| # taz.de -- Die Wahrheit: Putzer und Mümmler | |
| > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (213): Seehasen und | |
| > Meereskaninchen sind für den Menschen recht nützliche Fischlein. | |
| Bild: In Seegraswiesen tummeln sich extrem fischige Hasen, Kaninchen und andere… | |
| Seehasen, auch Lumpfische genannt, sind plumpe Bodenfische, die zehn Kilo | |
| wiegen können, bis zu einem halben Meter lang werden und schlechte | |
| Schwimmer sind. Sie leben in den kühlen Gewässern des Atlantiks. | |
| Meereskaninchen, besser bekannt als Kaninchenfische, leben dagegen im | |
| Indopazifik. Nach dem Bau des Suezkanals wanderten sie ins Mittelmeer ein. | |
| Die ersteren ernähren sich von Weichtieren und Quallen, letztere von Algen | |
| und Seegras, einer Blütenpflanze, die auf Schlick- und Sandböden wächst. | |
| Beide Fische halten sich gern in Seegraswiesen auf. Die Kaninchenfische, | |
| weil sie sich davon ernähren und die Seehasen, weil sie sich im Seegras | |
| verstecken, wenn sie von Robben gejagt werden. Während Seehasen eher | |
| zwischen den Pflanzen leben, halten sich die Kaninchenfische laut Wikipedia | |
| „über“ den Seegraswiesen auf. | |
| In Friedrichshafen feiert man „Seehasenfeste“, das hat jedoch nichts mit | |
| dem Fisch zu tun, man nannte bloß die Bodensee-Anrainer früher so. Und dann | |
| gibt es noch eine Meeresschnecke (Aplysia), die auf Deutsch wegen ihrer | |
| hasenartigen Tentakel auf dem Kopf Seehase genannt wird. Sie ernährt sich | |
| von Algen und Seegras, während die Seehasen-Fische sich unter anderem von | |
| ihr ernähren. | |
| ## Weltkulturerbe Unterwasserwiese | |
| Seegraswiesen kommen in 159 Ländern und auf sechs Kontinenten vor. Sie | |
| werden jedoch immer kleiner. Auf dem niedersächsischen Wattboden gingen die | |
| Seegraswiesen bereits um 77 Prozent zurück. Da sie eine wichtige | |
| „Kinderstube“ für viele Fischarten bilden, sind die Meeresforscher besorgt. | |
| Die Ursachen des Rückgangs sind vielfältig: Die Anker der Yachten, die | |
| Wasserverschmutzung, bestimmte Fischfangmethoden und Pilzbefall. Es gibt | |
| inzwischen mehrere Versuche, unter anderem in den USA, diese Wiesen aus | |
| Zwergseegras und Echtem Seegras künstlich zu vermehren. Ein solches | |
| „Projekt“ gibt es auch in einer Bucht auf Mallorca. Ebenso auf Ibiza im | |
| Park Les Salines. Dort zählen die Seegraswiesen zum Weltkulturerbe. Die | |
| Journalistin Felicitas Bläsche erwähnt sie in ihrem TV direkt-Bericht | |
| „Ibiza – Eine Insel zum Träumen“ im Februar 2025, weil sie meint, dass | |
| darin „zahlreiche Vogelarten nisten“: Unter Wasser? Unsinn! | |
| Auf der Internetseite des Nabu steht unter einem Foto, das einen „juvenilen | |
| Seehasen zwischen juvenilen Miesmuscheln“ zeigt: „Auch der neuen | |
| Bundesregierung ist das Potenzial der Unterwasserwiesen bekannt.“ Auf | |
| „seegraswiesen.de“ heißt es: Diese „fördern Biodiversität und bieten | |
| wichtige Ökosystemleistungen wie Kohlenstoffbindung und | |
| Sedimentstabilisierung, die für den Klima- und Küstenschutz von großer | |
| Bedeutung sind“. Das Wort „Ökosystemdienstleistungen“ ist ein | |
| anthropozentrisches Ekelwort und wird den kleinen Seegräsern gar nicht | |
| gerecht. | |
| Die Seite stammt von der „Küsten Union Deutschland e. V.“ in Warnemünde u… | |
| wirbt für „Seegras-Wiederansiedlungen in der Ostsee“, die „ein neues und | |
| aktives Instrument des Unterwassernaturschutzes“ sind. Sie pflanzt jedoch | |
| nicht selbst Seegräser, sondern will bloß „bei einer fundierten | |
| Berichterstattung darüber helfen“. | |
| ## Soziale Fragen im Seegras | |
| In Seegraswiesen leben nicht nur Seehasen und Meereskaninchen, sondern auch | |
| jede Menge andere Tiere. Es ist ein Biotop oder besser noch: ein Soziotop. | |
| Dies legen jedenfalls zwei Forschungen nahe, die erste kommt aus der | |
| Pflanzenforschung, die zweite aus der Soziologie. | |
| In ihrem Buch „Die Lichtwandler“ (2024), in dem es um neuere botanische | |
| Forschungsansätze geht, zitiert die Wissenschaftsjournalistin Zoë Schlanger | |
| den spanischen Botaniker Rubén Torices: „‚Das Leben der Pflanzen innerhalb | |
| ihrer näheren Umgebung ist eine soziale Frage‘, sagt er. ‚Und deshalb | |
| sollten wir sie auch aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive | |
| betrachten.‘ “ | |
| In der Zeitschrift für Theoretische Soziologie hat die Ausgabe 2/2020 den | |
| Schwerpunkt „Symbiose. Theorie für die biosoziale Gegenwart“. In der | |
| Biologie hat seit einiger Zeit nicht nur die Erforschung des sozialen | |
| Verhaltens in der Tier- und Pflanzenwelt Konjunktur, sondern auch (wieder) | |
| der Begriff „Symbiose“. Ende des 19. Jahrhunderts hatten russische Forscher | |
| mit dem Begriff verschiedene enge Kooperationen benannt, dann änderte sich | |
| der Forscherblick und man entdeckte – mit Darwin – überall den „Kampf ums | |
| Dasein“ und ein „Survival of the Fittest“, bis mit einigen amerikanischen | |
| Feministinnen, allen voran die Mikrobiologin Lynn Margulis, die Symbiose | |
| erneut ins Blickfeld geriet und nun ständig neue Formen des Zusammenlebens | |
| entdeckt werden. | |
| Indem die Soziologen diesen Begriff aufgreifen, versuchen sie, ähnlich wie | |
| Rubén Torices, eine Brücke zwischen Natur- und Sozialwissenschaft zu | |
| schlagen – nur von der anderen Seite her. Dies geschieht vor dem | |
| Hintergrund von Klimaerwärmung, Pandemien und weltweitem Artensterben, das | |
| alle Lebewesen betrifft und die menschliche Gesellschaft für den Gegensatz | |
| von Ökologie und Ökonomie sensibilisiert hat. Wobei man sich derzeit | |
| allerdings meist wieder für letztere und gegen erstere entscheidet. | |
| ## Giftiger Speisefisch | |
| Die Meereskaninchen nehmen als Pflanzenfresser ihre Nahrung laut Wikipedia | |
| „mit mümmelnden Bewegungen der Oberlippe [auf], daher ihr Name“. Sie haben | |
| kleine Münder mit winzigen Zähnen und als einzige unter allen | |
| Knochenfischfamilien Bauchflossen oben und unten, die von „je einem | |
| Hartstrahl gestützt werden“, wobei der von Rücken- und Afterflosse eine | |
| Giftdrüse hat. Obwohl Meereskaninchen in tropischen Küstenländern als | |
| Speisefisch gelten, ist der Verzehr nicht ungefährlich: Ihr Gift bewirkt | |
| eine Fischvergiftung namens Ciguatera. | |
| Bei den Seehasen ist bloß das Fleisch des Männchens „wohlschmeckend“. In | |
| Island gilt es getrocknet als Delikatesse. Während die Weibchen nur in | |
| Hinsicht auf ihre Eier eine Ökosystemdienstleistung für uns erbringen: | |
| Diese Eier, Rogen genannt, von denen ein Weibchen bis zu 700 Gramm in der | |
| Laichzeit absetzt, werden schwarz gefärbt und in Salzlake eingelegt als | |
| „Deutscher Kaviar“ vermarktet. | |
| Indirekt sind beide Geschlechter menschennützlich, indem sie, in Norwegen | |
| zum Beispiel, gezüchtet und als „Putzerfische“ (siehe taz v. 16. 5. 2022) | |
| auf Lachsfarmen eingesetzt werden. Sie sollen die Lachslaus, einen kleinen | |
| Ruderfußkrebs, von den Lachsen abfressen, der sich in Zuchtbecken | |
| explosionsartig vermehrt. Die Reduzierung der Lachsläuse soll wiederum den | |
| Einsatz von Antibiotika reduzieren, heißt es auf Wikipedia. Und der Seehase | |
| reduziert auch die Lachsläuse, denn neben Weichtieren frisst er auch gern | |
| harte Krustentiere. | |
| 10 Mar 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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