# taz.de -- Präventionsprogramm für Benachteiligte: Hebammen helfen gegen Dep… | |
> Bremer Wissenschaftler:innen evaluierten ein Hausbesuchsprogramm für | |
> benachteiligte Familien. Fünf Jahre später fanden sie noch positive | |
> Effekte. | |
Bild: Hebammen und Sozialarbeiter:innen kommen zu den jungen Müttern nach Haus… | |
Bremen taz | Der frühen Förderung von [1][Kindern in herausfordernden | |
Lebenslagen] hat sich die 2006 in Bremen gegründete Stiftung Pro Kind | |
verschrieben. Jetzt zeigt eine [2][wissenschaftliche Publikation] in der | |
US-amerikanischen Fachzeitschrift für Kinderheilkunde, JAMA Pediatrics, | |
dass dieses präventive Hausbesuchsprogamm in der Schwangerschaft und den | |
ersten zwei Jahren nach der Geburt langfristig positive Auswirkungen auf | |
sozial benachteiligte Familien hat. | |
So zeigten laut der Studie Kinder im Vergleich mit einer Kontrollgruppe | |
ohne Hausbesuche im Alter von sieben Jahren weniger internalisierende | |
Verhaltensprobleme wie Depressionen oder Angststörungen – und zwar | |
unabhängig davon, ob sie ausschließlich von einer Hebamme besucht wurden | |
oder ab dem zweiten Lebensmonat von einer Sozialarbeiterin oder einem | |
Sozialarbeiter. | |
Wurden sie zwei Jahre [3][nur von einer Hebamme begleitet], wurden weitere | |
Effekte beobachtet. Zum einen war die psychische Gesundheit der Mütter | |
besser als bei denen in der Kontrollgruppe und ihre Lebenszufriedenheit | |
höher. Zudem zeigten sie seltener schädliches Verhalten gegenüber ihren | |
Kindern. Bei denjenigen, die von einem Tandem aus Hebamme und | |
Sozialarbeiterin besucht worden waren, konnten solche positiven | |
Auswirkungen nicht fest- gestellt werden. | |
Die Autor:innen der Studie vom in Bremen ansässigen Leibniz-Institut für | |
Präventionsforschung und Epidemiologie (Bips) nehmen an, dass dies daran | |
liegt, dass eine gute andauernde Beziehung zwischen der Mutter und ihrer | |
Besucherin der entscheidende Wirkfaktor ist. Zudem würde Hebammen in | |
Deutschland mehr Vertrauen entgegengebracht als Sozialarbeiter:innen, die | |
mit negativen Erfahrungen mit Jugendämtern in Verbindung gebracht werden. | |
## Keine Angst vor Hebammen | |
„Hebammen werden nicht als Kontrolle empfunden und ohne Bedenken in die | |
Wohnung gelassen“, sagt Christine Sellschopp, die Pro Kind in Bremen | |
leitet. Bremen und Braunschweig sind die einzigen Kommunen von ursprünglich | |
15 in Bremen, Niedersachsen und Sachsen, die das Programm nach der | |
sechsjährigen Modellphase übernommen und finanziert haben. | |
Die Sozialpädagogin Christine Sellschopp ist von Anfang an dabei. Als | |
ausgebildete Hebamme und Familienhebamme hat sie bis 2022 selbst | |
Hausbesuche gemacht. Für 130 Familien ist derzeit Geld da. Sie leben in | |
allen Teilen der Stadt. Die Voraussetzung für die Aufnahme ins | |
Pro-Kind-Programm ist, dass es sich um das erste Kind handelt, die Familie | |
von wenig Geld leben muss und es eine weitere Herausforderung gibt wie | |
Fluchterfahrung [4][oder alleinerziehend] zu sein. | |
In Bremen arbeiten ausschließlich Hebammen mit den Familien, in | |
Braunschweig sind es Sozialpädagoginnen und Hebammen. Alle Fachkräfte | |
durchlaufen eine Schulung, zu der auch kultursensibles Arbeiten gehört, | |
erzählt Sellschopp. | |
Jeder Besuch verlaufe nach einem bestimmten Muster, sagt sie. „Es handelt | |
sich um Familien mit wenig Struktur, die bringen wir mit hinein.“ So stehe | |
am Anfang die Frage danach, was aktuell anliegt. Dem folge ein Thema, das | |
die Hebamme mitbringe, und bei dem es immer darum gehe, die Beziehung | |
zwischen Mutter und Kind zu stärken, vielleicht mittels einer Spielidee. | |
Zum Schluss gebe es eine kleine Aufgabe, zum Beispiel nach einer | |
Mutter-Kind-Gruppe zu suchen. „Vielen fällt dieses Vernetzen schwer, wir | |
können sie zum ersten Treffen auch begleiten“, sagt Sellschopp. | |
Der Kerngedanke sei immer ein Fördern dessen, was gut läuft. „Wenn das Kind | |
viel vor dem Fernseher sitzt, um Deutsch zu lernen, dann erkennen wir diese | |
gute Absicht an.“ In einem zweiten Schritt könne man Bücher zum Vorlesen | |
vorschlagen. | |
Sellschopp sagt, sie staune immer wieder, was die Eltern unter schwierigen | |
Bedingungen, teils mit eigener Gewalterfahrung und Vernachlässigung in der | |
Kindheit, für ihre Kinder schaffen. [5][„Sie wollen es alle gut machen.“] | |
Gleichwohl gebe es auch immer mal wieder Fälle, in denen wegen | |
Kindeswohlgefährdung interveniert werden müsse. | |
Die Forscher:innen werden Mütter und Kinder noch einmal befragen, | |
[6][wenn die Kinder im Alter von 13 Jahren sind]. Dann werde es auch um | |
Schulleistungen gehen. Dies sagt Tilman Brand, Leiter der Fachgruppe | |
Sozialepidemiologie am Bips und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Pro | |
Kind, der taz. | |
## Langzeiteffekte selten beobachtbar | |
Er sei gespannt, ob sich dann immer noch Effekte messen lassen würden. „Es | |
kommt sehr selten vor, dass man fünf Jahre nach Ende eines | |
Präventionsprogramms noch Langzeitwirkungen erkennen kann“, sagt Brand. | |
Dies liege daran, dass es einfach zu viele verschiedene Einflüsse auf die | |
Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gebe. | |
Das Programm Pro Kind hat eine in den USA entwickelte Präventionsmethode, | |
die [7][Nurse Family Partnership (NFP)], an deutsche Verhältnisse | |
angepasst. Für die aktuelle Studie wurden zwischen 2006 und 2009 die Daten | |
von zunächst 755 schwangeren Frauen aufgenommen und in einem randomisierten | |
Verfahren in Interventions- und Kontrollgruppen aufgeteilt. | |
Zwischen 2015 und 2017 wurden 525 Mütter und Kinder in ausführlichen | |
Interviews befragt. Nach Angaben des Bips handelt es sich bei der | |
Untersuchung um die größte ihrer Art in Deutschland. | |
15 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Expertin-ueber-Kindergrundsicherung/!6056453 | |
[2] https://jamanetwork.com/journals/jamapediatrics/article-abstract/2829875 | |
[3] /Hebammen-in-Deutschland/!5926866 | |
[4] /Studie-ueber-Alleinerziehende/!6019021 | |
[5] /Ueberlastete-Kinderaerzte/!5985849 | |
[6] https://www.sw.eah-jena.de/institute-projekte/forschung/prokindlang-primaer… | |
[7] https://www.nursefamilypartnership.org/ | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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