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# taz.de -- Die Wahrheit: Könige auf Zeit
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (214): Die flatterhaften
> Monarchfalter werden nicht sehr alt, kommen aber viel herum.
Bild: Wie viele Besucher aus dem Norden erholen sich Monarchfalter gern in Mexi…
Obwohl Monarchfalter auch in Südamerika und Australien sowie in Südeuropa
vorkommen, nehmen die nordamerikanischen Vertreter wegen ihrer
anspruchsvollen saisonalen Wanderungen eine Sonderstellung ein. Jeden
Herbst begeben sie sich aus dem Grenzgebiet zwischen den USA und Kanada auf
eine 5.000 Kilometer lange Wanderroute gen Süden, berichtet
nationalgeographic.de.
Das Leben eines erwachsenen Insekts ist in der Regel sehr kurz, „gerade mal
die Zeit, um sich fortzupflanzen und die Eier abzulegen. Oft umfasst es nur
wenige Tage oder Wochen“, schreibt die Biologin Francesca Buoninconti in
ihrem Buch „Grenzenlos“ (2021) über Tierwanderungen. Das gilt auch für den
Monarchfalter, weswegen an seiner Wanderung drei oder vier Generationen
beteiligt sind. „Es ist ein regelrechter Stafettenlauf, der von den
Kindern, Enkeln und Urenkeln weitergeführt und abgeschlossen wird.“
Die erste Generation überwintert zu Millionen in Mexiko an Bäumen, wo sie
eine „Ruhephase“ einlegt. Gegen die Kälte hat sie Eiweiße, Fett und Zucker
aufgenommen und ihren Sauerstoffverbrauch reduziert. Erst wenn die Sonne im
Februar elf Stunden scheint, verpaart sie sich und bricht nach Norden auf.
Auf ihrer Wanderung machen die befruchteten Weibchen halt und legen ihre
Eier ab. Die daraus entstehende zweite Generation lebt etwa sechs Wochen
und zieht nach Norden weiter. „Sie bringt ihrerseits unterwegs eine dritte
Generation hervor (die Enkel), die im Juli die Grenze zwischen USA und
Kanada erreicht und die Reise abschließt.“
## Ungenießbare Raupen
Dort legt jedes Weibchen etwa 500 Eier ab. Aus einem Ei schlüpft nach acht
Tagen eine Raupe, die sich nach einigen Wochen und fünf Metamorphosen für
15 Tage verpuppt, dann drängt sich aus seiner Puppe der erwachsene
Schmetterling. Nur diese Generation der Urenkel „hat das Privileg“,
länger, also „sechs bis acht Monate zu leben“. Anfang Herbst beginnen dann
300 Millionen Monarchfalter ihre Wanderung nach Süden, sie fliegen
etwa 50 Kilometer täglich und halten unterwegs laut Buoninconti „nur an, um
etwas Nektar zu saugen oder zu rasten“.
Aus der aus dem Norden über Kalifornien ziehenden Population hat man einige
Schmetterlinge mit Sendern ausgerüstet. So stellte man fest, dass sie auf
ihrer Wanderung bestimmte „ökologische Korridore“ entlang von Routen, an
denen Seidenpflanzengewächse wachsen, benutzen. An diesen Gewächsen legen
sie ihre Eier ab, und die Raupen ernähren sich von den Blättern. Dabei
nehmen sie Giftstoffe auf, die später für die Fressfeinde der erwachsenen
Monarchfalter unverdaulich sind. Die orangerot-schwarze Flügelfärbung
signalisieren diesen bereits, dass sie ungenießbar sind.
## Schmetterlinge mit Botschaft
In den letzten Jahren ging es den Monarchfaltern nicht gut. Immer weniger
Schmetterlinge überwinterten in Mexiko, 2013 war das bisher schlimmste
Jahr, schreibt Buoninconti. „Viel hängt dabei von der Klimaerwärmung ab,
der Hauptgrund scheint aber der Rückgang der Seidenpflanzen zu sein“ –
aufgrund des Einsatzes von Pestiziden und der Veränderungen der
Bodennutzung.
Die immer kleiner werdenden Sender, die man von den Schmetterlingen und
Heuschrecken bis zu den Elefanten und Walen nach und nach allen Tieren
umhängt, anklebt oder antackert, sind zwar für die Tiere nicht eben
angenehm, weil man viele erst einfangen und betäuben muss, aber sie haben
neue Erkenntnisse erbracht. Der Ökologe André Green von der University of
Michigan hatte drei Dutzend Monarchfalter gefangen, berichtete
nationalgeographic.de 2024. „Er trägt einen Tropfen Epoxidharz zwischen
den Flügeln des Schmetterlings in seiner Hand auf und befestigt einen
Sensor, der von einem Minisolarmodul betrieben wird und weniger wiegt als
drei Reiskörner. Green und sein Team erwarten, dass die so ausgestatteten
Monarchfalter die Sensoren 1.300 Kilometer südwärts in die
zentralmexikanischen Berge transportieren werden.“
Nach einem Monat folgten die Forscher ihnen, um die Signale zu empfangen.
„Falls sie einen oder gar mehrere der Schmetterlinge wieder einfangen
können, bekämen sie sogar die unterwegs erfassten Licht- und
Temperaturdaten und könnten so die Route des Falters kartieren.“ Die
Zeitschrift National Geographic widmete den Schmetterlingen eine Ausgabe:
„Die Aussichten für nordamerikanische Monarchfalter gelten momentan als
derart schlecht, dass die Weltnaturschutzunion IUCN ihre Populationen als
gefährdet eingestuft hat.“
## Hüter der Toten
Auf deinetierwelt.de heißt es: „Auch in Zentralmexiko finden die
wunderschönen ‚Mariposas‘ immer weniger Zuflucht. Denn in ihrem
Winterquartier ‚Reserva de la Biosfera Mariposa‘ im Bundesstaat
Michoacán, 20 Kilometer westlich von Mexiko-Stadt, stören die Bäume, auf
denen die Schmetterlinge überwintern und für Nachwuchs sorgen, die
wirtschaftlichen Interessen der dort ansässigen Drogenkartelle.“
Mittlerweile werden immer mehr Umweltschützer in ihrem Kampf um den Erhalt
der Monarchfalter bedroht. Zwei der dortigen „Hüter der Monarchfalter,
Homero Gómez González und Raúl Hernández Romero“, wurden bereits ermordet,
schreibt die belgische Wissenschaftsphilosophin Vinciane Despret in ihrer
Spekulation „Autobiografie eines Kraken“ (2024). Zu diesen „Hütern“ z�…
auch die mexikanischen Indigenen vom Stamm der Mazahua, die am Tag, da die
Monarchfalter in ihre Region kommen, ihr Totenfest Día de los Muertos
feiern. Den Schmetterlingen obliegt es, „für die lebenden Menschen die
Seele ihrer toten Angehörigen zu tragen. Sie waren gewissermaßen zu Besuch
kommende Vorfahren.“ Die Monarchfalter bewiesen durch ihre Ankunft am
Tag des Totenfestes, dass sie „begriffen hatten, was ‚kümmern‘ in einer
Welt bedeuten konnte, in der Lebende und Tote einander achten und in der
die Kontinuität die unterschiedlichsten Formen annehmen kann – etwa in
einer Erzählung von Schmetterlingen, denen menschliche Seelen anvertraut
sind.“
Ähnliche Vorstellungen hegen die Ngadha auf der indonesischen Sundainsel
Flores: Auch die Seelen ihrer Verstorbenen leben in Schmetterlingen weiter.
Auf Griechisch heißen Atem, Seele und Schmetterling „Psyche“. Dies ist auch
der Name einer Zeitschrift für Psychoanalyse und einer für
Schmetterlingsforschung. Es fragt sich: Tragen die Schmetterlinge nur
menschliche Seelen in sich? Haben sie keine eigenen? Wenn doch, dann hätten
sie ja, ach!, zwei Seelen in ihrer Brust.
24 Mar 2025
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Tiere
Zoologie
Mexiko
Tierwelt
Osterhase
Die Wahrheit
Tierwelt
Biologie
Tiere
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