# taz.de -- Die Wahrheit: Rammler mit Herz und Schnauze | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (216): Hasen können sich | |
> trotz aller Vorsicht außergewöhnlich gut mit Menschen arrangieren. | |
Bild: Scheuen das Licht: Meister Lampe und Frau Lampin | |
Woher der Brauch kommt, dass der Osterhase Eier legt und sie versteckt, | |
damit sie von Kindern gesucht werden, die dabei von den Erwachsenen in | |
Hinsicht auf ihre Findigkeit beurteilt werden, ist laut dem Leiter der | |
saarländischen Forstverwaltung Wilhelm Bode unbekannt, wie er in seinem | |
„Porträt ‚Hasen‘ “ (2023) schreibt. Wikipedia meint, dass dieser | |
„Osterhasen“-Brauch bereits im 17. Jahrhundert im Elsass bekannt war. „Die | |
Verbindung des Hasen mit dem österlichen Eierbrauch ist jedoch“ laut Bode | |
„noch unklar, auch wenn die Fruchtbarkeit der Hasen für sich allein eine | |
enge Verbindung zum Frühling hat.“ | |
Im Buddhismus glaubt man zwar nicht, dass er Eier legt, aber dass der | |
Bodhisattva vor langer Zeit als Hase wiedergeboren wurde. In Myanmar findet | |
man deswegen an den schmiedeeisernen Zauntüren vor den Klöstern Hasen | |
dargestellt. Ich fragte einen dortigen Studenten, was es damit auf sich | |
habe. „Wenn ich einen Hasen sehe, wird mir immer ganz kühl ums Herz“, sagte | |
er. Das wurde es ihm allerdings auch, als eine Kommilitonin an ihm | |
vorbeiradelte. | |
Ich sah in Myanmar mehr lebende Hasen als jemals in Deutschland. | |
Hierzulande wurden allein im Jagdjahr 2023/24 insgesamt 256.280 Hasen | |
geschossen. Sie gelten inzwischen als gefährdete Art, allerdings leben in | |
Ostdeutschland mehr Hasen als im Westen, wo es auch mehr von den mit ihnen | |
nicht näher verwandten Kaninchen gibt. | |
1965 erklärte Joseph Beuys einem toten Hasen in einer Galerie die Bilder. | |
Er beendete mit dieser „Aktion“ quasi eine Kunstgeschichte, die immer | |
wieder den Hasen thematisierte, beginnend vielleicht mit Albrecht Dürers | |
„Hase“ (1502), der laut Bode zu einer „Hasen-Manie in der Malerei führte… | |
Der Forstwirt nimmt an, dass Dürer das ruhig dasitzende Tier in seinem | |
Atelier porträtierte und er es demzufolge „zuvor geduldig vertraut gemacht | |
hatte“. | |
## Angsthase mit vielen Feinden | |
Hasen lassen sich im Gegensatz zu Kaninchen so gut wie gar nicht | |
domestizieren. Obwohl Kulturfolger, sind es extreme Fluchttiere | |
(Angsthasen), die viele Feinde haben, was sie durch nächtliche Lebensweise, | |
Schnelligkeit, Hakenschlagen und große Fruchtbarkeit kompensieren. Zudem | |
haben sie mit ihren „seitlich angeordneten Bernsteinaugen“ die Fähigkeit | |
zur 360-Grad-Rundumsicht, „High-Tech-Augen“ nennt sie deine-tierwelt.de. | |
Nur in der Paarungszeit sind sie unaufmerksam. Der Rammler umwirbt im | |
Winter die Häsin, worauf sie zunächst mit einem Boxkampf reagiert. Nach | |
etwa 42 Tagen werden ihre „Märzhasen“ geboren. Zur Osterzeit sieht man die | |
Junghasen bereits im frischen Grün herumspringen. Es sind Nestflüchter, | |
wogegen die Kaninchen Nesthocker sind. Ihre Mutter säugt sie nur kurz, im | |
April und Mai beginnt bereits die zweite „Rammelzeit“: Jedes Mal bekommt | |
sie „etwa zwei bis fünf und insgesamt bis zu zwölf“ Junge im Jahr. | |
Hasen sind Einzelgänger, während Kaninchen in Gesellschaft leben. Beiden | |
gemeinsam ist eine besondere Verdauung ihrer pflanzlichen Nahrung: Ein Teil | |
davon gelangt in den Blinddarm, wird dort von Bakterien aufgeschlossen und | |
als ausgeschissene Köttel erneut durchgekaut. | |
Es gibt zwar viele Bücher, Bilder, Gedichte und Lieder über Hasen, aber nur | |
wenig Forschung. In Niederösterreich hat man 2009 vier Rammler und fünf | |
Häsinnen in Kastenfallen gefangen und ihnen GPS-Sender umgehängt, dabei kam | |
heraus, dass ihre „Streifgebiete“ nicht mehr als elf Hektar umfassten. Was | |
damit erklärte wurde, „dass aufgrund der Kleinräumigkeit der | |
Untersuchungsflächen die Hasen auf engstem Raum die nötigen Ressourcen | |
fanden“, wie wildundhund.deberichtete. | |
Weil man junge Hasen schlecht halten und meist nicht am Leben erhalten | |
kann, werden sie kaum in Gefangenschaft erforscht. Wilhelm Bode rät, die | |
scheinbar verwaisten Jungtiere dort zu lassen, wo man sie gefunden hat. | |
Die außenpolitische Beraterin Chloe Dalton lebte in London und zog während | |
des Coronalockdowns in ihre ausgebaute Scheune auf dem Land, wo sie beim | |
Spazierengehen einen vermeintlich verwaisten Junghasen fand, der nicht | |
größer als ihre Handfläche war. Sie nahm ihn mit und zog ihn groß – | |
zunächst mit laktosefreiem Milchersatz. Dabei entwickelte sich im Lauf der | |
Zeit eine Freundschaft zwischen ihr und dem Tier, das eine Häsin war. | |
## Ratschläge von der Charakterarbeiterin | |
2024 hat sie diese schöne „Geschichte einer außergewöhnlichen Begegnung“ | |
unter dem Titel „Hase und ich“ veröffentlicht. Während der Jahre mit ihrer | |
Häsin, die ins Haus kommen konnte, wann immer sie wollte, veränderte sich | |
ihr Leben: „Ich bin aus meinem alten Leben ausgestiegen, für das Privileg | |
einer außergewöhnlichen Erfahrung“, schreibt Dalton. „Während gut gemein… | |
Ratschläge von Freunden stets an mir abgeperlt waren, bearbeitete der | |
kleine Hase meinen Charakter still und ohne Worte.“ | |
Zum Haus gehörte ein ummauerter Garten. Als die Häsin groß genug war, | |
sprang sie über die Mauer und schloss sich den Hasen auf den Feldern an. Im | |
Garten bekam sie dann ihre ersten – drei – Jungen. Diese folgten der Mutter | |
nach einigen Wochen ins Haus, das eine Hasentür hatte. Die Häsin schlief | |
tagsüber unter dem Bett der Hausherrin. Bald kam sie auch nachts in ihr | |
Schlafzimmer. | |
Dalton wollte sie nicht domestizierten, sie sollte frei leben. Ihr Revier | |
waren Haus und Garten. Wenn sie auf die Felder wollte, öffnete Dalton ihr | |
die Gartentür oder sie sprang einfach über die Mauer. Ihre Jungen taten es | |
ihr bald nach. Aber sie verschwanden irgendwann. Die Häsin mochte am | |
liebsten Haferflocken. Gras fraß sie von der Halmspitze abwärts, Löwenzahn | |
von unten nach oben, bis zur Blüte, die sie abbiss und fallen ließ. | |
Dalton las unterdes alles, was sie über Hasen finden konnte. Bei Herodot | |
erfuhr sie, „dass Hasen in der Lage sind, zwei Würfe gleichzeitig | |
auszutragen“. Sie wollte der Häsin keinen Namen geben, um sie nicht „zum | |
Haustier zu erklären“. Die Häsin war auch nicht zahm, machte aber bei | |
Dalton gelegentlich eine Ausnahme. Sie lernte, mit den Hinterläufen zu | |
klopfen und verschwand manchmal tagelang. Mit einem „zarten Schnauben“ rief | |
sie Dalton. Als nächstes bekam sie zwei Junge – in Daltons Arbeitszimmer | |
hinter einem Vorhang. | |
„Während ihre Mutter sich im Haus meist behutsam bewegte, wirkten sie | |
völlig furchtlos.“ Bei der nächsten Geburt der Häsin – wieder im Garten … | |
war es nur ein winziges Junges, das nicht lange lebte. Die Häsin blieb | |
einmal zwei Wochen lang weg, aber plötzlich war sie wieder da, lag | |
entspannt vor dem Kamin und fixierte das Feuer. „Sie sah aus wie ein | |
lebendig gewordener Dürer-Hase.“ | |
Am Ende lebt die Häsin immer noch und „verbreitet eine friedliche | |
Atmosphäre im Haus“. Bei jedem Abschied blickt sie noch einmal zurück. | |
23 Apr 2025 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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