# taz.de -- Die Autorin Annett Gröschner im Gespräch: „Romane schreibe ich … | |
> Annett Gröschner hat vor vielen Jahren festgelegt, was für Geschichten | |
> sie erzählen möchte. Ihr neues Buch handelt vom Leben einer | |
> Blumenbinderin. | |
Bild: „Jetzt müssen wir aufpassen, dass Errungenschaften nicht zurückgedreh… | |
Der Blick aus dem Fenster auf die Spree ist an diesem sonnigen | |
Februarmorgen klar, die Bäume tragen noch keine Blätter. Annett Gröschner | |
teilt sich hier in Berlin-Schöneweide mit einer Kollegin ein Arbeitszimmer | |
zum Schreiben. Wir kennen uns schon länger, als ostsozialisierte | |
Publizistinnen läuft man sich über den Weg in dieser Stadt. Duzen oder | |
siezen wir uns? Seit Kurzem sei sie taz-Genossin, also duzen, meint Annett. | |
Passt. | |
taz: Annett, hattest du schon einmal einen Unfall beim Lesen? | |
Annett Gröschner: Weil ich beim Laufen lese? Beinahe hätte ich das eben | |
geschafft, weil es so glatt draußen ist. Allerdings habe ich nur auf dem | |
Handy gelesen, sonst gerne in einem Buch. Das habe ich schon als Kind | |
gemacht, meine Eltern hat das konsterniert. | |
taz: Weißt du noch, mit welchem Buch das anfing? | |
Gröschner: Das kann ich nicht sagen, ich habe einfach sehr viel gelesen. | |
Aber ich habe ein Lieblingsbuch aus meiner Kindheit: „Paul allein auf der | |
Welt“. Es ist aus den Fünfzigern, sowohl Thomas Brasch als auch Heiner | |
Müller haben das Buch geliebt, Inge Müller wollte sogar ein Stück fürs | |
Deutsche Theater draus machen. Es ist ein Buch über Einsamkeit. Ein Kind | |
wacht früh morgens auf und niemand ist mehr da, die Eltern nicht, draußen | |
ist auch niemand. Es probiert alles aus, fährt Straßenbahn, aber alles ist | |
schrecklich, weil keiner da ist. Irgendwann wird es wach und alles war nur | |
ein Traum. | |
taz: Hat dich das so gefesselt, weil du dich selbst als Kind einsam gefühlt | |
hast? | |
Gröschner: Ja, ich habe mich oft einsam gefühlt, obwohl immer sehr viele | |
Leute um mich herum waren. Für mich ist Einsamkeit aber bis heute ein | |
angenehmes Gefühl. | |
taz: Ich habe gelesen, dass deine Wohnung mit Büchern vollgestellt ist. | |
Treffen wir uns deshalb in deinem Arbeitsraum? | |
Gröschner: Ja, ich musste vor zehn Jahren umziehen, aus einer sehr schönen, | |
großen Wohnung mit Arbeitsraum in eine kleinere. Ich wollte nicht, dass die | |
Bücher darunter leiden und habe alle mitgenommen. Das war ein bisschen | |
fatal. | |
taz: Weißt du aber, wo welche Bücher liegen? | |
Gröschner: Immer! Ich habe ein fotografisches Gedächtnis. Deswegen kann ich | |
ganz schlecht E-Books lesen, weil man keine linke und keine rechte Seite | |
hat, und ich weiß immer, ob was links oben steht oder rechts unten. | |
taz: Findest du in deinen vielen Büchern Geschichten, die dir helfen, die | |
aktuelle Gegenwart zu verstehen? | |
Gröschner: Ja, neben Belletristik habe ich viele Sachbücher, die man zum | |
Teil nirgendwo mehr kriegt. Darin findet sich alles, trotzdem überwältigt | |
die Gegenwart einen dann immer wieder. Gerade im Moment denke ich: Ja, | |
genau so muss sich Faschismus anfühlen! In den USA kommen die Leute von | |
einem Moment auf den anderen nicht mehr in ihre Büros rein. Noch können sie | |
klagen, aber wer weiß, wann die Klage durchkommt. | |
taz: Wo findest du so etwas in den Büchern? | |
Gröschner: Da denke ich an Margaret Atwood, „Der Report der Magd“. Da | |
funktioniert die Kreditkarte plötzlich nicht mehr, heute eben die Bürotür. | |
Dystopien, von denen ich jahrzehntelang gelesen habe, passieren in einer | |
ungeheuren Schnelligkeit. Dabei wurde alles ja vorbereitet, wir hätten es | |
wissen müssen. | |
taz: Was kann Literatur in diesen Zeiten? | |
Gröschner: Sie kann aufklären, aber auch im besten Sinne ablenken, einen | |
eintauchen lassen in andere Welten, um so für einen Moment der Gegenwart zu | |
entkommen. Direkte Handlungsanweisungen für sich selbst findet man eher | |
nicht. Wir sollten Literatur nicht überfrachten. Ich plädiere immer auch | |
für die Künste, die einfach nur Kunst sind und keine politische Botschaft | |
transportieren. Wenn „L’art pour l’art“ nicht mehr erlaubt ist, dann ist | |
das diktatorisch. | |
taz: Du warst als junge Frau politisch aktiv und hast in der DDR die | |
feministische Gruppe „Lila Offensive“ mitgegründet, die dem Runden Tisch | |
zugearbeitet hat, und dich dann gegen die Politik entschieden. Warum? | |
Gröschner: Ich wollte immer Schriftstellerin sein. Und dann kam der Umbruch | |
1989. Es war plötzlich spannender, journalistisch zu arbeiten, aktivistisch | |
zu sein. Nachdem ich eine Rede für den Unabhängigen Frauenverband auf der | |
Demonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November 1990 gehalten hatte, | |
also ein Jahr nach der großen Demo, schrieb mir mein damaliger Mentor, dass | |
ich mich entscheiden müsse zwischen der Politik und der Kunst, es gehe | |
nicht beides. Ich würde mich verzetteln. Das war der Anstoß für mich, | |
darüber nachzudenken, was ich aus meinem Leben unter diesen neuen | |
Verhältnissen eigentlich machen will. Ich war 25, alleinerziehend und hatte | |
ein kleines Kind. Wir haben dann erst mal eine Frauen-WG gegründet. | |
taz: Wann hast du dein Kind bekommen? | |
Gröschner: Im Januar 89. Ich habe auf den Demos noch gestillt. Bei der Lila | |
Offensive waren wir mehrere mit kleinen Kindern. Die Kinder wollten dann | |
jahrelang auf keine Demos mehr gehen. Ich weiß noch, wie erstaunt ich war, | |
als mein Sohn das erste Mal freiwillig allein auf eine Demo gegangen ist, | |
gegen die Politik von George Bush. Neulich waren wir alle zusammen – meine | |
Schwiegertochter, mein Sohn und meine Enkelkinder – auf einer Demo für die | |
Brandmauer. | |
taz: Dein neues Buch „Schwebende Lasten“ spielt in Magdeburg und erzählt | |
die Geschichte der Blumenbinderin und Kranfahrerin Hanna, ein | |
Arbeiterinnenleben in Deutschland von 1913 bis 1973. Ist das die Geschichte | |
deiner Großmutter? | |
Gröschner: Nein, meine Großmutter war zwar Blumenbinderin, aber keine | |
Kranfahrerin. Hanna setzt sich aus sehr vielen Personen zusammen und aus | |
dem, was ich recherchiert habe. Aber dieses Werk, in dem Hanna arbeitet, | |
das Thälmannwerk, ist eng mit meiner Familie verbunden. Wie mit fast allen | |
Familien in Magdeburg. Das Werk hatte Zehntausende Beschäftigte. | |
taz: Hanna kämpft permanent und sichert die Familie ab. Sie wirkt nur ganz | |
bei sich, wenn sie mit Pflanzen ist. Welche Bedeutung haben Blumen für | |
Hanna? | |
Gröschner: Blumen sind ihre Gesprächspartnerinnen. Meine Großmutter hat | |
immer mit ihren Blumen geredet und die sind dann auch wirklich besser | |
gewachsen. Sie hat einmal all uns Enkelkindern kleine Dattelpflanzen | |
geschenkt, die sie aus den Kernen gezogen hatte. Niemand von uns hat die so | |
groß gekriegt wie sie. Wir konnten es nicht. Sie dagegen lief immer | |
wispernd durch die Wohnung. Jetzt im Alter fange ich auch an, mit den | |
Pflanzen zu reden. | |
taz: Im Buch kommt in den 30ern ein Mann in Hannas Blumenladen, mit einer | |
Postkarte des Bildes „Blumenvase in einer Fensternische“ von Ambrosius | |
Bosschaert. Er fragt sie, ob sie den Strauß nachstellen kann. Kann sie aber | |
nicht, weil die Blumen nie gleichzeitig blühen. Dank Globalisierung und | |
Züchtung schafft sie es später dann doch … | |
Gröschner: Bis auf die Schachbrettblume, die ist zu selten. | |
taz: Nur genießen kann Hanna den Strauß dann nicht, obwohl sie ihn | |
mittlerweile für sich selbst und nicht den Mann gebunden hat. | |
Gröschner: Ich glaube, das kennen viele. Man hat Sehnsüchte, die sofort | |
weniger interessant werden, sobald sie erfüllt werden. Die Befriedigung ist | |
größer, wenn man etwas selbst erschafft, als in den Laden zu gehen und | |
alles fertig zu kaufen. Diese schnelle Befriedigung von Bedürfnissen | |
schafft dann auch sofort wieder neue Bedürfnisse. Hanna wird von ihren | |
Töchtern nach Den Haag eingeladen, um im Mauritshuis das Original zu sehen. | |
Ich war 2015 dort und das Interessante war, dass auch wirklich zwei alte | |
Frauen da waren, die jeweils ein anderes Bild hatten, was sie toll fanden, | |
eine ist wirklich vor Freude gehüpft, als sie es gefunden hatte. Ich wollte | |
Hanna als Arbeiterin mit einer Welt in Verbindung bringen, die für sie | |
nicht vorgesehen ist: die Kunst. | |
taz: Hanna ist Arbeiterin, liest auf dem Kran Bücher, aber spricht eine | |
einfache Sprache. Auch der Roman über ihr Leben kommt ohne Schnörkel, ohne | |
Metaebene aus. | |
Gröschner: Mir war es wichtig, dass eine Hanna von heute das Buch auch | |
lesen könnte. | |
taz: Im Buch erlebt die Leserin mehrere Bombenangriffe auf Magdeburg mit | |
Hanna. Wie beschreibt man so etwas eigentlich Unbeschreibliches? | |
Gröschner: Ich habe sehr lange dafür gebraucht. Ich habe 1996 ein Buch | |
rausgebracht mit Schulaufsätzen von Kindern im Prenzlauer Berg, die 1946 | |
darüber schrieben, wie sie den Krieg erlebt haben. Die Kinder vergleichen | |
das Geräusch, wenn eine Bombe fällt, mit Dingen, die sie kennen, der Natur | |
oder einem Spielzeug. Sie benutzen Worte aus ihrer vertrauten Welt, um das | |
Unbeschreibliche zu beschreiben. Das hat mich beeindruckt. Wir alle wissen, | |
dass diese Bombenangriffe ein Ergebnis des Krieges waren und wir wissen, | |
wer angefangen hat. Aber Kinder sind unschuldig. | |
taz: Welche Rolle spielte der Angriff in deiner Familie? | |
Gröschner: Meine Mutter war im Krieg verschüttet. Das war ein Trauma, das | |
weitgehend unaufgearbeitet war und auf mich und meine Schwester übertragen | |
wurde. Ich habe seit der Kindheit Schwierigkeiten, in Keller zu gehen. | |
taz: Ist Krieg deswegen auch ein Thema, das bei dir immer wieder eine Rolle | |
spielt? | |
Gröschner: Ich bin in Magdeburg aufgewachsen, einer Stadt voller | |
Rasenflächen, manchmal mit Primeln oder Tulpen im Frühling bepflanzt. | |
Irgendwann wusste ich, dass die Keller da alle noch drunter waren, das | |
Grauen war noch da und nichts davon aufgearbeitet. Die wurden einfach | |
zugeschüttet und Rasen draufgepflanzt. Das hat mich beschäftigt. Ich habe | |
meine Diplomarbeit über die Dichterin Inge Müller geschrieben, die kurz vor | |
Kriegsende drei Tage lang verschüttet war. Ich kann nicht sagen, warum ich | |
mich nicht mit Schönerem beschäftige. Ich muss es eben. | |
taz: Schreibst du eigentlich gerne? | |
Gröschner: Nicht immer. Vor allem Romane schreibe ich ehrlich gesagt nicht | |
gerne. Deshalb sind es vermutlich auch erst drei. Ich kann nicht ein halbes | |
Jahr am Schreibtisch sitzen. Ich arbeite lieber kollektiv mit Leuten aus | |
anderen künstlerischen Bereichen oder aus der Wissenschaft, das finde ich | |
großartig. Geschichten erzählen finde ich auch gut, aber eben nicht jeden | |
Tag. | |
taz: Dann war es ein großer innerer Druck, der dazu führte, die Geschichte | |
von Hanna und Magdeburg aufzuschreiben? | |
Gröschner: Na ja, ich habe vor vielen Jahren schon festgelegt, worüber ich | |
Romane schreiben werde, den Titel zum Beispiel gab es schon lange. | |
taz: Wirklich? Was für ein Plan! Wie viele? | |
Gröschner: Die Anzahl hat sich verändert, aber es gibt einen Kosmos, den | |
ich beschreiben will. Dass es so lange dauert, wusste ich nicht. Mein | |
erster Roman war „Moskauer Eis“. Das war 2000. Die Mutter darin ist ja die | |
Tochter von Hanna Krause in „Schwebende Lasten“. | |
taz: Gemeinsam mit Peggy Mädler und Wenke Seemann hast du das Sachbuch | |
„Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat“ | |
geschrieben, da geht es um DDR-Vergangenheit, Ostdeutschland, Frausein. Es | |
ist 2024 erschienen, gemeinsam seid ihr durch die Republik gereist… | |
Gröschner: Noch immer! Es hört nicht auf und es ist immer voll. | |
taz: Welchen Eindruck hast du bekommen von dem Land, 35 Jahre nach der | |
Wiedervereinigung? | |
Gröschner: Besonders berührt hat mich, dass viele in der Generation meiner | |
beiden Mitstreiterinnen – also so 12, 13 Jahre jünger als ich – gesagt | |
haben, dass sie durch das Buch ihre Biografie wieder zurückbekommen hätten. | |
Eine meinte, sie habe gar nicht gewusst, wer sie sei, da alles aus ihrer | |
Kindheit und Jugend so abgewertet wurde und sie gar kein Gefühl für ihr | |
Leben und ihre Herkunft hatte. | |
taz: Du hast mal gesagt, dass nach der Friedlichen Revolution von den | |
Westdeutschen niemand eure Geschichten hören wollte. Hat sich das geändert? | |
Gröschner: Alles hat sich geändert. Es haben sich Sachen durchgesetzt, von | |
denen wir erst dachten, wir hätten sie verloren. Dass es im Westen mal ganz | |
selbstverständlich ein Kita-Gesetz gibt, war Anfang der 90er Jahre nicht | |
abzusehen. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass viele von den jungen | |
Frauen aus der DDR weggegangen sind in den Westen, weil sie sonst keine | |
Arbeit gekriegt hätten. Sie haben solche Selbstverständlichkeiten | |
mitgebracht und die auch eingefordert. Dadurch hat sich der Westen | |
verändert, auch wenn man im Moment so tut, als wäre er immer gleich | |
geblieben. Jetzt müssen wir aufpassen, dass bestimmte Errungenschaften | |
nicht zurückgedreht werden. Mich alarmiert, wenn Friedrich Merz sagt, es | |
gebe nur zwei Geschlechter. | |
taz: Bestimmte Intellektuelle werden oft befragt, den Osten zu erklären. | |
Bist du da nicht dabei, weil du nicht willst oder weil dich niemand fragt? | |
Gröschner: Für eine wirklich differenzierte Antwort ist es besser, ein Buch | |
zu schreiben als in einer Talkshow zu sitzen. Aber es ist auch immer noch | |
so, dass Frauen seltener gefragt werden. | |
taz: Was denkst du, warum liegt die AfD in Ostdeutschland mit jeder Wahl | |
immer noch weiter vorne? | |
Gröschner: Ich beobachte, vor allem in meiner Generation, eine enorme | |
Engstirnigkeit, ein Nicht-gelten-lassen von anderen Lebensweisen und | |
anderen Herkünften. Das erinnert mich an die drögen achtziger Jahre, die | |
mich verzweifeln lassen haben. Deshalb bin ich auch aus Magdeburg weg. Ich | |
habe eine wahnsinnige Hochachtung vor Leuten, die in der ostdeutschen | |
Provinz Kultur machen oder ein queeres Jugendzentrum haben. Wir müssen sie | |
unterstützen mit allem, was geht. In öffentlichen Verkehrsmitteln sieht | |
man, was für eine große, bunte Mischung mittlerweile im Osten lebt. Aber | |
man spürt auch die Angst, vor allem bei migrantischen Frauen mit Kindern, | |
in der Öffentlichkeit. | |
taz: Kannst du dich noch an deine erste Geschichte erinnern, die du | |
geschrieben hast? | |
Gröschner: Ich habe eigentlich immer Geschichten geschrieben, auch als Kind | |
schon. Später dann vor allem Gedichte. Ab Herbst 1989 fand ich es | |
spannender, als Journalistin zu arbeiten, habe die Frauenzeitschrift | |
Ypsilon mitgegründet und bei allen möglichen neu gegründeten Zeitungen und | |
Zeitschriften mitgemacht. Journalismus war immer ein Teil meiner Arbeit. | |
taz: Gedichte, die du teils schon vergessen hattest, tauchten später in | |
deinen Stasiakten wieder auf. Hast du sie, als du sie damals geschrieben | |
hast, als politisch relevant wahrgenommen? | |
Gröschner: Das weiß ich gar nicht mehr, vielleicht. Wir durften ja keine | |
Schülerzeitung machen, also hatten wir eine Wandzeitung auf dem Schulflur, | |
an der wir Gedichte veröffentlichten. Da gab’s in regelmäßigen Abständen | |
Ärger. | |
taz: Warum? | |
Gröschner: Einmal wurde ein Gedicht von der Schulleitung entfernt, in dem | |
ich mich über Devisenhotels aufgeregt hatte, in denen man nur mit Westgeld | |
zahlen konnte. Oder auch öfters Gedichte, die nicht den strahlenden | |
Sozialismus beschrieben, sondern die Langeweile und Leere. Im Prinzip war | |
das alles schrecklich harmlos, aber es wurde wichtig genommen, und man hat | |
später versucht, mich damit zu erpressen und für die Stasi anzuwerben. Das | |
war dann auch ein Grund, schleunigst die Stadt zu verlassen. Ich hab die | |
Gedichte später, als ich in Berlin einen Kachelofen hatte, verbrannt, weil | |
ich sie so schlecht fand. Und dann kamen sie über die Stasiakten alle | |
wieder zu mir zurück. Das war wie Verrat. Ich wollte dann auch nicht, dass | |
sie nur in der Akte bleiben, also habe ich sie kopieren lassen und jetzt | |
sind sie alle wieder da. | |
taz: Das Vergangene ist nicht vergangen. | |
Gröschner: Nein, so ganz vergeht es nicht. Aber meine Lieblingsgeschichte | |
ist immer noch die von meiner Schweizer Freundin, der sie das Adressbuch an | |
der Grenze weggenommen hatten und die dann nicht mehr einreisen durfte in | |
die DDR. Sie hat es später in ihrer Stasiakte wiedergefunden und wollte es | |
zurückhaben. Und dann haben die gesagt: Nein, das ist jetzt Teil der Akte, | |
das kriegt sie nicht wieder, aber sie können ihr Kopien machen. Und dann | |
haben sie ihr Kopien gemacht und alles war aus Datenschutzgründen | |
geschwärzt. | |
22 Mar 2025 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gottschalk | |
## TAGS | |
wochentaz | |
Literatur | |
Magdeburg | |
Schwerpunkt Ostdeutschland | |
Schwerpunkt AfD | |
Blumen | |
Biografie | |
GNS | |
Schwerpunkt Utopie nach Corona | |
Anschlag in Magdeburg | |
Wahlen in Ostdeutschland 2024 | |
Kolumne Berliner Bücher | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Buch über Kindheit in der DDR: Erinnerung, gespiegelt im Normmaß | |
Wenke Seemann geht in ihrem Buch „Utopie auf Platte“ zurück in die | |
Großsiedlung ihrer Rostocker Kindheit. Sie sucht mit der Postmoderne die | |
DDR-Moderne. | |
Magdeburg nach dem Anschlag: Die Trauernde Magdeburg | |
Unsere Autorin besucht jedes Jahr am Tag vor Heiligabend den Magdeburger | |
Weihnachtsmarkt. Ihre Schwester entging der Katastrophe nur durch Zufall. | |
Was Ostdeutschland anders macht: Ein Jahr Osten | |
Im Fokus der taz-Berichterstattung standen in den letzten zwölf Monaten die | |
Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Ein persönlicher Rückblick. | |
Neuer Band von Annett Gröschner: Geschichtshaufen Berlin | |
Annett Gröschner legt mit „Berliner Bürger*stuben. Palimpseste und | |
Geschichten“ eine Sammlung von Porträts, Reportagen und politischen Essays | |
vor. |