# taz.de -- „Anora“ räumt bei 97. Oscarverleihung ab: Das Independent-Kino… | |
> Bei den Oscars gewann Sean Bakers Komödie „Anora“ über eine Sexarbeiter… | |
> als bester Film. Die Veranstaltung setzte nach und nach politische | |
> Akzente. | |
Bild: Los Angeles, 3. März: die Schauspielerin Mikey Madison und der Produzent… | |
Film ist eine Kunst, die uns hilft, in diesen Zeiten das Chaos zu ordnen, | |
das sagte in der Nacht zum Montag die Gewinnerin des Oscars für den besten | |
Kurzfilm. Ob Film das wirklich kann? | |
Versucht hat er’s jedenfalls – die 97. Verleihung der US-amerikanischen | |
Filmpreise setzte einen starken Fokus auf Independent-Filmkunst und pochte | |
nach einem so anstrengenden wie beängstigenden Jahr in den USA mit | |
andauernden, politischen Eklats, verzehrenden Großbränden und umfassenden | |
Streiks auf den Kern eines jeden Films: Story und Humanität, nicht | |
Vermarktung oder production value. | |
Dabei wurde die Stimmung in Los Angeles im Laufe des Abends peu à peu | |
politischer, die Appelle dringlicher. Hatte Moderator Conan O’Brian, der | |
beflissen seine Stand-up-Sicherheit vorführte, anfangs noch eher subtil | |
gegen die eigene Regierung ausgeteilt, so klang er nach den ersten beiden | |
von im Ganzen fünf Oscars für [1][Sean Bakers Sexarbeiter:innen-Porträt | |
„Anora“], in dem ein russischer Kunde brüskiert wird, eindeutiger: „Amer… | |
freut sich anscheinend, dass sich endlich mal jemand gegen einen starken | |
Russen wehrt.“ | |
Sowohl Presenterin Daryl Hannah als auch der Gewinner des besten | |
adaptierten Drehbuchs, Peter Straughan für „Konklave“, machten – symboli… | |
oder wörtlich – zudem auf der Bühne ihre Unterstützung für die Ukraine | |
deutlich – nach dem skandalösen Verhalten der US-Regierung gegenüber dem | |
ukrainischen Präsidenten Selenskyj eine wichtige Geste. | |
## Deutliche Kritik an US-Außenpolitik | |
Und das israelisch-palästinensische Regiekollektiv des [2][Dokumentarfilms | |
„No Other Land“], bei deren Ehrung auf der letztjährigen Berlinale | |
Publikumsreaktionen zu viel Kritik geführt hatten, verurteilten in der | |
Dankesrede für ihren Oscar ebenfalls deutlich die Außenpolitik der USA. | |
Am Ende konnte sich der Favorit [3][„Der Brutalist“, die von Brady Corbet] | |
inszenierte, opulent gefilmte Geschichte eines fiktiven jüdischen | |
Architekten mit ungarischen Wurzeln, der in die USA emigriert, immerhin | |
über drei Auszeichnungen freuen: „Der Stoff, aus dem Amerika besteht, wurde | |
mit migrantischer Kraft gewebt“, hatte der Regisseur vorher gesagt. | |
Hauptdarsteller Adrien Brody bedankte sich mit verbindenden Worten für | |
seine Trophäe. | |
Gern hätte man allerdings auch die Reaktion von [4][Sebastian Stan gesehen, | |
der für sein verstörend authentisch wirkendes Porträt der Lehrjahre des | |
aktuellen US-Präsidenten in „The Apprentice“] nominiert war, und gegen | |
Brody verlor. Genau wie der ätherisch-jungenhafte [5][Timothée Chalamet mit | |
seiner nonchalant genuschelten Bob Dylan-Interpretation in James Mangolds | |
vor allem durch die Originalmusik an Tiefe gewinnendem Biopic „Like a | |
Complete Unknown“]. | |
Vielleicht war dieser Film, der am Ende leer ausging, den | |
Academy-Mitgliedern dann doch ein wenig zu routiniert. Coralie Fargeats | |
blut- und gedärmspritzender Genrefilm „The Substance“ ging lediglich mit | |
einem „little gold man“ für „bestes Make-up und beste Frisuren“ nach H… | |
– und konnte die unterirdische Genderratio der Veranstaltung somit leider | |
auch nicht sonderlich beeinflussen. | |
Doch ob „Anora“, dessen Etat bei dem mit zwei technischen Oscars geehrten | |
„Dune: Part Two“ vermutlich nicht mal für zwei Minuten Sandwurmanimation | |
reichen würde, ob [6][Jacques Audiards „Emilia Pérez“], für den Zoë Sal… | |
den Oscar als beste Nebendarstellerin bekam, oder ob Brasiliens | |
couragiertes Drama „Für immer hier“, das unter anderem gegen die deutsche | |
Produktion, den [7][iranischen Film „Die Saat des heiligen Feigenbaums“] | |
als bester internationaler Film gewann: Selten spielten eindeutige | |
politische Themen und Botschaften eine so tragende Rolle in der von | |
Eskapismus und Entertainment geprägten US-Filmindustrie. Insofern ist der | |
Wunsch mehr als ein frommer: Lasst Film bitte, bitte das Chaos ordnen. | |
3 Mar 2025 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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