# taz.de -- Schuldenbremse und Sondervermögen: Investitionen für die langfris… | |
> Investitionen in Verkehr, Energie und Bildung zahlen sich langfristig | |
> aus. Gehen sie allerdings zu Lasten der Schwächeren, gefährden sie unsere | |
> Verteidigung. | |
Wer bis zu den Wahlen nur den deutschen Wahlkampf beobachtet hat, muss sich | |
ob der Themen der vergangenen Wochen die Augen reiben: Lag bis zum 23. | |
Februar der Fokus noch vor allem auf Migration, so geht es plötzlich um das | |
massive Aufstocken des Kreditspielraums des Staates. | |
Hieß es über Jahre von bürgerlicher Seite, Mehrausgaben zur Sanierung von | |
Schienen, Brücken und Schulen im Land dürfe man wegen der Schuldenbremse | |
und künftiger Generationen nicht über Kredite finanzieren, so sind | |
[1][schuldenfinanzierte Mehrausgaben] plötzlich richtig und unproblematisch | |
und das Grundgesetz kann gar nicht schnell genug dafür geändert werden. | |
Mehr noch: Neue Kredite soll es plötzlich nicht nur für | |
Infrastrukturinvestitionen geben, sondern vor allem für Verteidigung – nach | |
oben praktisch unbegrenzt. Ebenfalls zum Augenreiben: [2][Die Grünen], die | |
im Wahlkampf noch für mehr kreditfinanzierte Investitionen für Klimaschutz | |
und Schulen eingetreten sind, treten beim angedachten Sondervermögen | |
Infrastruktur plötzlich auf die Bremse und bringen stattdessen eine eigene | |
Variante der Schuldenbremsenreform nur für höhere Verteidigungsausgaben ins | |
Gespräch. | |
Für viele progressive Menschen ist der Ruf nach mehr Verteidigungsausgaben | |
schwer zu ertragen – liegt doch im Zentrum ihres Wertekanons oft der Glaube | |
an friedliche Konfliktlösungen. Auch ist nicht von der Hand zu weisen, dass | |
Verteidigungsausgaben zwar reale Kosten, aber wenig direkten Nutzen | |
darstellen. Eine Welt, in der alle Länder Geld nicht in die Rüstung, | |
sondern in bessere Bildung, bessere Infrastruktur oder das Erfüllen der | |
direkten Wünsche und Bedürfnisse der Bevölkerung fließen lassen, wäre klar | |
die bessere Welt mit dem höheren Wohlstand. | |
Und dennoch: An der Schlussfolgerung, dass Deutschland mehr Geld für die | |
Verteidigung ausgeben muss, lässt sich nur schwer rütteln. [3][Keine | |
tausend Kilometer östlich von Deutschland] schlagen regelmäßig Raketen in | |
ziviler Infrastruktur nieder. Gerade drei Jahre ist es her, dass russische | |
Truppen in den Vororten der ukrainischen Hauptstadt standen und Massaker | |
unter der Zivilbevölkerung anrichteten. | |
## Die alten Regeln sind überholt | |
Das erste Sondervermögen Bundeswehr, 2022 ins Grundgesetz geschrieben, | |
würde nicht einmal bis zum Ende der neuen Legislaturperiode erlauben, das | |
bisherige Nato-Ziel von Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent des | |
Bruttoinlandsprodukts zu erreichen. | |
Es wäre grob fahrlässig, sich darauf zu verlassen, dass der russische | |
Präsident Wladimir Putin seine aktuelle Aufrüstung nur dazu betreibt, um | |
einen Waffenstillstand in der Ukraine zu erreichen und danach friedlich | |
seine Soldaten auf Dauer in die Kasernen zurückzuziehen. | |
Ebenso fahrlässig wäre es, sich darauf zu verlassen, dass die USA im | |
Krisenfall den EU-Staaten zur Hilfe eilen. Im Gegenteil: Jedem sollte nach | |
sechs Wochen der zweiten Amtszeit von Donald Trump klar sein, dass die | |
jetzige US-Regierung die Europäische Union und ihre Werte eher als | |
Bedrohung denn als Verbündete ansieht. | |
Das Verteidigungskonzept Deutschlands war bisher darauf gebaut, dass zum | |
einen die USA mit der Nato potenzielle Angreifer abschrecken würden, zum | |
anderen, dass die Feinde so weit von der Landesgrenze entfernt seien, dass | |
eine traditionelle Verteidigung des Staatsgebiets überflüssig sei. Beide | |
Annahmen lassen sich nicht mehr halten. Zwischen Deutschland und einer | |
gefährdeten EU-Außengrenze liegt Polen, aber auch ein Angriff auf die | |
baltischen Staaten würde die EU in ihren Grundfesten erschüttern. | |
## Verteidigung über Jahr vernachlässigt | |
Gelegentlich wird darauf verwiesen, dass die [4][EU schon heute mehr Geld | |
für Verteidigung ausgäbe als Russland]. Das stimmt allerdings nur, wenn man | |
außer Acht lässt, dass die Preisniveaus in den Ländern unterschiedlich | |
sind. Berücksichtigt man dies, so liegen nach aktueller Schätzung die | |
Verteidigungsausgaben der EU hinter jenen von Russland. Hinzu kommt, dass | |
Deutschland über Jahre seine Waffensysteme mindestens ebenso vernachlässigt | |
hat wie die öffentliche Infrastruktur. | |
In den 2010er Jahren lagen die Rüstungsausgaben nur knapp über einem | |
Prozent des BIP, bei wenig mehr als der Hälfte dessen, was die Nato | |
eigentlich vereinbart hatte. Trotzdem muss man deshalb nicht gleich in | |
ungebremste und unkritische Ausgabefreude verfallen. Verteidigungsausgaben | |
sollten immer an den Anforderungen begründet sein. Es geht um den Aufbau | |
von Verteidigungskapazitäten, etwa einer funktionierenden Luftabwehr oder | |
einer bestimmten Anzahl Panzer. Die Militärausgaben haben effizient zu | |
erfolgen. | |
2021, dem letzten Jahr vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, gab | |
Frankreich in Euro gerechnet nach Nato-Zahlen etwa 10 Prozent weniger für | |
Verteidigung aus als Deutschland. Trotzdem scheint die französische Armee | |
einsatzfähiger als die deutsche Bundeswehr zu sein. Die Frage der Effizienz | |
ist eng verbunden mit der Frage der europäischen Kooperation. In Europa | |
geht viel Geld verloren, weil jedes Land Waffensysteme in Kleinserie bei | |
heimischen Anbietern produzieren lässt. | |
Gleichzeitig sind es die EU-Außengrenzen, die in denkbaren Konfliktfällen | |
verteidigt werden müssen. Deshalb sollte jede Rüstungsausgabe im | |
europäischen Kontext gedacht werden und durch Kooperation und gemeinsame | |
Beschaffung möglichst viele Effizienzreserven gehoben werden. Die höheren | |
Verteidigungsausgaben dürfen zudem nicht gegen anstehende | |
Zukunftsinvestitionen ausgespielt werden. | |
## Nicht auf Kosten von Bildung oder Infrastruktur | |
Gelegentlich hört man, dass Deutschland nun [5][Investitionen | |
zurückstellen] müsse, wenn mehr Geld für Verteidigung benötigt würde. So | |
logisch das klingt, so falsch ist diese These: Simulationen des Instituts | |
für Makroökonomie und Konjunkturforschung zeigen, dass ein | |
kreditfinanziertes Investitionsprogramm in Verkehrswege, Energienetze und | |
Bildungsinfrastruktur von 600 Milliarden Euro über zehn Jahre die | |
Wirtschaftsleistung mittel- und langfristig massiv erhöhen würde, weil | |
private Investitionen angeregt und die Produktivität erhöht wird. | |
Bis 2050 würde dadurch die aggregierte Wirtschaftsleistung um mindestens | |
2.100 Milliarden Euro steigen. Wenn davon nur knapp die Hälfte zurück an | |
den Staat an Steuern und Abgaben fließt, ist das eine Summe, mit der man | |
sehr viele Waffensysteme beschaffen kann. Weil die kreditfinanzierten | |
Investitionen sich so selbst finanzieren, erhöhen sie die Schuldenquote | |
Deutschlands auch nur vorübergehend. | |
Wer also wirklich an einer langfristigen Verteidigungsfähigkeit des Landes | |
interessiert ist, darf keinesfalls öffentliche Investitionen für höhere | |
Verteidigungsausgaben zurückstellen. Gefährlich ist deshalb jetzt auch ein | |
Taktieren um mögliche Grundgesetzänderungen, an deren Ende möglicherweise | |
eine massive Ausweitung des Kreditspielraums für Verteidigung, nicht aber | |
für Infrastrukturinvestitionen stehen würde. Das ginge zu Lasten künftiger | |
Generationen. | |
Außerdem könnte man den Zuspruch in der Bevölkerung für Unterstützung der | |
Ukraine zerstören, wenn der Eindruck entsteht, massive Summen flössen nach | |
Kyjiw, aber für das Flicken der Schuldächer zu Hause sei kein Geld da. | |
Ehrlichkeit ist gefragt. | |
Man konnte sich zuletzt schwer des Eindrucks erwehren, dass einige der | |
Sondierer von Union und SPD die Schuldenbremse gleich so gestalten wollen, | |
dass nicht nur Geld für Verteidigung und Investitionen da ist, sondern auch | |
noch paar Dutzend Milliarden Neuverschuldung für Lieblingsprojekte wie | |
Mütterrente, [6][Agrardieselsubventionen] oder Steuerfreiheit von | |
Überstundenzuschlägen abfallen. | |
## Faire Verteilung der Lasten | |
Das ist gefährlich, denn auch die Notwendigkeit größerer Verschuldung | |
bedeutet nicht, dass sich der Staat unbegrenzt Geld leihen kann. | |
Schließlich muss jenseits einer Kreditfinanzierung darauf geachtet werden, | |
dass die Lasten höherer Verteidigungsausgaben fair in der Gesellschaft | |
verteilt werden. Für eine Übergangszeit von einigen Jahren lassen sich auch | |
deutlich höhere Rüstungsbeschaffungen kreditfinanzieren, ohne dass es zu | |
Problemen mit der Schuldentragfähigkeit kommt. | |
Sollte sich herausstellen, dass Deutschland dauerhaft höhere | |
Verteidigungsausgaben braucht, so müssen diese am Ende doch entweder mit | |
Kürzungen an anderer Stelle oder mit höheren Steuern und Abgaben finanziert | |
werden. Hier geht es dann aus progressiver Sicht darum, diese Lasten | |
gerecht zu verteilen. Schon heute kursieren so Vorschläge, zur Erhöhung der | |
Verteidigungsausgaben den Bundeszuschuss zur Renten- und | |
Krankenversicherung zu kürzen und die Umsatzsteuer zu erhöhen. | |
Solche Vorschläge sind gefährlich, denn sie belasten überproportional die | |
Schwächeren und die Durchschnittsverdienenden in unserer Gesellschaft. Eine | |
solche ungleiche Lastenverteilung steht ebenfalls einer langfristigen | |
Verteidigungsfähigkeit des Landes entgegen, weil damit populistische | |
Argumente Vorschub bekommen, die Elite wälze die Last einseitig auf die | |
großen Massen ab. | |
So drängt sich der Verdacht auf, dass zumindest einige der Vertreter | |
solcher Finanzierungsideen den Vorwand höherer Verteidigungsausgaben | |
nutzen, um Einschnitte am Sozialsystem vorzunehmen, die sie ohnehin schon | |
immer durchsetzen wollten. Dem sollte man sich entschieden entgegenstellen. | |
Wenn es Finanzierungsnotwendigkeiten für mehr Verteidigung jenseits des | |
Kreditspielraums gibt, sollte man auch die Reichen im Land in die Pflicht | |
nehmen. | |
Eine Option wäre die im Grundgesetz vorgesehene Vermögensabgabe, wie sie | |
etwa auch nach dem Zweiten Weltkrieg zur Finanzierung des Lastenausgleichs | |
eingesetzt wurde. Sie könnte einmalig auf große Vermögen erhoben werden und | |
ihre Zahlung – wie auch schon in den 1950ern – über mehrere Jahre gestreckt | |
werden. Höhere Verteidigungsausgaben sind alles andere als schön. Zumindest | |
kann man aber dafür sorgen, dass über sie nicht unsere Gesellschaft weiter | |
gespalten wird. Das ist jetzt die Aufgabe der Stunde. | |
16 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Sebastian Dullien | |
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