seit Wochenanfang muss die Alleinerziehende einen US-Strafzoll von 139 | |
Prozent auf alle Lebensmittel und Güter zahlen, die sie in ihrem deutschen | |
Supermarkt kauft. | |
Zwar hat Trump derzeit die kürzlich verhängten Strafzölle für die meisten | |
Staaten vorübergehend ausgesetzt, doch das lässt nur die Börse jubeln. Denn | |
jetzt kassiert der US-Präsident direkt bei den ausländischen Verbrauchern | |
ab. Genau wie die Mexikaner für den Grenzwall, sollen EU-Kunden für die | |
Kosten der US-Politik aufkommen. | |
„Tut mir leid, da können wir leider gar nichts machen“, erklärt Marktleit… | |
Ferhat Ekrem und bietet seiner Stammkundin eine Handvoll Treuepunkte als | |
Entschädigung an, die allerdings auch nur zum Bezug einer MAGA-Kappe oder | |
bei Zuzahlung von 99.999,99 Euro zum Kauf eines Tesla berechtigen. | |
## Gefolgschaft bis zum Mars | |
Wie sich herausgestellt hat, bezieht die deutsche Supermarktkette sowohl | |
ihre Einkaufs- als auch die Kundensoftware von einem der Tech-Oligarchen | |
aus den USA, die dem Präsidenten Gefolgschaft bis zum Mars oder in den | |
Konkurs geschworen haben. In einem unbeachtet gebliebenen Teil des | |
Kleingedruckten im Vertragswerk hat sich der amerikanische IT-Anbieter | |
weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt. | |
Nun bekommen die deutschen Endverbraucher zu spüren, dass „Dynamic Pricing“ | |
nicht nur bedeuten kann, dass Preise dem aktuellen Marktgeschehen, sondern | |
auch politischer Willfährigkeit angepasst werden. Denn besteuert oder | |
rabattiert wird in Dorsten die Zustimmung zur Politik des US-Autokraten, | |
die Software wertet dazu sämtliche Beiträge und Kommentare in den sozialen | |
Netzwerken aus. | |
„Ich habe ein paar lustige Donald-Trump-Memes gelikt“, beschwert sich | |
Fechner. „In einer privaten Chatgruppe habe ich Elon Musk mal als Arschloch | |
bezeichnet, und jetzt können ich und meine Kinder uns bloß noch Kartoffeln | |
und Kernseife leisten.“ | |
„Das alles kommt natürlich auch für uns etwas überraschend“, versucht si… | |
Marktleiter Ekrem in Schadensbegrenzung. „Unsere Kundinnen und Kunden | |
können auch weiterhin frei ihre Meinung sagen. In unseren Supermärkten wird | |
dafür bloß ein Aufpreis berechnet, auf den wir leider keinen Einfluss | |
haben. Allerdings bieten wir für jeden Geldbeutel erschwingliche | |
Finanzierungsmodelle wie Ratenzahlungen und Schuldknechtschaft an.“ | |
Ungläubig schaut Anke Fechner auf die Kassenanzeige. Über 700 Euro soll sie | |
heute bezahlen. Lediglich ein zuckerhaltiger Softdrink ist billiger | |
geworden. Weil Fechner einen trumpkritischen Post aus dem Jahr 2017 auf | |
ihrem Social-Media-Profil gelöscht hat, verbilligt sich die Flasche Cola | |
für sie um einen Cent. „Vielleicht könnten Sie auf die Knie fallen?“, | |
schlägt die Kassiererin vor und weist auf die Kamera über dem Kassenband. | |
„Das wird von der KI immer sehr gern gesehen.“ | |
Seit Donald Trump die Einfuhren aller Handelspartner der USA – mit der | |
Ausnahme von Russland, Belarus, Kuba und Nordkorea – mit horrenden Gebühren | |
belegt hat, rätselt die Weltwirtschaft, welchem Zweck die weithin als | |
destruktiv angesehenen Maßnahmen dienen und welcher Logik Zölle folgen, die | |
den Vereinigten Staaten schaden und wirtschaftlich schwächere Länder wie | |
Lesotho oder Vietnam ruinieren könnten. | |
Trumps Pressesprecherin Karoline Leavitt schwor auf ihre goldene | |
Trump-Bibel für 99,99 Dollar, dass eine „Zollfee“ dem Präsidenten die Lis… | |
der zu bestrafenden Länder „unter das Kopfkissen“ gelegt habe, andere | |
vermuten den russischen Geheimdienst oder einen Hirnschlag als Urheber. | |
Genauso gut könnte das Dokument aber aus Daffke, purer Gemeinheit oder | |
Rachsucht entstanden sein. | |
## Finanzen aus dem Kaffeesatz | |
„In der dümmsten aller Welten sollten wir uns nicht mit rationalen | |
Erklärungsversuchen aufhalten“, meint die Wirtschaftswissenschaftlerin | |
Karen van Haren, die für einen Thinktank bis zuletzt nach rationalen | |
Erklärungsversuchen für Trumps Regierungshandeln gesucht hatte. Van Haren | |
will Börsenentwicklungen und Finanzprognosen künftig aber lieber aus | |
Fischinnereien lesen. | |
Andere Fachleute haben inzwischen nachgewiesen, dass für die Berechnung der | |
mittlerweile veröffentlichten Zollformel des Weißen Hauses etwas schwarze | |
Magie, viel Kaffeesatzleserei und enorme Selbstüberschätzung, aber kaum | |
gewöhnliche Mathematik verwendet wurde. | |
Während Peking robust zurückschlägt, reagierte Europa auf Amerikas | |
ökonomische Kriegserklärung zunächst mit einem Gesprächsangebot, das Trump | |
begeistert pöbelnd ablehnte. Bis April soll nun eine Liste mit | |
EU-Gegenmaßnahmen von A wie Arschkriechen bis Z wie Zetern erarbeitet | |
werden; vorerst wird die Einfuhr von ein paar vermufften US-Klassikern wie | |
Harley-Davidson, Bourbon und Bluesrock kosmetisch verteuert. | |
Sollte der alte Kontinent aber auch in seinen Paradedisziplinen Kuschen und | |
Totstellen nicht reüssieren, bliebe der EU nur ihr neu geschaffenes | |
„Anti-Coercion Instrument“ (ACI), das als wirtschaftliche „Atombombe“ d… | |
EU bezeichnet wird. Ursprünglich wurde das Protokoll zur Abwehr von Chinas | |
Handelsrüpeleien gegen Litauen entwickelt. Bei diesem Maßnahmenbündel | |
können nicht nur Zölle auf Produkte erhoben, sondern auch digitale | |
Dienstleistungen besteuert oder eingeschränkt werden, letztlich kann der | |
gesamte Handel mit einem als bedrohlich eingestuften Drittstaat eingestellt | |
werden. | |
## Was? Kein Netflix und Amazon mehr? | |
Kundin Anke Fechner müsste dann keine Manipulationen einer US-Software im | |
heimischen Dorstener Discounter mehr fürchten, allerdings würde eine | |
Abkopplung von der digitalen Supermacht dramatische Folgen für Europa | |
haben: Auch der Zugang zu Streaming-Diensten wie Netflix und Amazon wäre | |
gefährdet. | |
Angeblich soll Europa in diesem Fall mit einem TV-Notprogramm aus | |
öffentlich-rechtlichen Mediatheken versorgt werden, zu dem Deutschland | |
seine beliebtesten Comedysendungen, Frankreich alle Präsidentenansprachen | |
in voller Länge und Polen die schönsten Kochsendungen aus dem Kommunismus | |
beisteuern will. | |
„Was? Kein Netflix mehr?“, horcht die frisch gegeißelte Anke Fechner an | |
Kasse drei auf. Nach einer schmerzhaften Bußübung unter dem strengen | |
Kameraauge konnte sie immerhin einen Ablass von sieben Prozent | |
herausschlagen, doch nun zögert sie. | |
„Ich denke, Präsident Trump macht wirklich einen ganz wunderbaren Job“, | |
sagt sie dann und zahlt den vollen Strafzoll, ohne auch nur einmal mit der | |
Wimper zu zucken. | |
12 Apr 2025 | |
## AUTOREN | |
Christian Bartel | |
## TAGS | |
Die Wahrheit | |
Schwerpunkt USA unter Trump | |
Strafzölle | |
Zölle | |
Verbraucher | |
Supermarkt | |
Kunden | |
Einkaufen | |
Die Wahrheit | |
Die Wahrheit | |
Donald Trump | |
Soziale Medien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Brückentag an der A4 | |
Jetzt werden republikweit schon Schulklassen herangezogen, um marode | |
deutsche Bauwerke zu stabilisieren. | |
Die Wahrheit: So kann man doch keinen Krieg führen | |
Der einstige Erholungskontinent Europa im Wahrheit-Check. Wie umgehen mit | |
dem Ende der humorlos regelbasierten Weltordnung? | |
Die Wahrheit: Prostata statt Politik | |
Die Welt ächzt unter dem Joch enthemmter Giftgreise wie Trump und Putin. Es | |
wird höchste Zeit für ein bisschen gezielte Altersdiskriminierung. | |
Die Wahrheit: Welt im Aufruhr ohne Filter | |
Immer mehr Nutzer ziehen sich aus sozialen Medien zurück. Aber was bloß | |
sollen sie mit ihrer Zeit anfangen? Schweinebraten mit brauner Soße kochen? |