# taz.de -- Ukrainischer Kulturminister über Krieg: „Es geht um den Bestand … | |
> Mykola Tochytsky war lange ukrainischer Außenpolitiker. Hier spricht er | |
> über Putin-Appeasement, Wiederaufbau und fehlende USAID-Gelder. | |
Bild: „Wir brauchen die USA“, findet Mykola Tochytsky | |
taz: Herr Tochytskyi, die USA und Russland verhandeln gerade über die Köpfe | |
der Europäer und Ukrainer hinweg über einen Scheinfrieden zwischen der | |
Ukraine und Russland. Was löst das in Ihnen aus? | |
Mykola Tochytsky: Das löst tiefe Besorgnis in mir aus. Wir sind von Anfang | |
an angetreten, unser Territorium, unsere Souveränität, unsere gemeinsamen | |
Werte zu verteidigen. Der Ausdruck „Nothing about Ukraine without Ukraine“ | |
ist unser Mantra seit 2014, er hat fast schon historische Bedeutung für | |
unser Land. Ohne die Beteiligung der Ukraine und Europas kann es keinen | |
guten Plan geben. Den USA scheint nun Frieden mit Putin wichtiger zu sein. | |
taz: Was ist, wenn die USA nicht von ihrer Position abrücken? | |
Mykola Tochytsky: Wir brauchen die USA. Wir können den Krieg nur gewinnen, | |
wenn wir vereint sind, wie es vom ersten Tag der Aggression an der Fall | |
war: Ukrainer, Europäer, die USA. Die europäischen Außenminister haben klar | |
zum Ausdruck gebracht, dass nichts über Europa ohne Europa entschieden | |
werden soll. Während der gesamten Geschichte der Ukraine, der jüngeren und | |
der älteren, sind Vereinbarungen ohne unsere Beteiligung getroffen worden. | |
Das darf sich nicht wiederholen. Wir wollen Frieden. Aber nicht ohne unsere | |
territoriale Souveränität zu bewahren. Und nicht mit Appeasement-Politik. | |
taz: Sie haben lange Erfahrung im diplomatischen Bereich, waren | |
stellvertretender Außenminister, haben in verschiedenen Botschaften | |
gearbeitet. Wie entscheidend sind diese Tage für die Zukunft der westlichen | |
Welt? | |
Mykola Tochytsky: Es geht um den Bestand der westlichen Welt, wie wir sie | |
kennen. Putin zeigt täglich, dass er nicht bereit ist, die internationale | |
Ordnung respektieren. Er möchte alles zerstören, was nach dem Zweiten | |
Weltkrieg aufgebaut wurde. Darauf gäbe es eigentlich nur eine Antwort, eine | |
Einheit aller NATO-Mitglieder und der EU. | |
taz: Das größte NATO-Mitglied spielt da aktuell nicht mit. Am Montag gab es | |
ein Krisentreffen einiger EU-Staaten in Paris. Was erwarten Sie jetzt von | |
der EU? | |
Mykola Tochytsky: Wir hoffen aufrichtig, dass unsere europäische Familie | |
uns in diesem Kampf zur Seite steht und nicht nur Erklärungen abgibt, | |
sondern auch echte Taten folgen lässt. Die Stimme Europas muss auf dem Weg | |
zu einem gerechten Frieden auf dem Kontinent laut und deutlich zu hören | |
sein. Wir unterstützen alle europäischen Staatsoberhäupter, die nun | |
Führungsstärke demonstrieren. | |
taz: Über 2.000 Kultureinrichtungen in der Ukraine wurden zerstört, | |
darunter etliche historische Gebäude in Odessa, Lwiw und anderen Städten. | |
Wie ist Ihre Vision eines Wiederaufbaus? | |
Mykola Tochytsky: Erst einmal zeigt dies, dass es dem russischen Aggressor | |
nicht nur um das Land geht, nicht nur um Geopolitik, sondern darum, die | |
kulturelle Identität der Ukraine auszulöschen. Wir haben Anfang Februar in | |
Uschhorod eine „Ukraine Culture Conference“ mit 28 Länderdelegationen | |
ausgerichtet. Dort haben wir über die Grundlagen für den Wiederaufbau des | |
ukrainischen Kulturerbes gesprochen und über die Kosten. 2024 belief sich | |
der Schaden auf mindestens 4,11 Milliarden Euro. | |
taz: Woher soll das Geld für den Wiederaufbau kommen? | |
Mykola Tochytsky: Wir werden Stiftungsgeld für die Restaurierung | |
akquirieren, die ukrainische Wirtschaft und der Staat werden helfen, unser | |
kulturelles Erbe wieder aufzubauen. Und wir werden auch eine kulturelle | |
„Koalition der Willigen“ bilden, die uns beim Wiederaufbau unterstützt. Im | |
Moment sind es 15 Länder, die Hilfe zugesagt haben. Natürlich spielt | |
Deutschland eine gewichtige Rolle. Bei der Wiederaufbaukonferenz in Rom im | |
Juli 2025 wird es weitere Gespräche geben. | |
taz: Schon jetzt bleiben USAID-Mittel aus, die auch im Kultursektor | |
gebraucht würden. Wo fehlen diese Gelder? | |
Mykola Tochytsky: USAID war vor allem für die unabhängigen | |
Kulturinstitutionen und die regionalen und lokalen Medien wichtig. Manche | |
Lokalmedien waren fast völlig von USAID finanziert und werden nun schließen | |
müssen. Ich bin selbst in Dörfern der Region Winnyzja aufgewachsen, ich | |
weiß, wie wichtig seriöse lokale Medien sind, gerade in Zeiten von Fake | |
News. | |
taz: Welche Rolle spielt Kultur im Krieg? | |
Mykola Tochytsky: Zum einen haben wir viele Künstler, die für unser Land | |
kämpfen. Dann sind da Kulturschaffende, die ihre wertvolle Kulturarbeit in | |
Kriegszeiten trotz widrigster Umstände fortsetzen. Wir wollen es mit der | |
Regierung den Menschen aber auch ermöglichen, sich durch Kultur vom Leid | |
und Trauma des Kriegs zu erholen. Kultur kann sogar Soldaten bei der | |
Therapie helfen: Ich habe erst vor ein paar Tagen einen traumatisierten | |
Soldaten kennengelernt, dessen Arzt bei der Therapie nicht nur auf | |
medizinische Mittel setzt, sondern ihn auch in die Oper schickt. | |
taz: Kultur bedeutet eigentlich Dialog. Sehen Sie eine Möglichkeit des | |
Dialogs etwa mit dissidentischen russischen Künstlern und | |
Kulturschaffenden? | |
Mykola Tochytsky: Das ist schwierig. Ich sehe im Moment in Russland keine | |
Kräfte, die wirklich alles von Grund auf ändern wollen. Die Initiative | |
müsste von ihnen ausgehen. Es ist an ihnen zu beantworten, wer sie sind und | |
welche Art von Land und Gesellschaft sie in einer Zeit nach Putin sein | |
wollen. Sie müssten zeigen, dass sie vom russischen Großmachtdenken | |
wegkommen wollen. | |
taz: Setzt Russland Kultur auch gezielt im Krieg ein? | |
Mykola Tochytsky: Ja. Sie nutzen zum Beispiel Rossotrudnitschestwo-Büros | |
und Russische Häuser in europäischen Ländern als Tarnung für | |
Geheimdienstmitarbeiter und ihre Operationen. Puschkin und Dostojewski | |
werden instrumentalisiert, um den bösartigen Einfluss des Kreml geltend zu | |
machen. | |
20 Feb 2025 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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