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# taz.de -- Die Wahrheit: Seit 48 Millionen Jahren tot
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (211): Der Walvorfahre
> Indohyus ist so was von ausgestorben, dass ihn niemand mehr kennt.
Bild: Der kleine Landsäuger hat immer fest an seinen Traum vom Meer geglaubt
Der Indohyus hat etwa die Größe von Waschbären und ähnelt am meisten dem
Afrikanischen Hirschferkel, heißt es auf Wikipedia. Und dieses Tier
wiederum ist etwas größer als sein asiatischer Verwandter, der Kantschil.
Wenn man den nun anklickt, wird man zum Tragulus weitergeleitet, was eine
Gattung von Paarhufern in der Familie der Hirschferkel ist. Was sie alle
eint, ist, dass sie eben nicht viel größer als Waschbären sind und dass die
Männchen statt Stirnwaffen ihre oberen Eckzähne zu Hauern verlängert haben.
Der Indohyus hat einige weitere Besonderheiten. Zum einen den verdickten
Ohrknochen. Dieser ist laut Wikipedia „das wichtigste Merkmal, das für die
direkte Abstammung der Wale vom Indohyus spricht“, denn dieses Merkmal
findet sich ausschließlich bei Walen, Orcas und Delfinen (die zur
Unterordnung „Cetacea“ zählen). Zum anderen hat er eine starke Verdickung
der äußeren Knochenschichten. „Dieses Merkmal ist auch bei den heute
lebenden Flusspferden zu finden, es erlaubt eine kräfteschonende, watende
Fortbewegungsweise unter Wasser.“ Bei den Indohyus deutet es darauf hin,
dass sie schon teilweise im Wasser gelebt haben. Aber was heißt „im Wasser
leben“?
## Mopsfidele Wolpertinger
Über die Afrikanischen Hirschferkel wird gesagt, dass sie sich bei Gefahr
ins Wasser flüchten. „Sie halten sich dort allerdings nicht sehr lange auf,
da sie keine guten Schwimmer sind.“ Vielleicht konnte der Indohyus besser
schwimmen? Einigermaßen gesichert ist dagegen das Wissen, dass dieser
Paarhufer, der auf dem indischen Subkontinent lebte, vor 48 Millionen Jahre
ausgestorben ist. Es können also nicht jagdversessene englische
Kolonialbeamte gewesen sein, die kamen sehr viel später – als sich die Wale
schon lange aus Indohyus als nächsten Verwandten herausgemendelt hatten und
wieder ganz zurück ins Meer gegangen waren, wo sie immer größer wurden und
nicht nur wie die Flusspferde im Süßwasser herumwateten, sondern die Ozeane
rund um den Globus durchpflügten. Alle Achtung, kann man da nur sagen, was
aus dem kleinen Indohyus alles geworden ist.
Der Spiegel nannte ihn 2007 einen mopsfidelen „Schwimm-Hirsch“: „Er hatte
etwa die Größe eines Fuchses, ähnelte jedoch in der Gestalt heutigen
Hirschen.“ Das hört sich nach einer Art Wolpertinger an. Auf
wissenschaft.de hat man ihn „tauchend in einem Fluss“ abgebildet. Er sieht
dort aus wie eine Bisamratte mit langen Beinen. Indohyus lebte laut Spiegel
„anders als bisher angenommen schon teilweise im Wasser, berichten die
Forscher um Hans Thewissen von der Northeastern Ohio University in
Rootstown“.
Weiter heißt es dort: „Schon seit Darwin sind sich Wissenschaftler einig,
dass Wale von Landsäugern abstammen, die ins Wasser gingen. Oft wurde in
diesem Zusammenhang ein fleischfressender Säuger vermutet, der seine
Nahrung auf Meeresfische ausweitete.“ Bis Hans Thewissen aus Ohio ihn nun
ausgedeutet hat: Es ist der kleine Indohyus. Das bestätigen dem Spiegel
zufolge auch „Zahnanalysen des Fossils, die Ähnlichkeiten mit teilweise im
Wasser lebenden Tieren zeigen“.
## Versehentlicher Schädelbruch
Auf „Animals Around The Globe“ findet sich die Geschichte der
Indohyusknochen – es ist eine Familiengeschichte: „Die Entdeckung begann
1971, als der indische Geologe A. Ranga Rao in den felsigen Gebieten
Kaschmirs auf einige Fossilfragmente stieß. Diese Fragmente, bestehend aus
Zähnen und einem Stück Kieferknochen, schienen damals unbedeutend.
Jahrzehntelang blieben sie unbeachtet. Erst als Raos Witwe diese Fossilien
dem Paläontologen Dr. Hans Thewissen schenkte, wurde ihre monumentale
Bedeutung ans Licht gebracht. Im Jahr 2007 feierte Indohyus seinen großen
Einstand in der wissenschaftlichen Gemeinschaft durch einen Artikel in
‚Nature‘ und revolutionierte unser Verständnis der Evolution der Wale.“
In Jason Roberts’ umfangreicher Studie über die „Erforschung der Natur“ …
Beispiel von Georges-Louis de Buffon und Carl von Linné, „Die Entdeckung
allen Lebens“ (2024), findet sich ein weiteres Detail: Die Überreste von
Indohyus wurden zunächst einer Landtierart zugeordnet. „Erst als ein
Paläontologe [Hans Thewissen?] versehentlich einen Indohyus-Schädel
zerbrach, wurde die charakteristische Struktur der Innenohren entdeckt [wie
ungeschickt!], die auf eine ganz andere Abstammung hindeutete.“
Für Roberts stellt sich dabei eine generelle Frage im Hinblick auf
Fossilien: „Wann genau endet eine taxonomische Kategorie, und wann beginnt
eine andere? Dieses Problem wurde als ‚Grenzparadoxon‘ bekannt und
verdeutlicht eine grundlegende Unvereinbarkeit zwischen Evolution und
konventioneller Taxonomie.“
Die weitgereisten Blogger von „Animals Around The Globe“ haben für ihren
Bericht eine ganze Reihe von Indohyusbildern aufgetrieben, unter einem
steht, dass er nicht nur Gemeinsamkeiten mit Walen und Flusspferden
aufweist, sondern auch entfernt mit Schweinen und Schafen verwandt ist.
Wegen seines dicken Gehörknöchelchens, das bisher nur bei Walen gefunden
wurde und ihm das Hören unter Wasser erleichtert, kann man vermuten, „dass
Indohyus viel Zeit im Wasser verbracht hat“. Er führte mithin einen
„semiaquatischen Lebensstil“ – und „ebnete so den Weg für die vollstä…
aquatischen Wale“.
## Gefährliche Deutungen
Als Grund für seinen „Lebensstil“ wird angegeben, dass Indohyus im Wasser
weniger Feinde hatte. Die Entwicklung seiner Art endete trotzdem – im
Eozän. Damals lebte im Wasser noch oder schon eine Frühform der Wale –
„wandelnder Wal“ (Ambulocetus natans) genannt: Das etwa zehn Meter lange
Säugetier hatte den Körper, die Schnauze und die Augen eines Krokodils,
dazu jedoch bepelzte Füße mit Schwimmhäuten. Es kann sein, dass mit dem
Aufkommen dieses furchterregenden wandelnden Wals das Ende des kleinen,
eher harmlosen Indohyus gekommen war. Ach, wärst du doch an Land geblieben.
Aber auch dort, genauer am Wasserrand, lauerte ihm Ambulocetus auf. Dessen
„einzigartige Mischung von Merkmalen positionierte ihn als wichtiges
Bindeglied in der Entwicklung vom Land zum Meer“, heißt es bei„Animals
Around The Globe“. Für die Autoren schlägt dennoch nicht der große
wandelnde Wal, sondern der kleine Indohyus „eine Brücke zwischen
Landsäugetieren und Meereswalen und bietet somit Einblicke in einen der
dramatischsten Übergänge der Evolution“.
Bei diesen ganzen Fossilienausdeutereien gilt es jedoch zu beachten, was
der Foucault-Assistent François Ewald 1986 in Berlin ausführte: „Es gibt
immer zu viel Deutung und nie genug Fakten. Die Akte durch Deutung sind am
gefährlichsten für die Freiheit.“
10 Feb 2025
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Tiere
Zoologie
Wale
Tierwelt
Biologie
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